Evangelische Kirchen sollen über Google besser auffindbar sein. Dafür sind Sie eine Kooperation mit der Marketingfirma Yext eingegangen. Wie funktioniert das System?

Reimann: Wir haben im März 2019 – in Abstimmung mit der Stabsstelle Digitalisierung im EKD-Kirchenamt – das Projekt gestartet. Ziel ist eine bessere Auffindbarkeit von Kirchen im Internet bei Suchdiensten und Sprachassistenten wie Google oder Alexa. Denn der Erstkontakt vieler Menschen mit Kirche ist erst einmal digital – und Google ist nunmal der am meisten genutzte Suchdienst in Deutschland. Über den Dienstleister Yext haben wir nun erreicht, dass wer eine evangelische Kirche in das Google-Suchfeld eingibt, auch die Kirche in der Nähe angezeigt wird.

Was musste vorab dafür getan werden?

Reimann: Für diese Art Dienst müssen die Daten der Gemeinden strukturiert sein und in einer Datenbank vorliegen. Gleiches gilt für die Termine. Wenn ich einen Gottesdienst in meiner Nähe suche, können diese Daten nur ausgespielt werden, wenn sie auch strukturiert vorliegen.

Und funktioniert diese Suche jetzt besser als früher?

Reimann: An den Google-Daten konnte man sehr deutlich sehen, dass wir im September 2019 schon die Zugriffszahlen hatten, die wir sonst an Weihnachten gehabt hätten. Früher haben wir immer gesehen, wie die Suchanfragen in der Weihnachtszeit bei den Gottesdiensten zugenommen haben. Jetzt sehen wir, dass es viel mehr Suchanfragen gibt.

Im Rheinland hatten wir das große Glück, dass wir auf die Google-Businesskonten der Gemeinden zugreifen konnten. Dort waren die Daten oft nicht gepflegt. Hier haben wir signifikante Verbesserungen messen können. Wenn jemand heute die Lutherkirche in Speldorf sucht, dann wird sie nun bei Google gefunden und ich bekomme auch gleich eine Wegbeschreibung oder die Kontaktadresse geliefert.

Im Oktober dieses Jahres haben wir einen weiteren Piloten gestartet und sind die Suche auf unserer eigenen Website angegangen.

Das Besondere an dieser Suche ist, dass sie natürlichsprachlich funktioniert. Wer also in natürlicher Sprache fragt: "Wann ist Gottesdienst in der Lutherkiche in Speldorf?", bekommt jetzt genau die Gottesdienst-Termine dieser Kirche angezeigt. Dabei nutzt diese Suche auch Künstlicher Intelligenz.

Ebenso erkennt die Suche die Intention und den Wunsch der Nutzerin oder des Nutzers. Wenn jemand fragt, was brauche ich, um mein Kind taufen zu lassen, dann möchte er kein PDF-Dokument zur Taufe bekommen, sondern er möchte vermutlich die Voraussetzungen für eine Taufe erfahren und einen Ansprechpartner vor Ort finden. Und hier können wir die Daten viel präziser ausliefern als bisher.

Warum sollte Kirche auf so eine Technologie setzen und KI nutzen?

Reimann: Die meisten Unternehmen nutzen diese Technologie, um Anfragen möglichst rasch und unaufwändig zu beantworten. Über die Suche erfährt das Unternehmen, welches Problem der Nutzer hat und wie es gelöst werden kann. Der Kunde ruft nicht mehr an, weil er alle Informationen im Netz findet, und das Unternehmen spart dadurch Kosten.

Als Kirche ist es erstmal wichtig, nah bei den Menschen zu sein. Wenn Menschen also Fragen haben, die wir auf der Webseite beantworten können, ist das gut. Aber das ist natürlich nicht alles. Kirche lebt von dem menschlichen Kontakt. Und hier können wir nun Angebote machen und zusätzliche Kontaktfläche – z.B. zu Ortsgemeinde – schaffen.

Sollte sich Kirche mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen?

