"Lass uns als Gebet unser Lied singen", ruft Alina Mönius (22). "Alles klar", schallt es zurück und alle stimmen den Gospel an: "Thank you Lord for giving us food. Hallelujah, praise the Lord." Auf dem langen Holztisch stehen Schüsseln mit dampfenden Kartoffeln, Rahmspinat und Rührei. Es ist 18.30 Uhr die meisten jungen Frauen zwischen 18 und 27 Jahren sind von der Arbeit, von der Schule oder von der Uni heimgekehrt. "Es ist so schön, wenn man abends nach Hause kommt und alle begrüßen einen und fragen, wie der Tag war", sagt Studentin Andrea Arfaoui und zupft später in der gemütlichen Lounge ihr Kopftuch zurecht.
Die 24-Jährige strahlt über das ganze Gesicht – und das obwohl sie sich eigentlich ärgern müsste: "Ich bin ausgestiegen aus der U-Bahn. Vor mir waren zwei Frauen, die sich türkisch unterhalten haben, und dann ich mit meinem Kopftuch. Das war wohl zu viel für einen Mann. Der hat sich an uns vorbeigedrängelt, den Kopf geschüttelt und gegrummelt: Da fühlt man sich ja fremd im eigenen Land!"

Ärger, Sorgen und Nöte – auf beiden Seiten. Wegen solcher Szenen leben Andrea Arfaoui, Alina Mönius und die anderen jungen Frauen derzeit unter einem Dach. Sie wollen herausfinden, was es braucht, um in Nürnberg trotz unterschiedlichem Glauben, Traditionen und Lebensrhythmen, gut zusammenzuleben. Offenbar nicht viel: "Am Anfang haben wir gedacht, wir brauchen einen Duschplan. Aber es geht auch so", lacht Alina Mönius. "Keine schnarcht. Wir verstehen uns prima, auch wenn ein paar ihr Bett nicht machen", fügt Andrea Arfaoui schmunzelnd an und Rumeysa Solak (21) wirft ein "Ich find’s super. Ich will gar nicht mehr nach Hause."

Die Evangelische Jugend hatte die Idee für die interrelgiöse WG-Woche

Das freut Dorothee Petersen von der Evangelischen Jugend in Nürnberg (ejn). Gemeinsam mit ihrer Kollegin Anja Kurschat hat sie die WG-Woche initiiert. "Ich möchte nicht, dass wir uns auseinander dividieren lassen. Ich möchte nicht, dass wir denken: Wir hier und die anderen mit dem Kopftuch da. Wir die Normalen und die anderen, die in die Moschee gehen dort. Das finde ich ganz schrecklich", gibt sie als Grund an.
Stattdessen: eine Woche lang gemeinsam aufstehen, frühstücken, am Abend dann kochen, basteln, singen, beten und ganz viel reden. "Es geht darum, sich zu begegnen. Klar, wir sehen uns in der U-Bahn und im Alltag, aber trotzdem wird immer wieder deutlich, wir wissen so wenig voneinander", ergänzt Petersen. Deshalb freut sie sich sehr über die Offenheit der jungen Frauen. "Für mich als Moslem ist es Pflicht, zur einer Gesellschaft positiv beizutragen und meine Mitmenschen ohne Vorurteile kennenzulernen", erklärt Rumeysa. "Wie machen es die anderen, das finde ich spannend. Es gibt ja kein richtig oder falsch", ergänzt Alina.

 

Offen diskutieren die jungen Frauen auch über intime Fragen der Religionen

Alle drei haben tatsächlich bereits Neues für sich entdeckt, zum Beispiel, dass das Kopftuch für Andrea und Rumeysa wichtig ist, um für andere als Muslimin erkennbar zu sein – und auf der anderen Seite, dass Christinnen auch ohne sichtbares Symbol tief in ihrem Glauben stehen können.
Herausgefunden haben sie das, weil sich die jungen Frauen trauen zu fragen. "Wir vertrauen uns und wissen, dass wir einander respektieren. Dann ist es auch möglich, ganz intime Fragen zu stellen", erklärt Alina. Genau das nehmen die jungen Frauen als eine Erkenntnis aus ihrer Woche Zusammenleben mit: "Gemeinschaft gelingt dort, wo wir der Vielfalt mit Neugierde begegnen. Gut zusammenleben bedeutet für uns Respekt, Offenheit und Verständnis füreinander und die Anderen mit ihren Gaben und Stärken wahrzunehmen", haben die jungen Frauen bisher in ihrem "Kriterienkatalog für eine gutes Zusammenleben" festgehalten.

Kritierienkatalog für gutes Zusammenleben als Tipp für Gesellschaft und Politik

Den Katalog möchte Petersen auch als Tipp an Gesellschaft und Politik weitergeben: "Ein gutes Zusammenleben braucht Zeit und Raum für Begegnung auf Augenhöhe. Deshalb sollte es noch mehr Räume geben, um dies zu ermöglichen. Wir alle können davon nur profitieren. Ein ehrliches Interesse aneinander hilft. Dann braucht keiner Angst vor der Zukunft oder vor dem Zusammenleben in einer interreligiösen Gesellschaft zu haben."