Die evangelische und die katholische Kirche präsentieren zur documenta 14 in Kassel ein eigenes Kunstprogramm. Die Begleitausstellungen der Kirchen haben sich etabliert. Bei der documenta 13 sorgte 2012 die Begleitausstellung der katholischen Kirche für Streit.

Der Kasseler Bildhauer Stephan Balkenhol hatte eine männliche Figur in den offenen Kirchturm platziert. Das sorgte für Streit mit der damaligen künstlerischen Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev, die keine Darstellung des Menschlichen auf dem öffentlichen Platz wollte. Der Mann auf der goldenen Kugel dreht sich noch heute und überblickt das gesamte documenta-Gelände mit Sehenswürdigkeiten wie dem Parthenon der Bücher und dem Fridericianum.

Von den damaligen Streitereien ist auf der diesjährigen documenta 14 nichts mehr zu spüren. Die Begleitausstellungen gehören inzwischen ganz selbstverständlich zum Rahmenprogramm. Auf dem Turm der Karlskirche ist in diesem Jahr ebenfalls Kunst zu sehen. Der Turm soll an einen Leuchtturm erinnern. Er ist mit Spruchbändern verziert, die auf die Flüchtlingsdebatte verweisen.  Das Thema ist omnipräsent auf der documenta - und bildet somit eine gute Ergänzung zur größten Kunstausstellung der Welt.

 

Shilpa Gupta documenta 14 Kassel

»Luther und die Avantgarde« in der Karlskirche Kassel

Das Gebilde in der abgedunkelten Karlskirche ist irgendetwas zwischen Hornissennest und Monsterabhörgerät. Aus einer riesigen Traube schwarz glänzender Mikrofone wabert ein Stimmengewirr. »I keep falling at you« wiederholt monoton eine Frauenstimme, die von indischen Musikklängen oder militärischen Marschgeräuschen unterbrochen wird.

Datenkrake: Shilpa Gupta spielt mit Emotionen

»Dein Garten wächst auf mir; ich werde ihn mitnehmen in ein Land, dass du nicht mehr erreichen kannst, in ein Land, in dem Entfernungen nicht mehr wachsen«, spricht die Stimme. Shilpa Gupta, 1976 geboren, zählt zu den bekanntesten zeitgenössischen Künstlerinnen aus Indien. Ihre Installationen spielen mit der Macht der Sprache, mit Grenzerfahrungen, Unsicherheit und Identität.

Das klackernde Geräusch kommt von einem Flughafenpanel, das ebenfalls im Raum hängt. Alle paar Sekunden rattern Buchstaben und Zahlen durch und bilden seltsame Satzfragmente. Die lückenhaften Texte und Begriffe drehen sich um den Sinn des Lebens, um Zweifel, Ängste und Sicherheit.

Thomas Klipper und Massimo Ricciardo sammeln Müll von Flüchtlingen

Thomas Kilpper und Massimo Ricciardo beschäftigten sich mit dem aktuellen Flüchtlings-Thema: Die Rauminstallation »Ein Leuchtturm für Lampedusa!« zeigt die Fundstücke vom Meeresufer - alte Smartphones, ausgetretene Schuhe, Bücher, Telefonlisten, auch Ausweise.

Seit 2008 arbeitet der Künstler an der Idee eines kombinierten Leuchtturms und Kulturzentrums auf der italienischen Insel Lampedusa, die für viele Flüchtlinge der erste Kontakt mit Europa ist. Er will damit einen Ort der Kommunikation und Würde inmitten von Unmenschlichkeit schaffen. Die Fundstücke illustrieren das Schicksal der Flüchtenden - und stellen viele Fragen.

Die Begleitausstellung in der evangelischen Karlskirche am Karlsplatz gehört zur gleichnamigen Schau »Luther und die Avantgarde« in Wittenberg.

Anne Gathmann in der Elisabethkirche Kassel
Anne Gathmann in der Elisabethkirche Kassel

Schimmerndes Band in der katholischen Elisabethkirche

Ein schmales Band aus Aluminiumstäben hängt im Mittelschiff der Elisabethkirche in Kassel. Die minimalistische Intervention der Berliner Künstlerin Anne Gathmann richtet den Blick auf den Kirchenraum. Insgesamt 42 Meter lang ist das matt glänzende Band, das einen poetischen Bogen in den Kirchenraum zeichnet. Wir Menschen hier unten, dort oben der Himmel, ist nur die einfachste der vielen Lesarten dieses künstlerischen Elementes.

Anne Gathmann: »Statik der Resonanz«

»Unzugängliches, unbegreifliches wird durch Abwesenheit deutlich«, ist Gathmann überzeugt, und tatsächlich eröffnet das schmale Band eine Vielzahl von Sichtweisen auf den Kirchenbau, der aus den 1960er Jahren stammt. Da ist die seltsame Dachkonstruktion, die an eine Faltung des Mittelschiffes denken lässt; das Material Aluminium, das die warmen Sonnenstrahlen der lichten Fenster auffängt; die weiche Bogenform, die in Gedanken im Himmel über der katholischen Kirche zu einem Kreis ergänzt werden kann.

 

Karlskirche und Elisabethkirche

Karlskirche

Die Karlskirche befindet sich auf dem Karlsplatz in 34117 Kassel

www.ekkw.de

Öffnungszeiten: Montag bis Samstag, 13-20 Uhr; Sonntag, 10 Uhr Gottesdienst, anschließend bis 20 Uhr, Eintritt frei.

 

Elisabethkirche

Die Ausstellung »Statik der Resonanz. Anne Gathmann in der Elisabethkirche« ist von Donnerstag, 25. Mai, bis Samstag, 23. September 2017 zu sehen

Öffnungszeiten: Montag bis Samstag, 11-20 Uhr; Sonntag 12-20 Uhr, Eintritt frei.
Führungen: Donnerstag, 19.30 Uhr; Samstag, 17.00 Uhr; Sonntag, 15.30 Uhr. Um Spende wird gebeten.

Katholische Kirche Kassel: Elisabethkirche