Reimann: Künstliche Intelligenz ist zurzeit für Kirche noch kein Thema – sollte es aber sein, und zwar aus verschiedenen Gründen. So treibt die Künstliche Intelligenz viele Entscheidungen voran. Wenn wir uns dessen nicht bewusst sind, dann merken wir auch nicht, wie unsere Gesellschaft durch KI verändert wird. Wir sollten uns anschauen, welche Entscheidungen wir an Algorithmen und Künstliche Intelligenz delegieren. Wir sollten diese Fragen sozialethisch und theologisch reflektieren.

Was der Einsatz von Algorithmen bedeutet, wird an vielen Untersuchungen deutlich. In den USA werden die Begnadigungen von Strafgefangenen über Künstliche Intelligenz vorbereitet. Und da hat sich gezeigt, dass dieser Vorgang nicht diskriminierungsfrei ist, weil das System etwa Afroamerikaner anders beurteilt hat als Weiße. Es ist also wichtig, dass wir uns dieser Mechanismen bewusst sind. Denn es hängt immer von den Daten ab, mit denen die Künstliche Intelligenz trainiert wird. Je nachdem, welche Daten zur Fütterung verwendet werden, kommen andere Ergebnisse heraus.

Und was bedeutet dieser Umgang mit Daten für die Kirche?

Reimann: Es stellt sich die Frage, welche Prozesse wir hier abbilden wollen. Wollen wir auf einer kirchlichen Webseite ein System einsetzen, wenn es den Menschen hilft? Oder muss jede Hilfe von einem Menschen kommen - weil eben bei Kirche die menschliche Begegnung wichtig ist? Und was ist mit den Anfragen, die an Seelsorger gehen? Wie gehen wir da mit den Daten um? Ich habe keine Antwort darauf. Aber ich finde, wir sollten uns die Chancen nicht verbauen, sondern diese Fragen offen diskutieren. Deshalb sollten wir über Künstliche Intelligenz nachdenken.

Welche technologische Entwicklung wird kommen - Virtual Reality?

Reimann: Die technische Entwicklung stellt uns viele Fragen. So müssen wir uns Gedanken machen zum Umgang mit Virtualität. Ich war kürzlich als Avatar bei einer Virtual Reality Veranstaltung und habe mich dort sofort zurechtgefunden. Ich habe mit einer anderen Person Schach gespielt und mich ganz natürlich unterhalten können, ich hörte von hinten die Menschen, die hinter mir stehen. Ich habe sehr schnell vergessen, dass ich mich nur in einer virtuellen Realität befinde – ich konnte Menschen sogar per Handschlag begrüßen. In Pandemie-Zeiten eine Nähe, die es in der realen Welt nicht gibt.

Das ist eine Technologie, die bald allgemein verfügbar sein wird. Und wir müssen überlegen, wie sich diese virtuelle Welt zu unserer realen Welt verhält. Da gibt es komplexe Zusammenhänge, an die wir uns herantasten müssen.

Es gibt auf diesem Feld gerade viele sehr positive Anwendungen - im Bereich von Medizin oder im Bildungsbereich. Dort kann ich auf einmal Räume erkunden, zu denen ich sonst keinen Zugang hätte. Aber wir müssen eben auch überlegen, was mit dem Thema Begegnungen ist: Was passiert, wenn mein Avatar auf einen anderen Avatar trifft? Diese Begegnungen bekommen nun plötzlich eine ganz andere Qualität. Und da gibt es keine Vorbilder, die wir aus der Theologiegeschichte hervorziehen können. Da ist es wichtig, dass wir uns da herantasten und zur Kenntnis nehmen, wo wir eigentlich stehen, und dann als Theologinnen und Theologen auf Augenhöhe mit den anderen unsere Position einbringen.

 

Das Interview ist eine gekürzte und bearbeitete Transkription eines Video-Interviews, das in der Sonntagsblatt-Youtube-Playlist "Digitalisierung & Kirche - Beiträge für die #digitalekirche" in voller Länge angesehen werden kann.

Kommentare

Diskutiere jetzt mit und verfasse einen Kommentar.

Teile Deine Meinung mit anderen Mitgliedern aus der Sonntagsblatt-Community.

Anmelden