Mein Vater ist vor ein paar Wochen gestorben. Er war fast 90 und lange krank. Wir mussten mit seinem Tod rechnen, und es war auch eine Erlösung, wie man halt so sagt.

Aber nun überkommt mich die Trauer auf eine so seltsame Art und Weise. Während meine Mutter auf den Friedhof geht und sagt: "Ich frag nicht, wo er ist. Es ist schon gut so …", weiß ich gerade nicht mehr, woran ich denken und woran ich glauben soll. Ich sehne mich danach, dass ich mir einen Ort vorstellen kann, an dem er jetzt ist, ich würde da so gerne hindenken - aber es geht einfach nicht.

Es ist nur Unruhe in mir - und ich möchte doch so gern in Ruhe und Frieden an ihn denken und an all das, was wir miteinander erlebt haben und was er mir mitgegeben hat.

Frau N.

Trauer als Suchbewegung

Manchmal komme ich auf einer Wanderung an einer Bank vorüber, die an einem Ort mit besonders schöner Aussicht steht. Ein kleines Schild ist auf dem Bankrücken angebracht: "In liebevoller Erinnerung an unsere Schwester, die so gerne hier gesessen ist." Ich stelle mir vor, dass die Geschwister, die diese Bank aufgestellt haben, sich gerade hier, bei diesem Blick mit ihr verbunden fühlen. Und ich wünsche ihnen, dass sie dann, wenn sie an ihre Schwester denken, diesen Ort vor sich sehen und diesen Blick und den leichten Wind spüren, der dort über die Landschaft weht.

Trauer ist für viele Menschen eine Suchbewegung, die sie lange umtreibt. Wie geht es für mich weiter nach dem Verlust eines geliebten Menschen? Aber eben auch: Wo ist dieser Mensch jetzt - und wo gibt es Orte, an denen ich seine Nähe spüren kann?

Verstorbener ist bei Gott geborgen

Die christliche Tradition kennt Antworten auf diese Fragen, wenn sie sagt: Der Verstorbene ist bei Gott geborgen, in seinen Händen, in seinem Schoß, in seiner Erde. Viele Menschen suchen aber auch nach anderen Bildern für das, was sie mit dem Verstorbenen verbindet, und sie suchen an anderen Orten. Denn Trauer ist kein Loslassen des Verstorbenen.

Man kann nicht einfach abhaken, was da geschehen ist. Trauer ist die Suche nach einer neuen Verbundenheit mit einem Menschen, den man geliebt hat und imUngkückemer noch liebt. Diese Suche braucht Zeit.

Die Dichterin Rose Ausländer hat einmal geschrieben:

Was vorüber ist / Ist nicht vorüber / Es wächst weiter in deinen Zellen / Ein Baum aus Tränen / Oder / Vergangenem Glück.

Dass etwas weiterwächst in mir, dass die Beziehung zu dem, der verstorben ist, nicht einfach aufhört, das ist ein schmerzlicher und tröstlicher Gedanke zugleich. Das, was da entsteht, braucht Raum, braucht Bilder - und diese Bilder werden sich immer wieder einmal verändern.

Ich möchte Sie ermutigen, diese Phase der Unruhe als ein Suchen zu verstehen, das mit Wachstumsschmerzen einhergeht. Vielleicht können Sie sich dabei immer wieder einmal fragen: Wo und wie ist mein Vater mir gerade jetzt nahe - an einem Ort, in einem Gedanken, der Ihnen wichtig ist, in einem Bild -, und bei sich liebevoll und aufmerksam beobachten, wie sich diese Gedanken, Orte und Bilder verändern und verwandeln und entfalten, wie ein Baum, der wächst.