Herr Landesbischof, Gratulation zur Wahl in eine neue Aufgabe hinein. Als "Moderator" haben Sie künftig eines der wichtigsten ÖRK-Ämter inne. So richtig hat Sie der 2023 anstehende Ruhestand als Landesbischof und bayerischer Pfarrer also offenkundig nicht gelockt. Was reizt Sie an der Arbeit im ÖRK?

Heinrich Bedford-Strohm: Es war immer klar für mich, dass ich mich nicht völlig zur Ruhe setze. Ich bin dann 63 und habe viele Sachen, die jetzt noch warten mussten: akademische Engagements, gerade auch in anderen Ländern, im ökumenischen Bereich, zum Beispiel in Ruanda. Insofern ist der Bereich, der mich für den Ruhestand am meisten interessiert hat, tatsächlich die Ökumene. Da schlägt mein Herz.

Ich habe viele Beziehungen in alle Teile der Welt, sehr herzliche Beziehungen, die mir persönlich sehr wichtig sind, die aber vor allem meine Vision von Kirche ausdrücken.

Für mich war das immer eine Kirche, die in einem globalen Horizont steht. Natürlich verwurzelt vor Ort, im Leben der Gemeinden, aber immer so, dass uns klar ist: Wir haben nur den einen Herrn – sowohl zwischen den Konfessionen als auch zwischen den weltweiten Kirchen. Das hat natürlich große Konsequenzen auch für unser Handeln hier, wenn wir immer die Welt mit am Tisch sitzen haben.

Ihr neues Spitzenamt werden Sie bis einschließlich der nächsten Vollversammlung bekleiden. Nach Ihrer Zeit als EKD-Ratsvorsitzender und bayerischer Landesbischof der nächste – auch zeitlich – fordernde Job?

Bedford-Strohm: Ich empfinde es als große Ehre, dass ich als Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rats der Kirchen die nächsten acht Jahre der ökumenischen Arbeit widmen kann. Es entspricht dem, was mir schon immer sehr wichtig war. Es sind Menschen auf mich zugekommen, ich habe das in meinem Herzen bewegt, und vor allem habe ich das mit meiner Frau besprochen.

Ich habe gefragt: Wie viele Tage im Jahr sind dadurch belegt? Und das hat mir die Zuversicht gegeben: Es ist tatsächlich ein Ehrenamt. Mir ist sehr wichtig, dass ich Zeit für meine Familie und meine Enkelkinder habe. Es war immer klar, dass nach dieser Turbozeit als Ratsvorsitzender und Landesbischof die Familie einen stärkeren Stellenwert haben wird, und das wird auch möglich sein.

Wie viele Tage im Jahr werden es denn sein?

Bedford-Strohm: Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht genau. So etwa 20 oder 30 verpflichtende Sitzungstage im Jahr. Der Punkt, der darüber hinaus aber eine große Rolle spielen wird, sind Besuche bei den Kirchen der Welt, insbesondere natürlich an den Brandstellen.

Ich bin beispielsweise der Meinung, dass wir als Kirchen, wo immer wir können, eine Rolle spielen müssen, wenn es um die Beendigung dieses schrecklichen Kriegs zwischen der Ukraine und Russland geht.

Der Same, der hier in Karlsruhe gelegt worden ist, dass ukrainische und russisch-orthodoxe Christen einmal wirklich miteinander geredet haben, das hat mir gezeigt, wie richtig es war, die russische Delegation nicht auszuladen.

Woher sollen sie denn andere Informationen bekommen als die Putin-Propaganda? Die bekommen sie, indem sie mit Menschen aus anderen Teilen der Welt reden, die andere Informationen haben.

Wenn man auf der Basis von Beziehungen beginnen kann, offen zu reden – das ist der Same für mehr. Das brauchen wir. Und dabei spielen die Kirchen eine ganz besondere Rolle. Ich bin hier in meinen Gesprächen mit einzelnen Mitgliedern der russischen Delegation auf viel Nachdenklichkeit gestoßen. Daran gilt es anzuknüpfen.

Hat die ÖRK-Vollversammlung die richtigen Worte zum russischen Angriff auf die Ukraine gefunden?

Bedford-Strohm: Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ist von dieser Vollversammlung klar verurteilt worden als unmoralisch und illegal. Das ist absolut bemerkenswert. Dass man nicht erwarten kann, dass der Leiter der russisch-orthodoxen Delegation hier in Deutschland eine flammende Rede gegen den Krieg und gegen seinen eigenen Patriarchen hält, liegt auf der Hand.

