Fünf Wochen lang war ich quer durch Deutschland unterwegs. Jeden Sonntag, egal ob in Hamburg, Thüringen, oder im tiefsten Franken, habe ich einen Gottesdienst besucht.
Und fast überall dasselbe Bild: leere Reihen, vereinzelte Köpfe, leise Mitgebrummeln beim Singen – und vorne ein Programm, das verzweifelt versucht, "irgendwie anders" zu sein. 90er-Jahre-Gottesdienst mit Kostümen. Bier-Tasting-Gottesdienst. Hip-Hop-Gottesdienst.
Mal lauter, mal leiser, mal mit besserer Choreografie – aber immer mit diesem Beigeschmack: Wir wollen cool wirken.
Muss Kirche cool sein?
Und da frag ich mich: Seit wann ist "cool" überhaupt das Ziel von Kirche? Allein "cool" sagt man schon gar nicht mehr, heutzutage ist das eher fresh. Wusste ich bis vor Kurzem auch nicht.
Und wer auf fresh macht, ist es meistens nicht. Jugendliche merken das sofort – und Erwachsene übrigens auch. Das ist wie der Onkel auf der Familienfeier, der plötzlich "Digga" sagt. Nett gemeint, aber Fremdscham pur.
Früher – ja, ich weiß, dieses Wort klingt gefährlich nostalgisch – war meine Konfirmation etwas, worauf ich mich gefreut habe. Neue Klamotten, volle Kirche, dieser feierliche Moment, an dem man wusste: Das ist wichtig.
Es ging nicht nur um die Geschenke (ganz ehrlich), sondern um das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu werden. Heute hingegen müssen manche Gemeinden Konfigruppen zusammenlegen, um überhaupt auf eine zweistellige Zahl zu kommen. Wer noch dabei ist, sitzt oft da wie im Matheunterricht.
Kirche ist nicht TikTok
Aber: Ich will die Kirche nicht einfach nur schlechtreden. Ich bin überzeugt, dass es Veränderung braucht. Natürlich kann man die Zeit nicht zurückdrehen. Die Jugendlichen heute ticken anders, sie haben andere Fragen, andere Lebenswelten. Aber eines hat sich nicht geändert: Menschen brauchen Halt.
Gerade in einer Welt, die ständig schneller und unübersichtlicher wird. Sie brauchen Orte, an denen man zweifeln darf, an denen man ernst genommen wird, an denen man merkt: Hier geht es um mehr als Likes und Follower.
Genau deshalb ist Anbiedern der falsche Weg. Wer krampfhaft versucht, cool zu wirken, verliert seine Glaubwürdigkeit. Kirche ist nicht TikTok. Kirche ist nicht ein Festival, das jede Woche ein neues Motto braucht. Kirche kann modern sein, ohne anbiedernd zu sein. Sie darf kreativ sein, aber sie muss echt bleiben.
Ich habe auf meiner Reise auch Gemeinden erlebt, die genau das schaffen. Ohne Show, ohne Kostüme, ohne künstliche Inszenierung. Da stand jemand vorne, der glaubte, was er sagte. Nicht runterleiern, sondern mit Charme seine Predigt performen. Da war Zeit, die Worte wirken zu lassen. Da war Raum, um gemeinsam zu singen, zu beten, zu lachen. Das war nicht langweilig – das war fresh.
Die Zukunft der Kirche
Vielleicht liegt die Zukunft der Kirche nicht darin, immer neue Events zu erfinden, sondern darin, ihre eigentliche Stärke wiederzuentdecken: Echtheit, Tiefe, Gemeinschaft.
Wir sollten wieder mehr Geschichten erzählen – gute Geschichten. Die Bibel ist voll davon: von Mut, Liebe, Scheitern, Hoffnung, Neuanfang. Diese Geschichten sind nicht altmodisch, sie sind zeitlos. Aber sie müssen so erzählt werden, dass sie berühren. Nicht als PowerPoint-Folie, sondern als Erzählung, die ins Herz trifft.
Die Zeiten ändern sich – keine Frage. Aber das Bedürfnis nach Halt, nach Orientierung, nach Sinn bleibt. Kirche muss sich bewegen, ja. Sie darf nicht stehen bleiben. Aber sie sollte dabei nicht vergessen, dass sie etwas zu geben hat, das weit über Trends hinausgeht.
Wenn wir das wieder hinkriegen, dann ist Kirche vielleicht nicht sofort voll – aber sie ist wieder voll echt. Und das wäre mir tausendmal lieber als jeder Bier-Tasting-Gottesdienst.