Karl Mayer schaut ein- bis zweimal die Woche hier vorbei. Seinen silbernen Mercedes hat der Mann mittleren Alters direkt vor der Tür der Autobahnkirche Adelsried bei Augsburg geparkt. Etwa zehn Minuten verweilt er in der Kirche, dann kommt er wieder nach draußen. "Hier drin kann ich ganz in Ruhe zu mir finden", sagt Mayer. Jedes Mal, wenn er beruflich von seinem Wohnort bei Günzburg nach Augsburg fahre, halte er hier kurz an. "Das hilft", sagt er: "Seit ich das mache, gelingt mir vieles besser."

Mayer ist nicht der Einzige, der an diesem sonnigen Tag an dem schlichten Gotteshaus an der A8 zwischen München und Stuttgart vorbeikommt. Alle paar Minuten betreten Reisende den Innenraum der Autobahnkirche, in den durch die großen Glasfenster viel Licht fällt. Einige gehen danach noch zu dem Holzkreuz hinauf, das wenige Meter von der Kirche entfernt über der Autobahn thront. Das Kreuz gibt es seit drei Jahren. Die Kirche ist deutlich älter: Sie war die erste Autobahnkirche Deutschlands – und wird am 12. Oktober 60 Jahre alt.

Besucher der Autobahnkirche Adelsried meist männlich

Gestiftet hat die Kirche mit dem Namen "Maria, Schutz der Reisenden" ein Augsburger Papierfabrikant. Betreut wird sie seit ihrer Weihe im Jahr 1958 von Augsburger Dominikanern. "Die Leute, die hier anhalten, wollen vor allem ihren Kopf auslüften, Ruhe finden, still beten", sagt Dominikanerpater Wolfram Hoyer. Der 49-Jährige betreut die Kirche seit 2007 als Seelsorger.

Seine "Hauptkundschaft" seien Menschen, die beruflich auf der Autobahn unterwegs sind: Handelsreisende, Lkw-Fahrer, Polizisten. "Die Autobahn ist auch ein Arbeitsplatz", erklärt Hoyer. Und da dort vor allem Männer arbeiten, seien auch die Besucher der Kirche in der Mehrzahl männlich – und zwischen 20 und 60 Jahre alt. "Eine Klientel, die man in Gemeindegottesdiensten oft gar nicht findet", meint der Pater.

Rund 50.000 besuchen Autobahnkirche Adelsried jährlich

Etwa 50.000 Menschen machen jährlich in Adelsried Halt, schätzt Hoyer. Bundesweit besuchen eine Million Reisende die 44 deutschen Autobahnkirchen, heißt es bei der Akademie der Versicherer im Raum der Kirchen, die die Arbeit der Autobahnkirchen koordiniert und fördert. Das Angebot einer "Rast für Leib und Seele", so der Slogan der Autobahnkirchen, werde gut angenommen, meint Volker Thorn von der Akademie: "Das sieht man an den Anliegenbüchern, die in den Kirchen ausliegen. Die Menschen sind dankbar dafür und schreiben querbeet rein, was sie beschäftigt."

Auch in der Adelsrieder Kirche gibt es ein solches Buch. "Danke, dass ich Opa und die Erben an einen Tisch gebracht habe", hat eine Frau dort hineingeschrieben. Eine andere bittet Gott darum, "dass Papa gesund wird und ich ihn wieder ganz fest in die Arme nehmen kann". Zwei dieser Bücher mit jeweils 1.000 Seiten schreiben die Besucher jedes Jahr voll, erzählt Wolfram Hoyer.

Manche sprächen ihn auch persönlich an, wenn er – vor allem in der Reisezeit – in der weißen Kutte seines Ordens still in der Kirche sitze. Da gehe es dann um ganz verschiedene Themen: Schicksalsschläge, Scheidung, Geldsorgen. "Während der Finanzkrise fuhren hier viele Leute mit großen Autos vor, die Existenzangst hatten." Das Schöne an der Autobahnkirche sei für ihn als Seelsorger, "dass ich hier sitzen kann – und die ganze Republik kommt bei mir vorbei".

Gottesdienste: 40 Minuten und ohne Orgel

Gefragt sind auch Hoyers jeweils drei Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen. Bis zu 600 Menschen kommen dazu in die Kirche. "Kurz, knackig, aber gültig" seien die Feiern, sagt Hoyer. Gesungen werde mangels Orgel a cappella, die Liturgie sei einfach – aber vollständig. Ausgelassen werde nichts, versichert er, auch wenn der Gottesdienst nur 40 Minuten dauere: "Das ist vielleicht auch ein Grund, warum so viele kommen", meint er lachend.

Christoph Fürstberger ist heute aus einem anderen Grund hier. Der 21-Jährige stammt aus der Gegend. Seit zwei Jahren fährt er als Vertriebsmitarbeiter regelmäßig von Bochum nach Österreich. "Wenn ich Zeit habe, halte ich hier, um an meinen Opa zu denken und darum zu bitten, dass ich selbst gut durchkomme." Sein Großvater sei bei einem Unfall auf der Autobahn ums Leben gekommen. Früher habe er die Kirche gar nicht wahrgenommen, erzählt Fürstberger. "Heute finde ich es schön, dass es sie gibt. Man fühlt sich besser, wenn man hier Halt gemacht hat."