Entgegen all den Unkenrufen ist es aber nicht dazu gekommen, dass hier Putin-Propaganda im Raum des Weltkirchenrats vertreten wurde. Das wurde ja vorher als Szenario oft an die Wand gemalt. Passiert ist es nicht. Im Gegenteil: Die ukrainischen Stimmen haben ein ganzes Plenum bekommen und haben sehr eindrücklich das Leid zum Ausdruck gebracht, das dieser schreckliche russische Angriffskrieg anrichtet.

Gleichzeitig sind all die Ansätze für Hoffnung deutlich geworden: dass Menschen das nicht hinnehmen, dass Menschen einander beistehen, dass Menschen einander helfen.

Wir sind nicht die Politik. Wir können keine Empfehlungen für Verhandlungen geben. Aber dass man reden muss, dass nicht die Sprache der Waffen zur einzigen Sprache werden darf, das ist für mich ganz klar.

Wir müssen als Kirchen dazu beitragen zu verhindern, dass man in Deutschland nur noch über schwere Waffen redet. Ich habe, wie Sie wissen, Waffenlieferungen nicht abgelehnt, sondern schweren Herzens als leider notwendig bezeichnet. Aber dass es inzwischen bei manchen schon als unschicklich gilt, auch nur über Konfliktlösungswege zu reden, die über das militärische Vorgehen hinausreichen, das ist eine beängstigende Diskursverengung.

Auch der Streit darum, ob man Israel mit dem aufgeladenen Kampfbegriff "Apartheidstaat" etikettiert, hat die Karlsruher Vollversammlung bewegt.

Bedford-Strohm: Zunächst muss ich sagen: Es ist in den Diskussionen und Gesprächen sehr schnell klar gewesen, dass Israel nicht als Apartheidstaat verurteilt wird. Das war uns gerade hier in Deutschland ganz besonders wichtig. Man ist dann übereingekommen, dass die Berichte von Amnesty und anderen Menschenrechtsorganisationen erwähnt werden, aber ohne Wertung, sondern mit dem Hinweis, dass sie zu prüfen sind. Es ist auch gut, dass in der verabschiedeten Fassung klar benannt wird, dass wir hier unterschiedlicher Auffassung sind.

Man könnte sagen: schlimm genug. Vielleicht ist der Apartheid-Vorwurf so absurd, dass man eine breite Mehrheit der Ablehnung erwarten darf, ja muss ..

Bedford-Strohm: Es gibt diese Berichte. Aber es ist ein Riesenunterschied, ob man sie sich auch programmatisch zu eigen macht oder ob man das Faktum ihrer Existenz erwähnt. Wir müssen zu einem Diskurs finden, der diese Unterscheidung macht. Ich selbst bin leidenschaftlich gegen die Verwendung dieses Begriffs! Es stimmt einfach nicht, dass Israel ein Apartheidstaat ist. Die Unterschiede sind viel zu groß.

Die Frage, die mir auch aus dem Heiligen Land begegnet, ist doch: Was hilft, um endlich einer Lösung näher zu kommen? Und es hilft nicht, wenn plötzlich der Streit um den Begriff Apartheid die große Baustelle ist, statt über die unbestreitbar vorhandenen Ungerechtigkeiten selbst zu reden. Und über die muss man reden! Man muss allerdings auch klar für das Existenzrecht Israels und seine berechtigten Sicherheitsinteressen eintreten.

