Inzwischen verteilt sie den Gemeindebrief nur noch in ihrem Wohnhaus bei der Sportstunde, aber es ist noch gar nicht lange her, da war sie noch draußen in "ihrem" Bezirk unterwegs. Mit einem vollbeladenen Einkaufstrolley, den sie durch die Straßen zog. "Seit 1953 trage ich den Gemeindebrief aus", erzählt Johanna Hippe. "Und wenn meine Kinder nicht entschieden hätten, dass ich jetzt zu alt dafür bin, würde ich das immer noch machen."

Eigentlich hätte sie gerne Musik studiert, aber dazu hat das Geld nicht gereicht. "Und vielleicht wäre ich auch nicht gut genug gewesen", sagt sie mit verschmitztem Lächeln. Als Stenotypistin hat sie ihr erstes Geld verdient. Dann wurde sie Pfarrersfrau und bekam fünf Kinder, "drei Buben und zwei Mädchen". Ein ganz anderes Leben, aber auch ein schönes, wie sie findet. Johanna Hippe ist Optimistin, sie mag das Leben. Im Oktober feiert sie ihren hundertsten Geburtstag.

Gemeindebriefe heute "wie Festschriften"

Das Austragen des Gemeindebriefs ist ihr quasi mit dem "Job" als Pfarrersfrau zugefallen. "Es war naheliegend, dass die Frau Pfarrer mit gutem Beispiel vorangeht", erklärt Hippe. Ihr Mann, der Pfarrer, habe einmal im Monat mit Unterstützung von einer Gemeindehelferin den Gemeindebrief verfasst. Damals lebten sie noch in Penzberg in Oberbayern in der Diaspora, erinnert sich Hippe. Viele Flüchtlinge seien dort nach dem Krieg gewesen.

Der Gemeindebrief habe sich in den 63 Jahren, in denen sie ihn schon verteilt, sehr verändert, berichtet Hippe. "Damals waren es ein paar Blätter, mit der Schreibmaschine getippt, ganz bescheiden, und heute haben sie illustrierte Sachen. Jeder Gemeindebrief ist wie eine Festschrift."

Auf die zwei bis drei eng beschriebenen Blätter, die oben in der linken Ecke zusammengetackert wurden, hat Johanna Hippe immer den Namen des Empfängers draufgeschrieben, "damit das nicht so anonym ist. So haben die Leute gewusst, dass wir sie kennen". Anfangs hätten die Austrägerinnen noch gleichzeitig gesammelt, wenn sie den Gemeindebrief verteilt haben. Immer für einen guten Zweck.

"Da habe ich mir manchmal ganz schön was anhören müssen. Dass die Kirchen immer nur Geld wollen, zum Beispiel", erzählt Hippe. Das Höchste, was sie je bekommen habe, sei eine Mark gewesen, erinnert sie sich.

Zwischendurch hatte die Verteilung des Gemeindebriefs schon fast seelsorgerische Qualitäten gehabt. Denn Johanna Hippe hat sich immer erst einmal vorgestellt, bevor sie den Gemeindebrief reingereicht hat. Das hatte den Vorteil, dass sie sehr schnell die ganze Gemeinde kennengelernt hat. "Dann habe ich Veranstaltungen erwähnt und manchmal auch über den Glauben geredet", erinnert sie sich.

"Geben Sie sich keine Mühe, ich bin ausgetreten."

"Einer hat mal zu mir gesagt: Geben Sie sich keine Mühe, ich bin aus der Kirche ausgetreten, das Zeug interessiert mich nicht. Ich habe dann gesagt, vielleicht kommt ja mal eine Zeit." Wenn man schon zu den Leuten gehe, dann sollten wir nicht Blabla reden, findet Hippe. Für Johanna Hippe ist der Gemeindebrief eine wichtige Verbindung zum Gemeindemitglied, auch wenn man heute nicht mehr von Tür zu Tür gehe und klingle, sondern den Brief nur in den Briefkasten stecke.

Dass sie jeden Gemeindebrief "von A bis Z" liest, bevor sie ihn verteilt, ist für sie selbstverständlich. "Ich weiß genau, was drinsteht", sagt sie.

Ähnlich wie der Gemeindebrief ist auch das Leben von Johanna Hippe von Veränderungen geprägt. Sie wurde während des Ersten Weltkriegs in der Provinz Posen geboren. Von dort war es ein langer Weg bis nach Bad Windsheim in Franken, der sie über Penzberg, Kempten und Cham führte.

19 Mal sei sie in ihrem Leben umgezogen, berichtet Hippe. Sesshaft sei sie erst im Ruhestand geworden. In Bad Windsheim lebt sie nun seit 1977. Und das, wo sie "eigentlich nie nach Franken wollte", wie sie sagt.

Die Gemeindebriefe waren immer eine Konstante in Johanna Hippes Leben. Sogar als ihr inzwischen verstorbener Mann nach einem Schlaganfall ihre Betreuung brauchte, hat sie ihn verteilt. "Er hat mir gesagt, zwei Stunden könne er schon mal alleine bleiben", sagt Hippe.

 

Johanna Hippe live erleben

Wer Johanna Hippe live sehen möchte, kann sich den 5-minütigen Videobeitrag des evangelischen Presseverbands für Bayern ansehen. Darin erzählt die betagte, aber lebensfrohe Dame, was sie zu dieser Aufgabe motiviert. So durfte sie u.a. miterleben, wie sich der Gemeindebrief im Laufe der Jahrzehnte entscheidend weiterentwickelt hat. Ein Videobeitrag von Christian Probst, Evangelischer Presseverband für Bayern e.V.