Frau Hektor, gibt es noch junge Menschen, die Pfarrerin und Pfarrer werden wollen?

Corrina  Hektor: Ja, es gibt sie noch - Gott sei Dank. Aber die Zahlen haben sich auf relativ niedrigem Niveau eingependelt. Und die Pfarrerinnen und Pfarrer aus den geburtenstarken Jahrgängen gehen in den kommenden Jahren in den Ruhestand. Das heißt: Wir haben deutlich mehr Pfarrerinnen und Pfarrer, die aus dem Beruf ausscheiden, als solche, die nachkommen. Daher werden uns in zehn bis 15 Jahren voraussichtlich mehr als 600 Pfarrer fehlen.

Warum kommen so wenig Junge nach?

Hektor: Ein Grund ist sicher, dass der Beruf aus Sicht junger Menschen an Attraktivität verloren hat. Wenn jemand etwa in der eigenen Gemeinde erlebt, wie viel und unter welchem Druck Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten, dann wird er sich nicht dafür
entscheiden, Pfarrerin oder Pfarrer zu werden.

Woher kommt dieser Druck?

Hektor: Die Menge an Arbeit, die Pfarrer bewältigen, hat im Vergleich zu früher deutlich zugenommen. Hinzu kommt die andauernde Verfügbarkeit. Es gibt keine festen Arbeitszeiten. Der Richtwert für die Arbeit pro Woche liegt bei 48 Stunden im Jahresmittel. Gearbeitet wird an sechs Tagen die Woche. Den freien Tag halten aber viele nicht regelmäßig ein. Und dann es gibt ein Disziplinarrecht, das noch immer das «ehewidrige Verhalten» kennt, also mögliche Sanktionen, wenn ich etwa mit meinem Lebenspartner nicht verheiratet bin. Das heißt: Pfarrer müssen sich an Regeln halten, die junge Menschen heute
als antiquiert empfinden.

Und das schreckt diese ab?

Hektor: Es bringt sie zumindest dazu, sich im Zweifel dafür zu entscheiden, Theologie nicht für das Pfarrersamt, sondern für das Lehramt zu studieren. Da hat es in den vergangenen Jahren eine deutliche Verschiebung gegeben. Im staatlichen Schulbetrieb fragt keiner, ob ich mit meinem Freund verheiratet bin oder nicht. Wenn ich dort Teilzeit arbeite, dann ist das auch wirklich ein Teilzeit-Job. Und von denen, die nicht ins Lehramt gehen, entscheiden sich möglicherweise einige für eine andere als die bayerische Landeskirche. Es ist mittlerweile ja durchaus üblich, dass der Nachwuchs abgeworben wird.

Was muss sich ändern?

Hektor: Wir müssen die guten Dinge, die mit dem Pfarrerberuf verbunden sind, stärker herausstellen. Ich liebe es, Pfarrerin zu
sein. Es ist ein unglaublich vielfältiger und wunderbarer Beruf, der sehr erfüllend sein kann. Aber das muss auch durch die Realität
gedeckt sein. Es ist sicher kein Weg, dem bevorstehenden Pfarrermangel durch immer größere Gemeindeverbünde zu begegnen. Die Erfahrung katholischer Gemeinden zeigt das: Da kommt dann der Pfarrer zum Teil nur noch zur Wandlung in den Gottesdienst. Gemeinden müssen überschaubar bleiben. Deswegen müssen wir unbedingt wieder mehr junge Menschen für den Beruf gewinnen. Sonst geht uns irgendwann der Bezug der Gemeindemitglieder zur Pfarrerin und zum Pfarrer verloren.

Wie wichtig ist dieser Bezug?

 Hektor: Er ist aus meiner Sicht entscheidend für eine funktionierende Gemeinde - und für eine funktionierende Kirche. Die Mitgliedschaftsstudien der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigen: Die Leute kennen ihre Pfarrerin und ihren Pfarrer, sie
schätzen sie, viele haben oft sehr großes Vertrauen zu ihnen, anders als zur Institution Kirche. Die Pfarrerinnen und Pfarrer sind das Gesicht der Kirche. Es wäre schön, wenn die Kirchenleitungen das wertschätzen würden. Der Pfarrerberuf muss im Alltag lebbar sein. Dann werden wir auch wieder mehr Menschen dafür gewinnen.