Mehr als 3000 Teilnehmer aus 532 Kirchen und aus 120 Ländern der Welt, 650 Delegierte, die mehr als 500 Millionen Christen vertreten: Es ist das Bunte, Farbige, ja fast schon verrückt Vielfältige der Karlsruher ÖRK-Vollversammlung, das in Erinnerung bleibt. Aber wie relevant ist das, was in der ÖRK-Blase besprochen wird und geschieht, für diese halbe Milliarde Menschen?
Mehr als 3000 Teilnehmer aus 532 Kirchen und aus 120 Ländern der Welt, 650 Delegierte, die mehr als 500 Millionen Christen vertreten: Es ist das Bunte, Farbige, ja fast schon verrückt Vielfältige der Karlsruher ÖRK-Vollversammlung, das in Erinnerung bleibt. Aber wie relevant ist das, was in der ÖRK-Blase besprochen wird und geschieht, für diese halbe Milliarde Menschen?
Der Kampf um ein Wort: Mahnende Worte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gab es bereits zur Eröffnung der Karlsruher Weltversammlung.
Der Kampf um ein Wort: Mahnende Worte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gab es bereits zur Eröffnung der Karlsruher Weltversammlung.
Bunt, vielfältig, aber am Ende (fast) immer einig: Delegierte während einer Plenarsitzung bei der ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe.
Bunt, vielfältig, aber am Ende (fast) immer einig: Delegierte während einer Plenarsitzung bei der ÖRK-Vollversammlung in Karlsruhe.
Die Delegierten heben bei der ÖRK-Vollversammlung häufig ihre Stimmkarten, aber es sind keine Stimmkarten, sondern "Tendenzkarten".
Die Delegierten heben bei der ÖRK-Vollversammlung häufig ihre Stimmkarten, aber es sind keine Stimmkarten, sondern "Tendenzkarten".
Der künftige ÖRK-"Moderator" Heinrich Bedford-Strohm als Moderator eines Panels zum Thema "Christliche Einheit und das gemeinsame Zeugnis der Kirchen" in Karlsruhe.
Der künftige ÖRK-"Moderator" Heinrich Bedford-Strohm als Moderator eines Panels zum Thema "Christliche Einheit und das gemeinsame Zeugnis der Kirchen" in Karlsruhe.

Ein maßgeblicher Vorstoß, der die Verurteilung Israels als "Apartheidstaat" fordert, kam vor der Karlsruher Vollversammlung erneut aus Südafrika, unterzeichnet vom Erzbischof von Kapstadt und Primas der Anglikanischen Kirche des südlichen Afrikas, Thabo Makgoba. Sie sind seit vielen Jahren außerplanmäßiger Professor an der Universität Stellenbosch in Südafrika. Was treibt die südafrikanischen Christen in diesem Thema eigentlich an? Warum machen die das?

Bedford-Strohm: Weil sie ganz stark ihren südafrikanischen Kontext zugrunde legen. Das Wort Boykott – das beim Erarbeitungsprozess des ÖRK-Statements übrigens nie eine Rolle spielte, aber in der südafrikanischen Diskussion durchaus – ist für die Südafrikaner der erste Schritt in die Befreiung gewesen. Für die Juden in Deutschland ist es der erste Schritt in die Ermordung von sechs Millionen Menschen gewesen. So drastisch unterschiedlich kann man ein solches Wort in seinen Erfahrungen im Gepäck haben. Das deutlich zu machen und wahrzunehmen, was dieses Wort für die jeweils andere Seite überhaupt bedeutet, ist der erste Schritt, um weiterzukommen. Das ist mir sehr wichtig.

Ich bin Deutscher, der mit kaum etwas anderem so intensiv aufgewachsen ist wie mit diesem unfassbaren Verbrechen des Holocaust, einer, der im christlich-jüdischen Diskurs engagiert ist.

Für mich ist die Beziehung zum Judentum in Deutschland extrem wichtig. Es beglückt mich, wenn ich sehe, wie das Judentum in Deutschland wieder floriert.

Mit Thabo Makgoba verbindet mich eine enge Freundschaft. Ich weiß: Es geht ihm nie und nimmer um die Diskriminierung von Juden als Juden, sondern darum, die Befreiungserfahrung, die sie gemacht haben, auf den Kontext von Palästina zu übertragen. Wir diskutieren dann darüber, dass und warum solche Begriffe nicht passen, aber wir können darüber reden.

Einseitigkeit ermöglicht Diskurs gerade nicht, sondern verhindert ihn. Insofern wir uns überhaupt in den Diskurs im Nahen Osten einmischen können und sollen, brauchen wir ein Gespräch, das den Diskurs öffnet, statt die Fronten immer mehr zu verhärten.

Eben das passiert ja gerade an vielen Orten – in unserer Gesellschaft und weltweit ..

Bedford-Strohm: Genau. Unsere Aufgabe als Kirche, meine Aufgabe in dem neuen Amt als Moderator ist, genau diesen Verhärtungen entgegenzuwirken. In meinem Land, aber auch weltweit. Diese Aufgabe ist dringender denn je.

Ein weiterer Konflikt, der sich auf dieser Vollversammlung gezeigt hat, war die Forderung von jungen und jugendlichen Delegierten, in den Debatten, aber auch in den ÖRK-Strukturen mehr vorzukommen. Sie als neuer Moderator passen, frech gesagt, als "alter weißer Mann" nicht wirklich zu solchen Forderungen nach mehr Diversität.

