Der Münchner Orgelsommer findet heuer zum 5. Mal statt. Was zeichnet diese Reihe aus?

Knörr: Durch die Menge an Veranstaltungen hat die Reihe Festivalcharakter. Die Kantoren der evangelischen City-Kirchen präsentieren ihre Instrumente – allesamt bedeutende Orgeln. Außerdem nutzen sie eine Marktlücke: Im Sommer kommt der Konzertbetrieb in der Großstadt zum Erliegen. So rückt die Orgel in den Fokus der Stadt.

Neben den Gastgebern sitzen viele internationale Künstler an den Tasten, aus Italien, Südkorea, Österreich, Italien und Amerika. Lohnt sich der Aufwand?

Knörr: Durch die Internationalität weitet das Festival den Blick auf andere Länder und Orgel-Traditionen. Italien verfügt über zahlreiche historische Instrumente, das beeinflusst natürlich das Repertoire der italienischen Organisten. Im Norden gibt es viele große Orgelbauten mit mehreren Manualen. Und in Amerika, dem Land der Superlative, steht die größte spielbare Orgel in Atlantic City, mit 900 Registern und zigtausend Pfeifen. Die Vielfalt, die daraus entsteht, können die Zuhörer beim Orgelsommer erleben.

Der Schwerpunkt liegt auf Werken, die den Orchestercharakter der Orgel betonen. Aber spielt durch die Orgel denn nicht immer ein ganzes Orchester?

Knörr: Dem Motto liegt ein Ausspruch des französischen Komponisten César Franck zugrunde. Er soll gesagt haben: Die Orgel ist mein Orchester! Es gibt tatsächlich viele orchestrale Werke, die eigens für Orgel bearbeitet wurden. Bach zum Beispiel hat viele Konzerte für Orgel transkribiert. Aus den englischen Townhalls stammt die Tradition, Opern­ouvertüren auf der Orgel zu spielen, damit die Menschen, die dort Pause machten, diese Musik auch hören konnten. Von Anton Bruckner, einem der größten Orgel-Improvisateure überhaupt, existiert kein einziges explizites Orgelwerk – aber bei seinen Sinfonien hat er von der Orgel her gedacht. Und mittlerweile ist es ja auch wieder Mode, Kinofilme sinfonisch zu begleiten – das, was früher die alte Kinoorgel geleistet hat.

Kulturloch im Sommer hin oder her: Viele Klassikfans denken bei Orgel sofort an Gottesdienst und winken ab. Warum sollen die trotzdem zum Orgelsommer kommen?

Knörr: 2017 hat die Unesco die Orgel und die Orgelmusik zum immateriellen Kulturerbe erklärt. Das zeigt, dass die Orgel eben nicht nur ein Instrument zur liturgischen Begleitung ist, sondern ein Kunstinstrument wie die Geige oder der Flügel auch. Natürlich bewegt sich Orgelmusik oft im geistlichen Raum, aber das Programm des Orgelsommers bietet eine solche Vielfalt, dass auch kirchenferne Menschen viele Anreize darin finden. Und die evangelische Organisten-Szene in München bietet echte Künstler und Virtuosen, die den Vergleich mit weltlichen Musikern nicht scheuen müssen.