Der Hof von Reinhard Braun entspricht ziemlich genau dem bayerischen Durchschnitt: 75 Hektar Wirtschaftsfläche, davon 25 Hektar Grünland und 50 Hektar Äcker, etwas Wald und 55 Kühe in Laufstallhaltung. Von seiner Kirche, die das Volksbegehren Artenvielfalt unterstützt, fühlt sich der Fürnheimer Landwirt, der auch Vorsitzender des Kuratoriums Diakonie am Evangelischen Bildungszentrum auf dem Hesselberg ist, im Stich gelassen.

 

Herr Braun, Ackerblühstreifen, Gewässerrandschutz, tierfreundliche Mahd? Was finden Sie daran so falsch?

Braun: Das finde ich überhaupt nicht falsch, das finde ich richtig! Das machen wir teilweise auch, in meinem Betrieb sowieso, ganz viele meiner Berufskollegen auch. Bei uns sind ganz viele Betriebe in dem Kulturlandschaftsprogramm, wo Schnittzeitpunkte festgelegt werden. Aber das Volksbegehren will uns explizit vorschreiben, was genau wann zu tun ist. Ich bin der Meinung: Planwirtschaft funktioniert nicht. Das haben 40 Jahre Sozialismus gezeigt. In die ökologische Richtung funktioniert das genauso wenig. Wenn sich die Kirche nun so klar auf der Seite des Volksbegehrens positioniert, finde ich das nicht fair gegenüber uns konventionellen Landwirten.

Sie sagen, Sie fühlen sich als Landwirt diffamiert. Warum?

Braun: Das Radikale stört mich. Wir arbeiten mit der Natur zusammen. Aber die Natur richtet sich nicht nach dem Kalender. Wenn eine Wiese laut Volksbegehren erst am 15. Juni zu mähen wäre, ich sie aber eine Woche früher mähen müsste, um ein gutes Heu heimzubringen, dann habe ich ein Problem. Ich fühle mich veräppelt, wenn es in dem Volksbegehren heißt, dass Landwirte nur auf Profit ausgebildet wurden und werden und die natürlichen Zusammenhänge überhaupt nicht begreifen. Das ist doch überhaupt nicht richtig! Die meisten Bauernhöfe sind Familienbetriebe, vom Großvater auf den Vater auf den Sohn, das sind keine Heuschreckenbetriebe, die nur Profitmaximierung im Kopf haben. Das ist ein völlig falsches Bild.

Auch der Bauernverband ist gespalten: Kleine Familienbetriebe – auch konventionelle – sind durchaus für das Volksbegehren.

Braun: Nach meinem Eindruck wird immer angeführt, eine Umstellung der Förderung würde die Kleinbetriebe motivieren weiterzumachen. Aber in unserem Dorf waren wir früher 40 Bauern. Jetzt bin ich der letzte. Ich kenne niemanden im Alter zwischen 16 und 25, der sagt: Das ist jetzt so lukrativ, dass ich da wieder einsteige mit einem eigenen Betrieb der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Der Strukturwandel rollt weiter, weil das für junge Menschen einfach nicht attraktiv ist: 365 Tage Verantwortung. Und das für einen Durchschnittsverdienst von rund 40 000 Euro im Jahr. Jedes Einstiegsgehalt in der Industrie ist höher. Dazu das gesellschaftliche Klima, das sagt: Ihr seid Massentierhalter, ihr seid schuld am Feinstaub, am Klimawandel, am Artensterben. Macht das den Beruf für einen jungen Menschen attraktiv? Dass da viele Eltern sagen, mach bitte was anderes, kann ich verstehen.

Reinhard Braun Landwirt
Der Fürnheimer Landwirt Reinhard Braun ist auch Vorsitzender des Kuratoriums Diakonie am Evangelischen Bildungszentrum Hesselberg.

Wie sind denn Ihre eigenen Beobachtungen bei der Artenvielfalt in den vergangenen Jahrzehnten? Besteht nicht tatsächlich Anlass zur Sorge?

Braun: Was eindeutig ist: Die Biodiversität wird geringer. Die vielen verschiedenen Felder, die es früher gab, mit Hafer, Triticale [Kreuzung aus Weizen und Roggen, Red.], Roggen, die verschwinden. Aber nicht wegen der konventionellen Landwirtschaft, sondern weil es immer weniger Betriebe gibt. Für viele ist es einfach schwierig, fünf, sechs, sieben verschiedene Früchte anzubauen. Ich mache das, weil das bayerische Kulturlandschaftsprogramm KULAP mehrgliedrige Fruchtfolgen fördert. Da gibt es mehr Geld, deswegen kann ich das machen. Aber ein Biogas-Betrieb, für den Mais die Frucht schlechthin ist, der braucht halt Mais. Da hat das Volksbegehren völlig recht, dass hier die Förderung in eine völlig falsche Richtung gelaufen ist.

Gibt es in anderen Bundesländern nicht längst weiter reichende Regelungen?

