Worum geht es beim Ökumenischen Studienkurs?

Martin: Ganz klassisch geht es darum, Europa eine Seele zu geben. Begonnen hat das 1967 mit der Versöhnung zwischen deutschen Lutheranern und britischen Anglikanern. Im Krieg waren sie verfeindet, doch als Kirche gehörten sie zusammen. Bald öffnete sich diese Versöhnungsarbeit Richtung Osteuropa. Sie hat ermöglicht, dass der Kontakt zu den christlichen Kirchen hinter dem Eisernen Vorhang nie ganz abgerissen ist und letztlich auch zum Fall der Mauer beigetragen. Gegenwärtig geht es um den Einigungsprozess in Europa: Bei allen unterschiedlichen politischen Ansichten gehören auch heute Christen immer zusammen.

 

Als Beispiel für innerkirchliche Versöhnungsarbeit sprechen Sie in Josefstal über den Prozess zwischen Lutheranern und Mennoniten. Worum ging es da?

Martin: Beim Empfang zum Jubiläum der Confessio Augustana 1980 waren auch die Mennoniten eingeladen. Der Pastor der Regensburger Mennonitengemeinde, Willi Wiedemann, sollte ein Grußwort sprechen. Dabei betonte er, nicht die "eigene Verdammung zu feiern". Denn das Augsburger Bekenntnis hatte die Wiedertaufe unter Todesstrafe gestellt. Wiedertäufer wurden zur Reformationszeit verfolgt und fanden Asyl in Böhmen, Mähren oder der Pfalz. Wir haben bei dem Festakt in Augsburg gemerkt, dass da im Verhältnis von Lutheranern und Mennoniten als Nachfahren der Täufer noch etwas offen ist. Intensive Gespräche begannen in Bayern und wurden später auf VELKD-Ebene fortgesetzt. Zum Abschluss des Dialogs gab es zwei Versöhnungsgottesdienste, in Hamburg und in Burgweinting. Der Lutherische Weltbund und die Mennonitische Weltkonferenz nahmen den Faden mit Lehrgesprächen auf. Während der Vollversammlung des Weltbunds in Stuttgart 2010 kam der Dialog auf Weltebene mit einer Versöhnungsfeier zum Abschluss. Zentral war, die gemeinsame Leidensgeschichte aus verschiedenen Blickwinkeln anzuschauen. Zum "Healing of Memories" gehört, dass aus einer Geschichte von Siegern und Verlierern eine gemeinsame Geschichte wird – dann entsteht Versöhnung.

 

Um das zu üben, sollen sich beim Studienkurs in Josefstal Kirchenvertreter aus Ländern, die den deutschen Kurs in der Flüchtlingspolitik ablehnen, mit den Befürwortern der Willkommenskultur versöhnen. Das ist kein 400 Jahre alter Konflikt, sondern ein hochaktueller – wie kann das gelingen?

Martin: Nehmen wir nur mal unsere Partnerkirche in Ungarn: Nach Kräften unterstützen Kirche und Diakonie dort die Versorgung von Flüchtlingen, auch gegen den heftigen Widerstand des Staats. Sie sagen aber auch: Die Öffnung der Grenze 2015 durch Deutschland war für unseren Staat ein großer Fehler. Darüber muss man reden! Schließlich ist Deutschland wirtschaftlich der größte Gewinner in der Europäischen Union. Deren Manko ist, dass es zwar einen gemeinsamen Markt, aber keine gemeinsame Sozial- oder Wirtschaftspolitik gibt – und somit auch keine echte Solidarität. Das Projekt des gemeinsamen Hauses Europa ist noch nicht zu Ende. Indem die Kirchen miteinander im Gespräch bleiben, leisten sie einen Beitrag für ein gemeinsames Europa.

 

Können Kirchen denn wirklich Impulse senden in die politisch zerstrittene EU?

Martin: Davon bin ich überzeugt. Dass die Kirchen bis 1990 über den Eisernen Vorhang hinweg immer im Dialog geblieben sind, hat einen Beitrag zur Wiedervereinigung gebracht. Unsere Partnerkirchen stehen in ihren Ländern oft allein da: In Rumänien gibt es gerade noch 10 000 evangelische Christen. Aber mit ihrer Schularbeit und ihrer Diakonie – von deren Hilfen nicht nur die Protestanten profitieren – wirken sie in die Gesellschaft hinein. Die Impulse der Kirchen sind immer subtil, denn sie können Politik nicht ersetzen. Sie können aber der Humus sein für die Verständigung der Menschen miteinander.