"Heut ist ein Tag, an dem ich singen kann!", tönt es aus rund 20 jugendlichen Kehlen im Musiksaal des Nürnberger Martin-Luther-Hauses. Dass er mit seiner Stimme so etwas Schönes anstellen kann, hätte sich Lukas (8) bis vor Kurzem nicht träumen lassen. Überhaupt wird zu Hause nicht gesungen. Die Eltern sind drogensüchtig, haben sich und ihre Umwelt nur schwer im Griff. Da ist kaum Platz für Zuneigung für Lukas, geschweige denn für das Singen.

Ähnlich geht es der siebenjährigen Kimberly, deren Eltern nicht wissen dürfen, dass das Mädchen hier im Haus einen Heimplatz hat. Deshalb ist ihr Name sowie die aller anderen Kinder in diesem Text frei erfunden. Zirka 200 Mädchen und Jungen im Alter von 3 bis 16 Jahren leben in verschiedenen Wohnformen auf dem großen Gelände und besuchen tagsüber die Martin-Luther-Schule zur Erziehungshilfe Klassen 1 bis 6. Zu Hause war Gewalt an der Tagesordnung, darum ist Kimberly hier.

Musik wirkt als Katalysator

Kinder wie Lukas und Kimberly igeln sich oft ein, werden verschlossen, sind oft unkonzentriert und manchmal aggressiv, fahren wie ein Igel ihre Stacheln aus, um ihre ohnehin schon verletzten Seelen nicht noch weiter Schaden nehmen zu lassen. Ursula Andres sorgt seit 1994 dafür, dass solche "Igel-Kinder" ihre Stacheln langsam wieder einfahren. Mit Musik. Schon lange arbeitet die Chorleiterin mit Kindern aus schwierigen Familienverhältnissen, weiß, wie sie die Kleinen anpacken muss und wie gut Musik als Katalysator wirken kann. "Jeder ist frewillig hier, niemand muss etwas machen, was er nicht will", sagt Andres.

Und irgendwie schafft sie es dann doch immer wieder. Wie bei der elfjährigen Jasmin, die bei der ersten Chorstunde mit böser Miene den Raum betrat. Und mit strahlendem Gesicht ein paar Monate später bei der Aufführung von "Ronja Räubertochter" ein Solo sang. "Da hat auch ihre Mutter geweint und gesagt, sie habe das ihrer Tochter gar nicht zugetraut", erinnert sich Andres.

Platz im "Orchester des Lebens" finden

Bei "Musik macht Freu(n)de" sollen Kinder durch das gemeinsame sowie instrumentale Musizieren nicht nur soziale Kompetenzen erlernen, sondern auch mit Musik-Kultur überhaupt erstmals in Berührung kommen, erklärt Sozialpädagoge Christian Debebe, der das Projekt leitet. In den Familien der Kinder herrschten oft Armut, Krankheit oder Sucht, oftmals würden die Mädchen und Jungen zum Gegenstand psychischer wie körperlicher Gewalt. Bei den Musikstunden und Theaterproben könnten die Kinder vieles ausprobieren und durch die Beschäftigung mit Kunst neue Kraft schöpfen.

"Nicht jeder kann die erste Geige spielen, eine Pauke muss sich einordnen, ein Solo ist aber auch mal möglich", vergleicht Gudrun Dreßel, Vorstandssprecherin der Stadtmission das, was die Kinder beim Projekt lernen mit dem echten Leben. Es gehe nicht ums Können, sondern ums Trauen und Machen. "Manche der teilnehmenden Kinder haben es mit ihrer Umwelt schwer. Und ihre Umwelt mit ihnen manchmal auch. Die Musik bietet jedem eine Chance, seinen Platz im Orchester des Lebens zu finden", meint Dreßel.

Rund 50.000 Euro werden in dem seit sieben Jahren laufenden Projekt pro Jahr benötigt, um Personal, Instrumente, Ausstattung oder Lizenzgebühren zu bezahlen. Da "Musik macht Freu(n)de" ausschließlich über Spendengelder finanziert wird, ruft die Stadtmission derzeit zum Spenden auf.

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