Auf dem Weg zum Passionsspielhaus empfängt die Oberammergauer Kreuzkirche Touristen wie Einheimische neuerdings wie ein Ausrufezeichen: Ein sattes Terracotta-Rot ziert die Fassade, statt des sanften gelben Anstrichs von früher. "Wir haben uns eine selbstbewusste Farbe gewünscht", sagt Gisela Wagner, Vertrauensfrau des Kirchenvorstands. Eine Exkursion nach Innsbruck brachte den KV auf die mediterrane Farbspur – nun kommt schon rein optisch niemand mehr an dem Kirchlein vorbei, das 1928 an der Stelle eines Stalls entstanden war.

Doch die Farbe ist nicht die einzige bemerkenswerte Verwandlung. Eine Mauernische zur Straßenseite und eine gepflasterte Lutherrose markieren den alten Eingang – jetzt öffnet die Kirche ihre Türen an der Stirnseite, auf die jeder direkt zuläuft, der vom Ortskern zum nur 50 Meter hinter der Kreuzkirche liegenden Passionstheater will. "Wir sind Station auf dem Weg zur Passion ", sagt Pfarrer Peter Sachi – dass es eine evangelische Kirche mitten im Dorf gebe, sei durch den Umbau neu bewusst geworden.

Lukasverein gibt Kruzifix als Leihgabe

Auch der Innenraum hat einen neuen Charakter: Die schwere dunkle Holzdecke wurde naturweiß lasiert, die Apsis von dunklem Klinker befreit, die wuchtige Kanzel entfernt. An sie erinnern die vier geschnitzten Evangelisten, die nun die Besucher gleich nach dem Eingang erwarten. "Unser Heiliges Quartett", nennt Sachi die Figuren. Sie wachen als freundliche Schutzheilige über jeden Täufling, der am renovierten Taufstein gegenüber – an der Stelle des alten Eingangs – in die Gemeinde aufgenommen wird.

Eine Besonderheit ist das große Kruzifix von 1965, das als Leihgabe des Lukasvereins der Oberammergauer Schnitzer in der Apsis hängt. "Es ist ein empfangender, bewahrender Christus mit offenen Augen", findet Sachi. Kurios, weil nicht geplant, ist das Schattenspiel der Sonnenstrahlen, die durch die Apsisfenster auf das Kreuz fallen: Je nach Sichtweise sieht man ein großes Herz, in dem das Kruzifix steht, oder einen Stern, oder einen Schmetterling zu Füßen des Gekreuzigten – "das Symbol für die Auferstehung", sagt der Pfarrer.

Kruzifix in der Apsis der Kreuzkirche
Überraschungseffekt: Das Tageslicht, das durch die Apsisfenster fällt, setzt das Kruzifix in ein Sonnenherz und einen Schattenstern.
Gisela Wagner und Pfarrer Sachi vor der Kirche
Vertrauensfrau Gisela Wagner und Pfarrer Peter Sachi sind stolz auf die neue Kirche und die große Eigenleistung der Gemeinde.
Gepflasterte Lutherrose vor dem ehemaligen Eingang
Eine gepflasterte Lutherrose ziert die Wiese vor dem ehemaligen Eingang an der Längsseite der Kirche.
Der neue Eingang an der Stirnseite der Kirche.
Der neue Eingang liegt an der Stirnseite der Kirche - aus der Dorfmitte kommend, laufen Besucher direkt darauf zu.
Die Evangelisten der alten Kanzel.
Die Evangelisten der alten Kanzel wachen jetzt als "heiliges Quartett" über die Taufen gleich im Eingangsbereich der Kirche.
Heller und schlichter präsentiert sich das Kircheninnere.
Heller und schlichter: die dunkle Holzdecke wurde naturweiß lasiert, die rustikalen Klinker an der Apsis und die wuchtige Kanzel entfernt.
Buntglasfenster der Kreuzkirche.
Die Buntglasfenster der Kreuzkirche zeigen den Kreuzweg ...
Buntglasfenster der Kreuzkirche.
Buntglasfenster der Kreuzkirche
Pfarrhof der Kreuzkirche mit neuem Saal.
Neu auch der Pfarrhof der Kreuzkirche: In der Senke wurde neben dem alten Pfarrhaus der neue Gemeindesaal mit Platz für 80 Besucher an die Kirche angebaut.
Pfarrhof mit Blick auf den neuen Saal.
Der Apfelbaum aus dem nun verkleinerten Pfarrgarten setzt einen Akzent in der aus Kostengründen vorläufig nur gekiesten Fläche.
Blick zur Dorfmitte von der Kirche aus.
Wie ein rotes Ausrufezeichen weist die Kreuzkirche nun allen Passanten den Weg, die von der Dorfmitte (Blickrichtung) zum nur 100 Meter hinter der Kirche liegenden Passionstheater wollen.