Braun: Ich weiß zum Beispiel, dass in Baden-Württemberg die Gewässerrandstreifen, die auch das Volksbegehren verlangt, bereits gesetzlich vorgeschrieben sind. Da gibt es keinen Euro mehr. Finanzielle Einbußen werden immer bestritten, aber in Baden-Württemberg erleben wir es. 20 Kilometer von uns entfernt: Die bekommen keinen Cent mehr.

Was erzeugt eigentlich den größten Druck für Landwirte?

Braun: Der wirtschaftliche Druck ist enorm. Das ist Fakt. Wenn dann noch gesellschaftliche Missachtung dazukommt, ist das ganz schwierig. Was mich verwundert, sind die Folgen der Globalisierung. Wir haben ja wirklich ein schweres Jahr hinter uns, ein Dürrejahr mit wenig Getreide, wenig Futter. Aber es ist anders als 2003, wo dann der Preis wirklich gestiegen ist, weil bei uns die Ware knapp war. Jetzt sagt mir mein Landhändler: Wir sind heute so global unterwegs, dass es überhaupt keine Rolle mehr spielt, ob es bei uns regnet oder nicht. Aber andererseits will man alles regional erzeugen. Das passt nicht zusammen, denn dann müsste der Preis ja steigen.

Was müsste man tun?

Braun: Das wenn ich wüsste! Dass man jetzt wie beim Volksbegehren alles bis ins Detail regelt, das ist jedenfalls falsch. Was mir vorschwebt, wäre ein Lieferkettengesetz. Produkte, die aus dem Ausland kommen, müssten die gleichen Standards bei der Erzeugung haben wie bei uns. Es kann ja nicht sein, dass ich Milch erzeuge zu höchsten Standards, sozial- und naturverträglich – und dann kommt irgendeine Billigware aus Russland oder China, und dort sind die Standards mies. Meiner Meinung nach sind jetzt aber auch mal andere am Zug. Sprich: Tourismusindustrie, die Industrie allgemein. Und beim Flächenfraß, da bin ich voll d’accord, das ist eine Riesensauerei. Jeden Tag hektarweise die Landschaft zubetonieren und dann klagen, dass kein Schmetterling mehr kommt, das ist nicht in Ordnung.

Sie werfen dem kirchlichen Umweltbeauftragten ideologische Scheuklappen vor.

Braun: Ich muss einschränken: Es ist besser geworden. Als gläubiger evangelischer Christ und Mitglied der Landeskirche fühle ich mich als Landwirt aber herausgemobbt. Was ich feststelle: Bei dem Landwirtschaftsthema findet eine völlige Entpersonalisierung statt. Es wird nur über uns geredet und so getan, als ob es uns gar nicht gebe als Personen. Aber wir Landwirte sind auch in der Kirche, wir sind auch Mitglied, wir gehören dazu. Wir sind nicht die Feinde der Natur, wir sind auch nicht beratungsresistent. So, wie über uns geredet wird, ist das nicht okay. Dazu braucht man sich nur mal das Werbevideo des Volksbegehrens anschauen.

Landwirte werden vom Volksbegehren ausdrücklich als Partner genannt – als Kulturlandschaftspfleger! Was stört Sie daran?

Braun: Wenn ich das Volksbegehren durchlese, sehe ich die Partnerschaft nicht. Ich sehe nur, dass mir gesagt wird, was ich zu tun und was ich zu lassen habe. Wo ist da die Partnerschaft? Die Initiatoren wissen überhaupt nicht, was es heißt, von einem landwirtschaftlichen Betrieb leben zu müssen. Der Vergleich hinkt vielleicht, aber ich denke mir manchmal, es geht uns wie Bundeswehrsoldaten: Die tauchen auch in der Öffentlichkeit nicht auf, aber es wird ständig über sie diskutiert, was sie richtig machen, was sie falsch machen. So geht es uns auch. Immer weniger kennen einen Landwirt persönlich.

Und träumen gleichzeitig vom »Land« als heiler Welt ...

Braun: Man muss doch bitte einsehen, dass, wenn man Computer hat und Smartphones und Autos, die von selbst einparken, dass wir da nicht wirtschaften können wie vor 50 Jahren. Warum verlangt man das aber von uns? Wieso dürfen wir den technischen Fortschritt nicht nutzen? Auch wir leben im Jahr 2019. Auch ich habe Familie, will in Urlaub fahren, auch meine Kinder wollen ein Handy. Aber wir sollen die Landeier bleiben, »Baura«, die 20 Jahre hinterher sind.

Halten Sie das Volksbegehren für ein Projekt städtischer Eliten?

Braun: In den Städten gibt es viel Unterstützung für das Volksbegehren. Dort denken viele, sie ziehen ihre Wanderstiefel an, wandern um den Starnberger See oder steigen auf den Watzmann und haben dann Ahnung von der Natur. Gar nix haben sie! Ich frage mich allerdings, wie man hier gegensteuern und aufklären soll. Uns Bauern hört man jedenfalls nicht mehr zu.

 

 

In einer früheren Version dieses Interviews sprach Reinhard Braun fälschlich vom 15. Juli als festgelegtem Mahd-Zeitpunkt. Genannt wird im Volksbegehren der 15. Juni. Wir haben auf Bitte des Interviewten den Fehler geändert. (Red.)