Es ist die Zeit »zwischen den Jahren«, in der sich die großen deutschen Magazine und Zeitungen in ihren Titelgeschichten dem Christentum widmen. Freilich machten kurz vor der Jahreswende auch irritierende Schlagzeilen die Runde. Da twitterte Ulf Poschardt, Chefredakteur der Springer-Mediengruppe WeltN24 mitten in der Heiligen Nacht: »Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?« Und erntete erwartungsgemäß ein eifriges Pro und Contra auf Twitter, Facebook & Co.

Einem Medienprofi wie Poschardt möchte man ja den Missgriff in die argumentative Mottenkiste zugestehen – zum Handwerk der Journalisten gehört nun mal auch die zugespitzte Provokation. Nur zwei Tage später aber klagte die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Julia Klöckner in der Bild-Zeitung, die Kirchen sollten darauf verzichten, »parteipolitische Programme zu übernehmen«: Aus Kirchenkreisen sei mehr zum Thema Windenergie und Grüne Gentechnik zu hören »als über verfolgte Christen, über die Glaubensbotschaft oder gegen aktive Sterbehilfe«.

Julia Klöckner und Heiner Geißler

Dass dies zum Tagesgeschäft der Kirchen gehört, scheint Frau Klöckner zu ignorieren. Sie war noch ein Teenager, als Heiner Geißler vor gut dreißig Jahren den selben Gedanken mit anderen Worten formulierte: Anfang der 1980er-Jahre, mitten in der hoch emotionalisierten Debatte um Kernkraftwerke und Wettrüsten, legte der damalige CDU-Generalsekretär den Kirchen nahe, sie sollten sich statt um »vorletzte Dinge« wie Formaldehyd oder Pershing 2 lieber um die »letzten Dinge, um Gott und das Leben nach dem Tode« kümmern.

Geißler wurde bekanntlich nach seiner politischen Karriere Mitglied in der globalisierungskritischen Organisation »attac« und blieb bis zu seinem Tod im vorigen Jahr ein scharfsinniger Begleiter des Weltgeschehens. Und ihm war klar, dass kirchliches Engagement für den Frieden und die Schöpfung nicht aus dem Programm einer politischen Partei abgeschrieben wurde.

Dass manche Politiker und Journalisten nun uralte Vorurteile wieder auspacken, ist wohlfeil – und armselig. Weil sie die Wirklichkeit auf Schlagzeilen reduzieren und den Blick nicht weiten, sondern verengen. Mit Aussagen im Twitterformat lässt sich in der bundespolitischen Flaute vielleicht ein kurzfristiges Lüftchen auslösen und ein wenig Aufmerksamkeit in der eigenen Echokammer erheischen. Interesse an einer vernünftigen Diskussion signalisiert man damit nicht.