Bei vielen Menschen löst der Besuch des weiten KZ-Gedenkstättengeländes in Dachau Unbehagen aus. Die zwanzigjährige Anna hat jedoch beschlossen, dort ein Jahr lang zu arbeiten: Sie absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) im Bereich Kultur und Bildung an der Gedenkstätte Dachau. Als Mitarbeiterin der Bildungsabteilung lernt sie dort die Arbeit in der Erinnerungskultur kennen.

Ein FSJ in der Erinnerungsarbeit

Ein Jahr lang darf sich Anna als Freiwillige in der Erinnerungsarbeit in Dachau engagieren. Seit November arbeitet sie von zuhause aus, zuvor konnte sie noch zwei Monate Arbeitsalltag im Büro auf dem Gelände der Gedenkstätte kennenlernen.

Ob ihre Arbeit dort nicht bedrückend sei? Anna meint, diese Frage wird ihr häufig gestellt. Und sie antwortet: "Man lernt ganz gut, damit seinen Weg zu finden." Man sei sich bewusst, dass man an diesem Ort ist und ich glaube, das sollte man auch. Aber man sei jetzt nicht niedergeschlagen.

Zwar beschäftige sie sich oft mit Überlebensberichten oder Berichten aus dem KZ, aber dies sei nicht ständig Thema ihrer Arbeit. 

Anna: Mit der Zeit lernt man, mit dem Thema umzugehen

Auch die Frage, was nach 1945 geschah, ist ein großes Bereich der Erinnerungskultur, so die Freiwillige. Dennoch hätte es auch schwierige Momente gegeben, zum Beispiel als sie zu Beginn ihres FSJ das Buch "Das war Dachau" lesen sollte, ein Zeitzeugenbericht aus dem KZ Dachau.

Am Anfang sei ihr das zu viel gewesen: "Da muss man das Buch dann mal weglegen und eine Runde spazieren gehen." Sie versichert jedoch: "Das ist nicht Alltag!" Mit der Zeit würde man außerdem lernen, mit diesem bedrückenden Thema umzugehen: "Man merkt, mir ist das ja nicht passiert. Ich sitze zuhause und kann das Buch lesen, aber ich kann es auch jeder Zeit wieder zur Seite legen." 

Recherche und Quellenarbeit sind fester Bestandteil des FSJ

Anna beschäftigt sich viel mit der Vergangenheit der Gedenkstätte. Das Lesen historischer Quellen stellt somit einen großen Teil ihrer Arbeit dar. "Eine Begeisterung für Geschichte", sieht sie daher als Voraussetzung für den Freiwilligendienst in der Erinnerungsarbeit.

Im Moment recherchiere sie beispielsweise zu der Zeit nach 1945, als Dachau für einige Jahre ein Internierungslager für ehemalige NS-Anhänger war. Die Rechercheergebnisse werden dann den Referenten der Gedenkstätte als Infomaterial für deren Rundgänge zur Verfügung gestellt. 

Anna entwickelt ein eigenes Rundgangkonzept durch die Gedenkstätte 

Auch Anna soll bald solche Rundgänge geben, sofern dies die Lage in der Corona-Pandemie wieder zulässt. In den vergangenen Monaten wurde sie daher in einem Ausbildungskurs auf diese Aufgabe vorbereitet, um eine entsprechende Lizenzierung zu erhalten.

"Ich habe da total viel gelernt. Zum Beispiel wie ich Dinge vermitteln kann, ohne von oben herab zu unterrichten", berichtet sie. Doch bevor sie selbst Besucher über die Gedenkstätte Dachau und deren Vergangenheit informieren kann, steht noch die Entwicklung eines eigenen Rundgangs-Konzepts an, erzählt die Freiwillige. Das bedeutet: "Zahlen raussuchen, Fakten raussuchen und überlegen, wie man den Rundgang strukturieren möchte". 

Gerade diese Möglichkeit zur Recherche und Quellenarbeit ist es, was ihre Einsatzstelle so einzigartig macht, meint Anna:

"Wir haben eine riesen Datenbank voller Berichte, Dokumente und Bilder, die du sonst einfach nirgendwo hast. Und sich da durchzuwühlen und Dinge zu lernen, das sehe ich als großes Privileg."

Jedoch bräuchte es dabei auch eine gewisse Frustrationsgrenze, weil sie oft merke, dass man zu vielen Themen keine Informationen findet oder die Quellen unsicher seien. Neben all der Recherchearbeit bekommt Anna außerdem täglich Aufgaben, die spontan anfallen, dazu zählen beispielsweise Büroarbeiten. "Jeder Tag ist anders", erzählt sie, "selbst jetzt, im Homeoffice."

Das Freiwillige Jahr an der Gedenkstätte Dachau fordert Verantwortung

Mit Blick auf die vergangenen sechs Monate in der Erinnerungsarbeit berichtet sie, sie nehme Selbstständigkeit mit. Zu Beginn ihres Freiwilligendienstes hat sie jedoch die Verantwortung, welche mit einer Tätigkeit an der Gedenkstätte einhergeht, beschäftigt.

"Am Anfang habe ich mich gar nicht richtig getraut, irgendwas zu machen, weil ich mir gedacht habe: Oh Gott, ich bin jetzt an der Gedenkstätte. Wenn ich da irgendwas falsch mache, ist das ganz schlimm."

Die Arbeit sensibilisiert für Antisemitismus im Alltag

Mit der Zeit hätten sich diese Bedenken jedoch gelegt. Ihre intensive Beschäftigung mit der damaligen Zeit habe sie außerdem für antisemitische und diskriminierende Äußerungen im Alltag sensibilisiert. 

Auch an der Sprache an sich falle ihr nun häufig auf, wie sich die NS-Zeit bis heute niederschlägt. Als Beispiel nennt sie den Spruch "Jedem das seine", der fest im heutigen Sprachgebrauch verankert ist, jedoch vom NS-Regime zur Verhöhnung der Häftlinge in Konzentrationslagern missbraucht wurde.

Oder die Bezeichnung der Pogrome vom 9. auf den 10. November 1938 als "Reichskristallnacht", wobei man heute diese historisch belastete Bezeichnung häufig durch "Reichspogromnacht" ersetzt. Auch werde sie oft gefragt: "Ah, du arbeitest im KZ". Anna erklärt dann immer: "Ne ne, ich arbeite in der Gedenkstätte."

Das seien Dinge, die ihr auffallen, weil sie sich jeden Tag mit diesen Themen beschäftige. Anderen Menschen fiele das natürlich nicht so extrem auf, erklärt die Freiwillige.

Geschichtskenntnisse, Pädagogik und Soft-Skills

 Sich so umfassend weiterzubilden - seien es nun die Geschichtskenntnisse, das Wissen zur Pädagogik oder die Soft-Skills - das ist es, was Anna so sehr an ihrem Freiwilligendienst schätzt. "Wann hat man diese Möglichkeit schon?", meint sie und erklärt: "Ich würde jedem Menschen ein FSJ empfehlen".