Thomas Müntzer ist als Schwärmer in die Annalen der Geschichte eingegangen: Als furioser Vertreter eines "Totschlagchristentums" oder "Satan von Allstedt", wie Martin Luther ihn  beschimpfte – aber nicht als der fromme, in Gott ruhende Prediger, wie es der Vorstellung von einem Mystiker entsprochen hätte. Und doch war Müntzer tief in der Welt der mittelalterlichen Mystik verwurzelt. Er schreibt:

Der Engel sprach zur Mutter Gottes: "Es ist bei Gott kein Ding unmöglich." Warum meine Allerliebsten? Wahrlich um deswillen, dass es der Natur ganz ein unmögliches, ungedachtes, unerhörtes Ding war (…), wie es uns bei der Ankunft des Glaubens muss widerfahren und gehalten werden, dass wir fleischlichen irdischen Menschen sollen Götter werden durch die Menschwerdung Christi und also mit ihm Gotts Schüler sind, von ihm selber gelehrt werden und vergottet sind, jawohl viel mehr, in ihn ganz und gar verwandelt, auf dass sich das irdische Leben schwinge in den Himmel.

Die "Veränderung der Welt", auf die er hinwies, begann nicht mit revolutionären  Umwälzungen in Kirche und Gesellschaft. Sie endete auch nicht im Aufstand des "gemeinen Mannes" 1525 bei Frankenhausen – sondern mit dem "Reich Gottes", das im Seelengrund des Menschen Gestalt annimmt.

Der Weg dorthin war der Heilsweg. Ihn sollte der von Gott auserwählte Mensch unter der Führung des Heiligen Geistes gehen, also in intimer Zwiesprache mit Gott – unverstellt von der Hierarchie des Klerus und der weltlichen Obrigkeit. Sie setzte in Müntzers Augen das Herrschaftsinstrument der "Kreaturenfurcht" ein, um sich die Untertanen gefügig zu machen und sie letztlich von der Gemeinschaft mit Gott fernzuhalten.

So war es der Wechsel von der "Kreaturenfurcht " zur "Furcht Gottes", die eine Welt der Brüderlichkeit und Gerechtigkeit, das "Reich Gottes " auf Erden, heraufziehen lassen sollte. Müntzer setzte nicht auf brachiale Gewalt. Er plädierte vielmehr für eine "fügliche Empörung", eine in der göttlichen Ordnung gründende, die Zukunft gestaltende Revolution. Die Art, wie Müntzer die Gegenwart Gottes mit der Zukunft des göttlichen Reichs verband, könnte der Anfang einer modernen Art mystischer Frömmigkeit gewesen sein.

In unseren Tagen haben Ernst Bloch, Dorothee Sölle und Roger Schutz je auf ihre Weise darauf hingewiesen, dass mystische Frömmigkeit ein aktives gesellschaftliches Engagement nicht ausschließt,

sondern geradezu beflügelt.

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