Herr Götz, können Sie sich noch erinnern, wie es war, als Sie am 1. Oktober 2000 im Diako angefangen haben?

Heinrich Götz: Aber natürlich. Vor allem erinnere ich mich daran, dass es damals noch 150 Diakonissen waren. Viele Leitungspositionen waren noch mit Diakonissen besetzt. Heute gibt es im Diako noch 39 evangelische Schwestern. Die jüngste von ihnen ist 78 Jahre alt. Die älteste ist 102: Das ist die Schwester Anni. Sie war heute früh noch fröhlich beim Hausbibelkurs dabei.

Was bedeutet es für das Diako, wenn die Schwestern immer älter und immer weniger werden?

Götz: Ich habe damals schon bei meiner Einführung gesagt, dass die Prägekraft der Diakonissen in den kommenden Jahren abnehmen wird. Und dass wir etwas entwickeln müssen, damit die Idee der Nächstenliebe und des Helfens, für die die Diakonissen stehen, von den Mitarbeitenden weitergetragen wird. Deswegen haben wir das sogenannte "Diakonat" als Zusatzqualifikation entworfen. Das hat sich bis heute bewährt.

Welches Ziel hat das Diakonat?

Götz: Es ist eine geistliche Ausbildung, die der der Diakonissen ähnelt. Sie umfasst insgesamt 120 Stunden. Dabei geht es um die Bibel, um Glaube, um die Geschichte der Diakonie und der Diakonissen.

Es ist aber auch eine Ausbildung in Nächstenliebe, eine Art Herzensbildung für die Mitarbeiter.

Das Diakonat soll dafür sorgen, dass der Auftrag und der Geist der Diakonissen auch künftig im Haus lebendig bleiben.

Und gelingt das?

Götz: Ich denke schon. Ich bekomme von vielen Besuchern die Rückmeldung, dass bei uns im ganzen Haus ein diakonischer Geist zu spüren ist. Das ist auch das Verdienst unserer Mitarbeitenden. Ich glaube, wer bei uns im Diako arbeitet, dem ist es ein Anliegen, dass wir jedem, der hierher kommt, freundlich begegnen.

Warum ist Ihnen das so wichtig?

Götz: Wir betreiben hier ein Krankenhaus und ein Pflegeheim. Und jeder, der in die Stadtklinik oder ins Pflegeheim muss, ist aufgeregt, und unsicher – egal, ob er jung oder alt ist. Deswegen ist es wichtig, dass die Menschen, die zu uns mit ihren Fragen und Sorgen kommen, sich hier gut aufgehoben fühlen.

Wie bekommen Sie Menschlichkeit und Kostendruck im Kranken- und Pflegebereich unter einen Hut?

Götz: Wir müssen nicht gewinnorientiert sein. Wir haben keine Anleger, die von uns eine Dividende fordern.

Unsere Einnahmen müssen zwischen ein und zwei Prozent größer sein als die Ausgaben, damit wir die Investitionen bedienen können. So versuchen wir wirtschaftlich zu sein, "im Trend" zu bleiben.

Und gleichzeitig arbeiten wir beim Thema Menschlichkeit gegen den Trend. "Im Trend gegen den Trend" – das ist unser Motto für eine spirituelle Unternehmenskultur.

Das heißt, Sie arbeiten wirtschaftlich, betrachten aber nicht alles aus wirtschaftlicher Perspektive?

Götz: So kann man es sagen. Unser Anliegen ist der Mensch. Den darf man nicht wirtschaftlich betrachten. Der Mensch muss immer im Mittelpunkt stehen. Das versuchen wir hier zu leben. Wir schaffen das nicht jeden Tag und kommen dabei auch oft an unsere Grenzen. Aber wir bemühen uns und halten die Latte hoch.

Wie sehen Sie die künftige Rolle der Diakonie-Unternehmen im Pflege- und Gesundheitsbereich?

Götz: Ich denke, dass wir besonders darauf achten müssen, die Führungspositionen auch künftig mit Theologen zu besetzen. Ökonomen achten vor allem auf ihre Zahlen, und das ist auch in Ordnung. Viele sind sogar offen für spirituelle Angebote. Aber selbst erfinden werden sie diese nie. Das muss der Theologe tun. Er hat das Gespür dafür, was über die Wirtschaftlichkeit hinaus noch nötig ist, damit das Geistliche im Unternehmen weiterschwingt.

Spiritualität und Ökonomie schließen sich also nicht aus?

Götz: Nein, im Gegenteil. Sie können sich gegenseitig sogar befruchten. Das ist eine sogenannte Win-win-Situation.

atürlich kostet es Geld, wenn wir unsere Mitarbeitenden das Diakonat machen lassen oder sie auf Einkehrtage schicken. Aber diese Dinge schaffen Beziehungen – von Mitarbeiter zu Mitarbeiter, von Mitarbeiter zu Vorstand, von Mensch zu Mensch, von Mensch zu Gott.

Das schafft eine menschliche Atmosphäre im Haus. Es schafft Vertrauen und es erspart uns viele Konflikte, die für ein Unternehmen ja auch teuer sein können.

Werden Sie diese Atmosphäre künftig vermissen?

Götz: Das wird sicher so sein. Meine Frau und ich haben die Jahre hier im Diakonissenhaus wirklich gelebt. Wie wenn es zu uns gehören würde: eine Art Familienbetrieb. Wir haben immer gemeinsam im Sommer einen Ausflug gemacht, bei dem alle Schwestern mitfahren konnten. Das ist nichts Großes. Aber Ausflüge und gemeinsame Feste stiften Gemeinschaft. Eine Gemeinschaft, deren Grundlage das Evangelium ist. Da spielt es keine Rolle, ob jemand evangelisch, katholisch oder freikirchlich ist. Diese Grundlage für unsere Arbeit war mir immer sehr wichtig: das Evangelium und der christliche Glaube.

Augsburger Diakonissen gibt es seit 160 Jahren

Die Augsburger Diakonissenanstalt gibt es seit dem 15. Oktober 1855. Damals nahm Julie Hörner aus Straßburg in einer Augsburger Mietswohnung ihre Arbeit auf. Aus dem bescheidenen Anfang hat sich ein umfassendes Werk entwickelt. 1893 wurde das Mutterhaus an der Augsburger Frölichstraße eingeweiht. Zu Hochzeiten lebten und arbeiteten dort fast 600 Diakonissen.

Heute hat das Diako etwa 650 Mitarbeiter. Alleine 300 davon sind in der Stadtklinik beschäftigt, die von 2007 bis 2017 auf dem Gelände an der Frölichstraße errichtet wurde. Zum Diako gehören neben Klinik und Pflegeheim auch das "Hotel am alten Park" und ein Schulzentrum. Darin ist neben den Pflegeschulen auch die Fachakademie für Sozialpädagogik untergebracht.

Heinrich Götz

Rektor der Evangelischen Diakonissenanstalt Augsburg / Synodaler
Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern

Heinrich Götz ist eines von dreizehn berufenen Mitgliedern der bayerischen Landessynode. Er gehört dem Finanzausschuss an.

Der gebürtige Nördlinger ist Pfarrer und Rektor der Evangelischen Diakonissenanstalt Augsburg sowie Vorsitzender des Diakonischen Rates der bayerischen Landeskirche.

Wohnort: Augsburg