Normalerweise lehrt und forscht Johanna Stiebert an der englischen University of Leeds. Dort wird die 48-jährige Professorin in Kürze auch ein Projekt zum Thema "Sexuelle Gewalt und Religion" an Highschools starten. Noch ist sie allerdings bis Juli als Gastforscherin in Bamberg an der Uni tätig.

Stiebert wuchs in einem nicht religiösen, aber politischen Elternhaus auf. In Neuseeland, wo sie viele Jahre lebte, kam sie mit Hebräisch und dadurch mit der Bibel in Kontakt: "Mich faszinierten diese Texte, die vor Tausenden von Jahren geschrieben wurden."

Wissenschaftlerin Stiebert forscht über die Bibel

Stiebert studierte in Cambridge Alttestamentliche Wissenschaften, in Glasgow promovierte sie in Bibelwissenschaft. Seither befasst sie sich mit jenem Buch, das angeblich Bertolt Brechts Lieblingslektüre darstellte.

Aktuell beschäftigt sie vor allem, in welchem Zusammenhang Frauen in der Bibel auftauchen. Die werden dort an vielen Stellen gedemütigt und gequält – brutale Vergewaltigungen kommen mehrfach vor, zum Beispiel im "Buch der Richter". Im Mittelpunkt, sagt Stiebert, steht eine Frau, die vor ihrem Mann, einem Leviten, ins Haus ihres Vaters geflohen ist.

Bibel mit Geschichten über Misshandlung von Frauen

"Warum, wissen wir nicht", sagt Stiebert. Ihr Mann zieht los, um sie zurückzuholen. Weil der Heimweg weit ist, muss er mit ihr unterwegs übernachten. "Gesindel" will dem Leviten übel mitspielen. Um sich zu schützen, gibt er seine Frau hin. "Sie missbrauchten sie und trieben die ganze Nacht hindurch bis zum Morgen ihren Mutwillen mit ihr", heißt es in der Bibel. Am nächsten Tag lud der Mann die Frau auf den Esel und zog nach Hause und zerschnitt sie in zwölf Stücke. Kurz danach ist im "Buch der Richter" von einer Massenvergewaltigung im Ort Schiloh die Rede.

Was an der Geschichte historisch wahr ist, lässt sich nicht beantworten, sagt die Gastforscherin am Bamberger Lehrstuhl für Neutestamentliche Wissenschaften. Eine Frage aber dränge sich auf: Warum war es dem Autor wichtig, dies niederzuschreiben? "Ein Manuskript anzufertigen war damals aufwendig", gibt Stiebert zu bedenken. Nicht vergleichbar mit der Mühelosigkeit, mit der heute am PC getextet wird. Nicht nur im "Buch der Richter" haben Frauen wenig zu lachen. Auch im Zweiten Buch Samuel wird eine Vergewaltigung beschrieben. Wenn auch verhüllter.

Warum muss Bibel erforscht werden?

Hier "nimmt" sich König David, nachdem er sie baden gesehen hatte, Bathseba. Während der biblische Ort Schiloh nur Insidern bekannt ist, weiß hierzulande jeder, ob gläubig oder nicht, wer Eva ist. Eva, das ist jene Frau, die angeblich Adam verführt hat. Darauf heben unzählige Werbespots ab, etwa einer mit Claudia Schiffer und Sylvester Stallone für das Label Gianni Versace. Doch ausgerechnet diese Bibelszene hebe überhaupt nicht auf Sexuelles ab, sagt Stiebert. Dennoch werde Eva als Symbol oft im Zusammenhang mit sexistischer Werbung verwendet.

Wer heutzutage Bibelwissenschaften betreibt, muss sich Anfragen gefallen lassen: Ist es finanziell zu rechtfertigen, so viel Zeit mit Texten zu verbringen, die womöglich völlig fiktiv sind? Die Existenzberechtigung des Fachs wird teils infrage gestellt. In Stieberts Heimat England sind Bibelwissenschaftler mit Kürzungen konfrontiert. "Das macht mich sehr traurig", erläutert die Stipendiatin der Alexander von Humboldt-Stiftung, die zehn Jahre ihrer Kindheit in Deutschland verbrachte. Die Bibel sei doch schließlich "Teil unseres kulturellen Erbes", betont sie.

Gewalt und Sexismus auch im Neuen Testament

Nach Stieberts Überzeugung ist es für eine Religion, die sich auf die Bibel beruft, notwendig, sich kontinuierlich mit dem "Buch der Bücher" auseinanderzusetzen. Und zwar auch und gerade mit jenen Stellen, die vor Gewalt strotzen. Das Thema gewann in den vergangenen Jahren an Brisanz, nachdem überall etliche Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern in kirchlichem Kontext bekannt wurden. "Gewalt", "Sexismus" und "Frauenverachtung" seien demnach also keineswegs Themen allein des Alten Testaments. Sie seien vielmehr aktueller denn je, sagt sie.

Stieberts Anliegen ist es, Brücken zwischen den modernen Themen der Frauen- und Menschenrechte und den viele Jahrhunderte alten Texten der Bibel zu schlagen. Von 1999 bis 2002 lebte sie in Botswana, wo sie die Bibel als Mittel entdeckte, mit Einheimischen über Aids ins Gespräch zu kommen. Diese Erfahrungen flössen in ein aktuelles Schülerprojekt in England ein, zusammen mit Kolleginnen der Unis in Sheffield und York. In diesem Fall soll die Bibel das Mittel sein, um mit Highschool-Schülern über sexuelle Gewalt und Religion in Popkulturen in Dialog zu treten.