Wenn "Limonade" zum "Grachal" wird, die "große Hand" zur "Pratzn" und der "Briefträger" zum "Bosbot", dann ist Ingrid Ritt glücklich. Denn Dialekt ist ihr Thema. Gerade huscht die Straubingerin aus einer Besprechung zurück in ihr Münchner Büro. Der Hosenanzug sitzt perfekt, die Frisur ebenso. Doch wenn die taffe 53-Jährige anfängt zu sprechen, passt das erstmal nicht ins Bild: Denn sie tut das in breitem Niederbairisch. Ritt lebt ihre Botschaft: Keiner muss sich für seinen Dialekt schämen - nicht die Geschäftsfrau und erst recht nicht bayerische Kinder.

Kinder und Mundart - für diese beiden Themen pumpert das Herz der gelernten Bankkauffrau besonders. Seit vielen Jahren ist sie in der Elternarbeit aktiv: führt ehrenamtlich den Hort einer Volksschule, macht sich in der Bildungspolitik stark, war Vorsitzende der Bayerischen Realschuleltern und in Elternbeiräten. Da ließen der Verdienstorden der Bundesrepublik und die Bayerische Verfassungsmedaille in Silber nicht lange auf sich warten. Aktuell arbeitet sie als Assistenz der Geschäftsführung in der Stiftung Wertebündnis Bayern.

Dort bringt Ritt ihre Botschaft vom Mut zum Dialekt mit dem Projekt "MundART WERTvoll" in bayerische Schulen. Partner der Aktion sind unter anderem der Bayernbund, der Trachten- und der Philologenverband, die Staatskanzlei und das Kultusministerium. Ritts Augen leuchten, wenn sie von den Beiträgen der Schüler erzählt: Vieles sei abstrakt, nicht aber Dialekt und Heimat. Das sei ein "Wohlfühlthema", das die Herzen geöffnet habe, berichtet Ritt und erzählt von einem Schüler, der durchgesetzt habe, dass er seine Quali-Prüfung auf Bairisch machen durfte. "Er trug Tracht und durfte bairisch sprechen und war ganz glücklich, dass er der sein durfte, der er ist", erzählt sie.

Denn lange war es verpönt, Mundart zu sprechen, sagt die 53-Jährige. Schnell galt man als "einfach" oder sogar dumm. Sie selbst hat diese Erfahrung immer wieder gemacht, wenn sie jenseits der bayerischen Landesgrenzen zu ihrem Dialekt stand. Doch mittlerweile bemerkt sie einen Gesinnungswandel. "Die Leute wollen wieder Dialekt reden", sagt sie. Denn Dialekt und Identität gehörten eng zusammen. Und gerade durch die Zuwanderung bekomme das Thema neue Bedeutung: "Das sind wir, wir haben was zu zeigen und weiterzugeben." Auf keinen Fall solle Dialekt andere aber ausgrenzen, betont Ritt: "Eher eine Öffnung bewirken: Schaut's, das ist Bayern, das wollen wir mit euch teilen."

Die Schüler-Projekte von "MundART WERTvoll" bestätigen das. So bastelte die Mittelschule Mainburg das Wörterbuch "Migraboarisch". Dafür übersetzte sie bairische Wörter ins Deutsche und in die Landessprachen der Kinder an der Bildungsstätte mit hohem Migrantenanteil. Doch auch, dass es nicht immer den Vergleich mit anderen Sprachen braucht, sondern Bairisch längst nicht gleich Bairisch ist, lernten die Schüler. Vergleiche des schwäbischen und fränkischen Dialekts mit Nieder-, Alt- und Oberbairisch ließen die Kinder viele Unterschiede entdecken. "Es gibt ja nicht die eine Mundart, sondern viele Dialektvarianten", sagt Ritt.

"I hob an Dram"
Schüler und Schülerinnen der Gregor von Scherr -Realschule in Neunburg vorm Wald führen das Lied "I hob an Dram" bei einer Abschlusspräsentation im Bayerischen Landtag auf.

Realschüler aus Neuburg vorm Wald machten aus Martin Luther Kings Rede "I have a Dream" das Lied "I hob an Dram". "I hob an Dram von a besseren Welt, die ned lebt vom Geld, sondern von da Freid an dene ganzn Leid", sangen die Kinder gemeinsam bei ihrer Abschlusspräsentation im Bayerischen Landtag. Ingrid Ritt bekommt eine Gänsehaut, wenn sie sich an diesen Moment erinnert.

Keinesfalls wolle Ritt aber Hochsprache und Dialekt gegeneinander ausspielen. "Klar ist: Wenn ein Schüler die Schule verlässt, muss er der Schriftsprache mächtig sein", sagt sie. Doch beides müsse sich ergänzen: Gerade am Gymnasium solle auch im normalen Unterricht Mundart gesprochen werden, findet Ritt. Schließlich sei die Bedeutung des Dialekts auch in den Lehrplänen der Schulen vielfach verankert.

Aktuell erstellt Ritt mit dem Kultusministerium eine Dokumentation des Projekts, die im März veröffentlicht wird. Außerdem gibt es Lehrerfortbildungen zum Thema und Material für den Unterricht, das bei der Stiftung angefordert werden kann. "Wir hoffen, dass unser Projekt viele Nachahmer findet", sagt Ritt. Doch genug hat die taffe Bayerin ohnehin noch nicht: In ihrem Kopf schwirren viele Ideen für das vierte Projektjahr zum Thema Mundart und Musik, das 2019 starten soll.

Aber was ist nun typisch bayerisch? Ritt überlegt. Der bairische Dialekt gibt die Möglichkeit, manches nicht zu verbissen zu sehen, findet sie. Und: "Die Gemütlichkeit, der Humor und das 'Leben und leben lassen' haben sich als typisch bayerisch herauskristallisiert", erzählt sie. Also nicht abschotten und Grenzen ziehen, sondern Offenheit mit der Einladung: "Schaut's her, so schee ist des bei uns, seid's doch mit uns!"

 

Projekt "MundART WERTvoll"

Das Projekt "MundART WERTvoll" will bayerischen Schülern und Lehrern ihren eigenen und andere Dialekte näherbringen. Neben der Liebe zur bayerischen Heimat und zu ihren - nicht nur sprachlichen - Traditionen soll auch die Wertschätzung anderer (Regional-) Kulturen und ihrer Sprecher gefördert und der Wert kultureller Vielfalt unterstrichen werden. Das Projekt wird getragen von der Stiftung Wertebündnis Bayern und Partnern wie dem Bayernbund, dem Trachten- und Philologenverband, der Staatskanzlei und dem Kultusministerium.

In bisher drei Projektjahren entstanden gemeinsam mit Schulklassen aus ganz Bayern verschiedene Aktionen rund um das Thema Mundart. 2019 sollen neue Projekte unter dem Motto "Dialekt und Musik" initiiert werden. Aktuell erstellt die Stiftung gemeinsam mit dem Kultusministerium eine Dokumentation des Projekts, die im März veröffentlicht wird. Außerdem gibt es Lehrerfortbildungen zum Thema und Material für den Unterricht, das bei der Stiftung angefordert werden kann.