Bei der Interessensvertretung der Pflegenden geht der Freistaat Bayern einen Sonderweg. Statt Pflegekammer gibt es dort seit einigen Wochen eine "Vereinigung der Pflegenden". Die ist zwar auch nicht unumstritten - aber für die Pflegenden kostenlos.

Vereinigung der Pflege ist Alternative zur Pflegekammer

Alexander von Hof ist richtig zufrieden. "Zum ersten Mal haben wir in der Pflege in Bayern die Möglichkeit, uns professionell zu organisieren", sagt der Vorsitzende der Gesamt-Mitarbeitervertretung Altenhilfe bei der Rummelsberger Diakonie: "Und das auch noch kostenlos!" Deshalb kann er die Fundamentalopposition und heftige Kritik mancher Akteure aus der Pflegebranche nicht verstehen.

Es geht um die erst im Oktober gegründete "Vereinigung der Pflegenden", der bayerischen Alternative zur Pflegekammer. Kammern, wie sie in anderen Bundesländern schon bestehen oder geplant sind, erheben Pflichtbeiträge. Im Streit über das Für und Wieder haben sich einige ungewöhnliche Allianzen gebildet.

Diakonie Bayern ist angetan von Pflegekonzept

Die Zahl der Befürworter jedenfalls ist groß. Die Diakonie Bayern ist angetan, der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) ebenso, die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di auch und das Pflege- und Gesundheitsministerium in Bayern sowieso - von dort ging nämlich die Initiative aus. Auf der Seite der Kritiker stehen etwas verlassen der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) sowie der Deutsche Pflegerat und der bayerische Landespflegerat. Beide Seiten zeigen mit dem Finger aufeinander und schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Dabei wollen alle Akteure das gleiche: Nämlich das politische Gewicht der Pflegenden stärken. Nur der Weg dorthin ist strittig.

Bayerischer Sonderweg in der Pflege

Für bpa-Landesreferent Falk Roßkopf ist der bayerische Sonderweg "der richtige", denn anders als beim Alternativmodell Pflegekammer sei eine Interessensvertretung in der Vereinigung "ohne Zwang und ohne zusätzliche Kosten" für die Pflegenden und andere Akteure der Branche möglich. "Der bayerische Weg hat auch in anderen Bundesländern den Blick auf den Irrsinn gelenkt, die Pflegenden für die Durchsetzung ihrer Interessen auch noch selbst zur Kasse zu bitten." Eine Kammer hätte in seinen Augen "mehr Bürokratie und hohe Kosten" gebracht, aber keine wirklichen Fortschritte. Bei wichtigen Themen wie Personalbemessung, Qualitäts- und Gehaltsentwicklung wäre sie nämlich stets außen vor.

Der 25-köpfige Gründungsausschuss der "Vereinigung der Pflegenden" hat Ende Oktober einen Vorstand ernannt, Ende 2018 sollen Präsidium und Vorstand von den Mitgliedern regulär gewählt werden. Dass man dort die Kammer-Alternative befürwortet, ist zwar keine Überraschung. Man begründet es aber mit dem Willen der Pflegenden und verweist auf eine repräsentative Umfrage in der Branche aus dem Jahr 2013. Damals wollten 50 Prozent eine Pflegekammer - 48 Prozent lehnten dann bei der detaillierten Befragung allerdings die Pflichtmitgliedschaft ab, 51 Prozent die verpflichtenden Mitgliedbeiträge. Das bayerische Modell greife daher "die Stimmungslage" der Pflegekräfte in Bayern auf und setze sie um.

Berufsverband für Pflegeberufe lehnt Freiwilligkeit ab

Der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Südost lehnt gerade die Freiwilligkeit entschieden ab. Damit sei die Vereinigung alles, "nur keine starke, schlagkräftige Interessensvertretung", weil sie eben nicht die gesamte Berufsgruppe der Pflegenden vertrete. Sie sei "nichts anderes als ein Etikettenschwindel oder eine Beruhigungspille". Da auch "fachfremde Organisationen und Einrichtungsträger ein Vetorecht" in der Vereinigung hätten, könnten Pflegende ihre Interessen auf keinen Fall unabhängig vertreten. Ebenfalls kritisiert der DBfK die Finanzierung der "Vereinigung" aus Steuergeldern. Diese sei zum einen ungenügend, zum anderen fehle es grundsätzlich an der nötigen Unabhängigkeit.

Bayerns Pflegeministerin Melanie Huml (CSU) ist von der Dauerkritik an der "Vereinigung der Pflegenden" offenbar ziemlich genervt. Die Kritiker sollten nicht länger abwarten, sondern endlich mitmachen. Der Landtag habe nun einmal ein Gesetz beschlossen, wonach es im Freistaat keine Kammer, sondern eine Vereinigung geben soll - das müsse man nun auch mal akzeptieren. Während der DBfK den Bayerischen Landespflegerat für seine Expertise und sein starkes Netzwerk lobt und die Vereinigung als "Parallelorganisation" kritisiert, moniert Huml die Blockadehaltung des Landespflegerates. Es sei bedauerlich, dass man sich dort weigere, am Aufbau und der Arbeit der "Vereinigung der Pflegenden" mitzuwirken.

Kritik an Pflegerat

Auch Alexander von Hof wundert sich über das Lob für den Pflegerat. "Pardon, aber von dieser Seite kommt inhaltlich nichts. Dessen Arbeit in den vergangen Jahren war völlig ineffektiv", sagt er. Auch die Kritik an der angeblich mangelnden Unabhängigkeit durch die Steuerfinanzierung kann er nicht nachvollziehen: "Die Pflege ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Endlich gibt es da auch mal Geld aus dem Haushalt." Mehr Geld sei ja immer wünschenswert - nach aktuellem Stand könne man mit den zugesagten Mitteln aber gut arbeiten, findet von Hof, der auch selbst im Gründungsausschuss der Vereinigung sitzt. Der bpa-Landesverband sieht in der Steuerfinanzierung ebenfalls ein "Zeichen der Wertschätzung".

Ob die Front zwischen Befürwortern und Gegnern in naher Zukunft aufbricht, vermag derzeit keiner der Akteure zu sagen. Der Sprecher der Diakonie Bayern, Daniel Wagner, sagt dazu: "Die Praxis muss jetzt zeigen, ob die 'Vereinigung der Pflegenden' funktioniert - und deshalb sollten auch alle mitmachen." Und Alexander von Hof schlägt noch eine verbale Brücke zu den Gegnern: "Rechtlich gesehen sind wir das gleiche wie eine Kammer. Wir sind eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, wir haben die gleichen Rechte - der größte Unterschied ist die Form der Finanzierung. Und daran sollte es doch nicht scheitern, ob Pflegende in Bayern eine schlagkräftige Interessenvertretung bekommen!"