All jene Dinge, die sie während ihrer Ausbildungszeit verpasst hat, schmerzen Aqila Sandhu noch heute. "Ich konnte viele der Erfahrungen nicht machen, von denen sich Rechtsreferendare noch jahrelang erzählen", berichtet die 27-Jährige. Als Juristin im Vorbereitungsdienst der Justiz habe sie nie plädieren dürfen, nie Beweise aufnehmen oder Zeugen vernehmen. "Das galt nur für mich als wahrscheinlich einzige von Hunderten Referendaren", erläutert Sandhu. "Diskrimierend" und "verletzend" sei dies gewesen.

Aqila Sandhu ist Muslimin mit deutscher und pakistanischer Staatsbürgerschaft. Als Zeichen ihres Glaubens trägt die Juristin ein Kopftuch. Was dieses "nonkonforme Aussehen", wie sie es selbst nennt, im Staatsdienst bedeuten kann, hat sie in ihrer Referendariatszeit erfahren. Als Sandhu nach ihrem Studium 2014 ihren juristischen Vorbereitungsdienst antrat, untersagte ihr das Oberlandesgericht München "bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung" das Tragen ihres Kopftuchs. "Praktisch alle Tätigkeiten, die ein Auftreten am Richtertisch erfordert hätten, durfte ich nicht wahrnehmen", erklärt Sandhu.

Augsburger Richter gaben ihr Recht

Die Juristin klagte gegen die Auflage vor dem Augsburger Verwaltungsgericht - und bekam recht. In Bayern gebe es "kein formelles Gesetz, welches Rechtsreferendare zu einer weltanschaulich-religiösen Neutralität verpflichte", lautete die Begründung der Augsburger Richter. Der Freistaat ging gegen dieses Urteil in Berufung. "Wir können das Ergebnis so nicht stehen lassen", begründete Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) damals den Gang in die nächste Instanz. Am 7. März wird der Fall nun vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof verhandelt.

Gleichzeitig brachte die Staatsregierung eine Regelung im neuen Richter- und Staatsanwaltsgesetz auf den Weg, das zum 1. April in Kraft tritt. Sie legt fest, dass Richter "in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen" dürfen. Es müsse nach außen klar erkennbar sein, dass die Amtsträger "nur an Recht und Gesetz gebunden sind", sagt Bausback: "Dies ist für das Vertrauen der Bürger in die Unabhängigkeit und Neutralität unseres Rechtsstaats unabdingbar."

"Enorme stigmatisierende Wirkung"

Die Vorschrift gilt nicht nur für Richter. Auch Staatsanwälte, Rechtspfleger, Schöffen und Rechtsreferendare sind daran gebunden. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vor dem Verwaltungsgerichtshof dürften deshalb Rechtsreferendarinnen auch künftig bei Amtshandlungen mit Außenwirkung kein Kopftuch tragen, heißt es dazu im bayerischen Justizministerium.

Für Aqila Sandhu ist ein Erfolg vor Gericht dennoch wichtig. Die junge Juristin hat mittlerweile ihr zweites Staatsexamen abgelegt und ist Assistentin und Doktorandin an der Augsburger Uni. Dass ihr wegen ihres Kopftuchs bestimmte Ausbildungsinhalte verwehrt wurden, drücke nicht nur Zweifel an ihrer Kompetenz aus, sondern auch an ihrer Vertrauenswürdigkeit und Eignung. "Das Kopftuchverbot entfaltet eine enorme stigmatisierende Wirkung", meint Sandhu: "Schon deshalb ist es mir wichtig, dass die ungerechtfertigte Diskriminierung als solche benannt wird."

Einschränkung der Berufsfreiheit

Für die Verhandlung rechnet sie sich gute Chancen aus - ähnlich wie ihr Anwalt Frederik von Harbou. Schließlich habe der Freistaat möglichst schnell nach dem Augsburger Urteil eine gesetzliche Grundlage für ein Kopftuchverbot schaffen wollen, meint Harbou. Soll heißen: Die Augsburger Richter lagen mit ihrer Argumentation richtig. Der Verwaltungsgerichtshof sollte daher "eigentlich das Urteil bestätigen", so die Einschätzung des Anwalts.

Und die Regelung im neuen Richter-Gesetz? Sie sei nicht unanfechtbar, erläutert der Anwalt. So könne in Bayern jeder Bürger mit einer Popularklage überprüfen lassen, ob eine Vorschrift gegen ein Grundrecht verstoße. Harbou glaubt, dass dies passieren wird. Denn die Regelung schränke neben der Religions- auch die Berufsfreiheit ein. Aqila Sandhu sieht das genauso: "Verbotsgesetze behandeln ein Kopftuch wie eine Vorstrafe, indem sie es zum Ausschlussgrund für bestimmte Tätigkeiten erklären", meint sie: "Das ist schlicht inakzeptabel."

 

Kopftuchverbot bei Gericht

Der Streit um religiöse Symbole für Amtsträger vor Gericht ist nicht nur in Bayern ein Thema. Im Mai vergangenen Jahres schuf Baden-Württemberg als erstes Bundesland eine gesetzliche Grundlage für ein entsprechendes Verbot. Das "Gesetz zur Neutralität bei Gerichten und Staatsanwaltschaften" untersagt es Richtern, Staatsanwälten und Rechtsreferendaren, bei hoheitlichen Aufgaben Symbole oder Kleidungsstücke zu tragen, "die bei objektiver Betrachtung eine bestimmte religiöse, weltanschauliche oder politische Auffassung zum Ausdruck bringen".

Den Anstoß für das Gesetz gab, ähnlich wie in Bayern, das Urteil des Augsburger Verwaltungsgerichts aus dem Jahr 2016 (Az. Au 2 K 15.457). Die Richter hatten im Fall einer muslimischen Rechtsreferendarin bemängelt, dass es im Freistaat kein formelles Gesetz gebe, "welches Rechtsreferendare zu einer weltanschaulich-religiösen Neutralität verpflichte". Im neuen bayerischen Richter- und Staatsanwaltsgesetz, das zum 1. April in Kraft tritt, gibt es nun eine solche Regelung.

In Hessen hat der dortige Verwaltungsgerichtshof im Juli 2017 einer Rechtsreferendarin islamischen Glaubens das Tragen des Kopftuchs bei Tätigkeiten verboten, bei denen sie als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen wird (Az. 2 BvR 1333/17). Das Verwaltungsgericht Frankfurt hatte zuvor zugunsten der Frau entschieden. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs erhob die junge Juristin Verfassungsbeschwerde. Ihren Eilantrag lehnte das Bundesverfassungsgericht jedoch ab. Die endgültige Entscheidung in der Sache steht noch aus.