Bedford-Strohm: Es war richtig, dass den Jugendlichen hier bei der Vollversammlung von der Leitung schließlich ein außerordentliches Rederecht eingeräumt wurde. Das Anliegen der Jugendlichen ist berechtigt.

Man muss es natürlich in den Kontext einer Organisation stellen, der 352 Kirchen angehören, bei der jede Kirche vertreten sein will und bei der neben der Jugend auch Frauen, Indigene, Menschen mit Behinderung und andere irgendwo in den Delegationen anteilig vertreten sein sollen. Das ist eine Sache der Unmöglichkeit, muss man sagen. Deswegen muss man nachdenken über die Frage, wie das berechtigte Anliegen der Jugend umsetzbar gemacht werden kann, ohne dass die Arbeit blockiert wird. Mit mir werden sie da einen Verbündeten haben.

Wie wollen Sie das Thema angehen?

Bedford-Strohm: Wir haben glücklicherweise in der EKD ein ziemlich gutes Beispiel anzubieten: In der Zeit in der ich Ratsvorsitzender war, haben die Jugendlichen zunächst vollen Delegiertenstatus bekommen und dann wurde sogar eine Quotierung eingeführt, die sich inhaltlich sehr positiv ausgewirkt. Die jungen Leute geben einfach super inhaltliche Impulse.

Es ist schon lange nicht mehr so, dass man sagt, wir müssen auch mal die Jugendlichen zu Wort kommen lassen und mal mit den Jugendlichen reden. Die Jugendlichen sind eine unübersehbare inhaltliche Kraft in unserer Kirche geworden.

Darüber bin sich sehr, sehr glücklich. Dass die EKD-Synode am Ende weit über die Quote hinaus Jugendliche hatte, weil die Landeskirche so viele junge Leute nominiert haben, hat mich riesig gefreut. 

Dass wir erstmals eine Präses der Synode haben, die als Studentin mit 25 Jahren in ein Amt gewählt wurde, das bisher nur bekannten früheren Ministern vorbehalten war, ist auch ein Riesenerfolg. Wer das Wirken von Anna-Nicole Heinrich verfolgt hat, sieht, dass es ein Volltreffer war und der Kirche nichts Besseres passieren konnte, als junge Leute in wichtige Positionen zu bringen.

Sie wollen also einen neuen ÖRK?

Bedford-Strohm: Das wäre das falsche Wort. Ich liebe den ÖRK, und es wird hier tolle Arbeit gemacht. Hier muss nicht einer von außen kommen und alles umkrempeln. Aber die Impulse sollen aufgenommen werden und die Jugendlichen haben starke Impulse gesetzt. Die werden im Zentralausschuss mit Sicherheit aufgegriffen. Ich werde mein Bestes tun, dass die Jugendlichen wirklich zu Wort kommen und wir gute Lösungen finden.

Ausblick ins nächste Frühjahr: Sie werden nächstes Jahr keinen Nachfolger als Landesbischof bekommen. Stimmen Sie zu?

Bedford-Strohm: (lacht) Also: ob's eine Frau wird? Ich mische mich nicht in die Findungsphase ein. Es ist gute Tradition, dass sich ein Vorgänger nicht öffentlich in die Nachfolgediskussion einmischt.

Auch in der Geschlechterfrage? Wäre nach lauter Männern seit 1933, seit es das Amt gibt, nicht einmal eine Frau an der Reihe?

Bedford-Strohm: Das liegt natürlich in der Luft. Ich bin auch ziemlich sicher, dass sehr gute Kandidatinnen und Kandidaten gefunden werden. Aber am Ende ist es eine Frage der Persönlichkeit, die muss stimmen. Das Gender-Kriterium ist ein wichtiges Kriterium, aber nicht das einzige.

Heinrich Bedford-Strohm

Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern
Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern

Heinrich Bedford-Strohm ist seit 2011 Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) und war von 2014 bis 2021 Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Bedford-Strohm wurde 1960 in Memmingen geboren. Er studierte Theologie in Erlangen, Heidelberg und Berkeley (USA) und promovierte anschließend. Als Professor lehrte und lehrt er an verschiedenen Universitäten, u.a. in Gießen, Bamberg, New York (USA) und Stellenbosch (Südafrika). Sein Vikariat absolvierte er in einer Kirchengemeinde in Heddesheim, als Pfarrer war er in Coburg tätig.