Eine weiterer Glücksfall sind die Kirchenbänke aus roh gezimmerten Brettern. Bei einer der ersten Trauungen in der noch banklosen Kirche organisierte die Bräutigamsmutter die ausrangierten Klappbänke von der Freilichtaufführung der "Geierwally", die für das Gotteshaus wie geschaffen sind. Ihr helles, warmes Holz mildert die Strenge des schlichten Kirchenraums. Außerdem sind sie wahnsinnig praktisch, findet Gisela Wagner: "Man kann sie zusammen-klappen, so bleibt der Kirchenraum mobil."

Neue Bänke sind geplant, aber sie kosten 40.000 Euro – Geld, das die Gemeinde erstmal nicht hat. 500.000 Euro muss die 1500-Seelen-Gemeinde selbst zum 1,9 Millionen teuren Umbau beisteuern. Dass davon nur noch ein 160.000-Euro-Darlehen offen ist, macht Pfarrer Sachi stolz. "Jeder Cent ist Gold wert", beschreibt er die Haltung beim Spendensammeln. Neben vielen kleinen Spenden habe es auch größere Patenschaften für Altar, Renovierung des Taufsteins und Reinigung der Fenster durch die Mayer´sche Hofkunstanstalt gegeben.

"Streichkonzert" für niedrigere Kosten

Damit die Kosten finanzierbar bleiben, habe der Kirchenvorstand außerdem ein großes "Streichkonzert" veranstaltet: über 30.000 Euro wurden durch Eigenleistung eingespart, der Vorplatz zum Pfarrhaus nur gekiest statt gepflastert, auf teure Technik im neuen Gemeindesaal verzichtet.

Durch den Anbau des Saals gewinnt die Gemeinde rund 80 Plätze mehr für Veranstaltungen – das sorgt vor allem während der Passionsspiele für Entlastung. "Nach dem Passionsspiel können die Theaterbesucher bei uns eine Tasse Tee trinken und wir beantworten Fragen zur Aufführung", sagt Gisela Wagner.

Kirchliches Begleitprogramm für Passionsspiele 2020

Schon seit zwei Jahren plant die Kreuzkirche mit der katholischen Schwesterkirche St. Peter und Paul für das Großereignis 2020 ihr Begleitprogramm zusammen mit Theater und Kommune. Unter dem Motto "Leidenschaft leben" bieten die Gemeinden Gesprächsangebote, Gottesdienste, Raum für Stille, theologische Einführungen ins Passionsspiel, einen Passionsweg durchs Dorf, Kirchenführungen, seelsorgerliche Begleitung und eine Kunstinstallation auf dem Dorfplatz für die 4.000 internationalen Zuschauer pro Aufführung.

Es ist ein unglaublicher Kraftakt, der nur mit vereinten Kräften der Kirchen zu stemmen ist. Schon jetzt sucht die Kreuzkirche Ehrenamtliche als Gastgeber, schon jetzt können sich Pfarrerinnen, Pfarrer und Kirchenmusiker als Verstärkung für Oberammergau bewerben. Bei aller Betriebsamkeit ist die neu gestaltete Kreuzkirche jetzt ein Ruhepol und Kraftort. Von ihr aus können die Oberammergauer Lutheraner das geistliche Leben im Passionsspielort prägen.

Und auch die Touristiker dürfen sich freuen: Ihr Dorf hat jetzt eine hochkarätige Sehenswürdigkeit mehr.