Herr Graßmann, mit welchen Problemen beschäftigt sich heute die Diakonie?

Fritz Graßmann: Die Herausforderungen sind so vielfältig wie unsere 35 Einrichtungen. Mehr als die Hälfte unserer Mitarbeitenden arbeiten in unseren fünf Pflegeheimen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Sozialpsychiatrie, die sich in Augsburg, aber auch im Ostallgäu um psychisch behinderte Menschen kümmert und ihnen hilft zu einem Leben möglichst ohne stationäre Unterbringung in den Bezirkskliniken.

Wir kümmern uns in der Beratungsstelle, aber auch in der Jugendhilfe um Kinder, Jugendliche, Ehepaare und Familien, die Unterstützung oder Beratung brauchen. Wir arbeiten mit Haftentlassenen, Wohnungslosen, Geflüchteten und Migranten im Allgemeinen. Und wir stellen uns im Auftrag der Evangelischen Kirche an die Seite der Armen.

Wie politisch muss Diakonie sein?

Graßmann: Diakonie war immer politisch, weil sie die Verhältnisse, so wie sie sind, nicht als gottgegeben annehmen kann, sondern am Gebot Gottes und der Verkündigung Jesu Christi misst. Diakonie ohne eine grundsätzliche "Option für die Armen, Ohnmächtigen, Übersehenen" kann es nicht geben. Deshalb müssen wir immer da aufstehen und uns einmischen, wo Menschen an einem gelingenden Leben gehindert werden...

...das führt dann aber logischerweise zu Streit und Kontroversen?

Graßmann: Diakonie ist meistens sehr pragmatisch und lösungsorientiert. Deshalb sind wir in der Regel trotz aller Kontroversen gut im Gespräch mit der Politik. Denn es gilt, gemeinsam unseren Sozialstaat zu verteidigen und immer wieder für neue Zeiten umzubauen.

Sie haben jüngst zum Beispiel die steigenden Parkraumerleichterungsgebühren der Stadt Augsburg für ambulante Pflegedienste kritisiert. 

Graßmann: Hintergrund des Streits war ja, dass gerade die ambulanten Pflegedienste durch unzureichende Finanzierung, aber auch durch einen eklatanten Mangel an Fachkräften ohnehin unter Druck stehen. Hier war die unverhältnismäßige Verteuerung der sogenannten Parkraumerleichterungen, ohne die eine Pflege in der Stadt bei immer begrenzterem Parkplatzangebot nicht möglich ist, der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Was hat sich getan?

Graßmann: Mittlerweile haben sich fast alle Fraktionen im Stadtrat mit dem Thema befasst. Es gibt auch Kompromissvorschläge, die Verbesserungen bringen können. Aber vor allem ging es um das politische Signal:

Wir brauchen ein gemeinsames Eintreten für eine gute, liebevolle, aber auch ausreichend finanzierte Pflege in unserer Stadt!

Was sind aktuelle und was die Zukunftsaufgaben der Diakonie?

Graßmann: Ein aktueller Schwerpunkt ist die Wohnungslosigkeit, die viele der von uns begleiteten Gruppen betrifft: seien das Flüchtlinge, Arme, Langzeitarbeitslose, psychisch Behinderte oder Haftentlassene. Immer brisanter wird auch die Lage der Pflege. Unser Pflegesystem geht zunehmend in die Knie zwischen Personalmangel, immer weiter steigenden Kosten und bürokratischer Regulierungswut. Ein drittes großes Thema ist die Integration von Migranten, die unser Arbeitsmarkt dringend braucht. Aber diese Integration erfordert ein hohes Maß an Begleitung und Sensibilität, um die sprachlichen, fachlichen und kulturellen Gräben zu überwinden.