Kürzlich war in einem Artikel des Sonntagsblatts zum Ablauf eines Gottesdiensts auch vom Friedensgruß die Rede. Ein wunderschöner Brauch, aber ich habe so meine Probleme damit. In meiner Gemeinde gibt es nämlich zwei Mitglieder, denen ich an dieser Stelle jedenfalls niemals die Hand reichen würde.

Beide sind Menschen, die fast meine berufliche Existenz vernichtet hätten... Einmal gab es gar keine menschliche Reaktion, als ich meiner Empörung Ausdruck gab, im anderen Fall bekam ich nichts als ein wegwerfendes Schulterzucken. Gerade dieser Herr aber besucht, wie ich auch, den Gottesdienst. Irgendwie ist ihm dabei wohl das Schlechte seines Tuns bewusst geworden, denn wenn er mich sieht, verdrückt er sich in die hinterste Reihe oder verschwindet schnellstens. Und einem solchen Menschen soll ich die Friedenshand reichen??

Ich habe auch mit unserem Gemeindepfarrer über dieses Problem gesprochen. Er sah die Schwierigkeit, ließ aber alles offen. Wie soll man auch verzeihen, meinte er, wenn keiner um Verzeihung bittet? Und irgendein Wort des Bedauerns hat es in der Tat bei keinem der beiden gegeben.

Herr L.

Ihnen wurde übel mitgespielt und darüber sind Sie zornig und gekränkt. Die Aufforderung zum Friedensgruß erinnert Sie jedes Mal von Neuem an die offene Wunde. Dass Sie das wahrnehmen und dabei einen großen Widerwillen für diese kleine Geste empfinden, ist für mich einfühlbar. Was tun? Ich skizziere drei Möglichkeiten:

1. Der Status quo. Sie lassen alles, wie es ist, und ignorieren die Einladung zum Friedensgruß auch weiterhin. Jedenfalls im Blick auf die Menschen, von denen Sie sich so verletzt fühlen. Manches mag für diese Möglichkeit sprechen, eines aber spricht mit Sicherheit dagegen. Die Tatsache nämlich, dass die Wunde weiter offen bleibt und wahrscheinlich sogar auf andere Bereiche ausstrahlen wird.

2. Die Bergpredigt. Dort sagt Jesus: "Wenn dich im Gottesdienst die Auseinandersetzung mit deinem Bruder einholt und belastet, dann geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder" (frei übertragen nach Matthäus 5,24). Konkret: Sie suchen den Kontakt und erzählen dem anderen, wie es Ihnen beim Friedensgruß geht, wie all das hochkommt, was geschehen ist, und dass Sie in dieser Beziehung weiterkommen möchten.

3. Der Sprung. Die Bibel kennt noch eine dritte, eine außergewöhnliche Möglichkeit: "Mit meinem Gott", lässt Sie ein Gemeindeglied sagen, "kann ich über Mauern springen" (Psalm 18,30). Konkret: Sie springen in den Ritus hinein und überspringen dabei alle Mauern, deren Sie sich bewusst sind. Die Mauer des Stolzes zum Beispiel ("Diese Blöße gebe ich mir nicht") oder die Mauer der Katastrophenerwartung ("Das muss ja in die Hose gehen"). Sie gehen auf Ihren Konfliktpartner zu und reichen ihm die Hand: "Friede sei mit dir". Und dann? Ich weiß nicht, was dann passiert. Aber ich kenne die Erfahrung, dass in einem solchen Wagnis manchmal ein Wunder beschlossen liegt.

Ich denke an Sie mit guten Gedanken - und mit ein bisschen Neugier, wofür Sie sich entscheiden.