Herr Grabow, der Augsburger Friedenspreis geht in diesem Jahr an Martin Junge, den Generalsekretär des Lutherischen Weltbunds. Welches Signal geht von dieser Wahl aus?

Michael Grabow: Mit Martin Junge fiel die Wahl auf eine Person, die sich aus christlicher Überzeugung als unermüdlicher Brückenbauer zwischen den Konfessionen und Kulturen, zwischen Nord und Süd einsetzt für ein versöhntes Miteinander. Wir stellen eine Friedensarbeit in den Mittelpunkt, die den Dienst an Gott und den Dienst an der Welt zusammendenkt und so Weltverantwortung zu übernehmen bereit ist, gerade auch im Blick auf Menschenwürde, Gendergerechtigkeit und Diversität, auf Meinungsfreiheit und religiöse Selbstbestimmung.

Das Augsburger Friedensfest, aus dessen Anlass der Preis verliehen wird, ist vor allem ein regionales Fest. Hat der Friedenspreis darüber hinaus Wirkung?

Grabow: Unbedingt. Der Friedenspreis ist ja gerade ein Zeichen dafür, dass wir nicht nur auf die Region schauen, sondern mit dem Friedensfest auch einen weltweiten Versöhnungsprozess im Blick haben. Das zeigt sich bei den bisherigen Preisträgern, die allesamt mit ihrer Arbeit weltweit Frieden stiften – zwischen Religionen, zwischen Ländern oder zwischen den Geschlechtern. Zu vielen dieser Preisträger ist eine dauerhafte Beziehung entstanden. Manche kehren immer wieder hierher zurück. Das unterstreicht die anhaltende Wirkung, die vom Augsburger Friedenspreis ausgeht.

Friedenspreise gibt es einige. Was macht den Augsburger Friedenspreis aus?

Grabow: Vor allem, dass er eine sehr lange Tradition aufnimmt. Sie beginnt mit dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, der das gleichberechtigte Zusammenleben der Konfessionen in der Stadt ermöglichte. Heute stehen Friedenspreis und Friedensfest vor allem für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen. Damit das funktioniert, muss man jedoch immer wieder am Frieden arbeiten. Der Friedenspreis steht damit auch für eine dauerhafte Friedensarbeit. Er zeigt: Für den Frieden muss man sich immer wieder neu einsetzen.

Welche Rolle hat die Kirche dabei?

Grabow: Der Einsatz für den Frieden ist für uns als Kirche ein Kernthema. Der jüdische Begriff "Schalom" fasst das gut zusammen: Es geht um mehr als Abwesenheit vom Krieg, um das Zusammenleben von Menschen in Frieden und um gegenseitige Anteilnahme. Nicht umsonst setzen wir uns als Kirche etwa dafür ein, dass Flüchtlinge begleitet und unterstützt werden. Oder nehmen Sie den Augsburger "Runden Tisch der Religionen", an dem sich Vertreter unterschiedlicher Religionsgemeinschaften regelmäßig austauschen: Dieser interreligiöse Dialog trägt viel zum friedlichen Zusammenleben bei.

Gilt das auch für das Friedensfest?

Grabow: Davon bin ich überzeugt. Wenn Sie etwa die Friedenstafel anschauen, an der sich am Friedensfesttag stets mehr als 1.000 Menschen treffen, um ihr Essen zu teilen: Da sehen Sie Juden, Christen, Muslime nebeneinandersitzen und miteinander feiern. Sie nehmen Rücksicht aufeinander – bis hin zu den Speisegeboten des anderen. Die Menschen essen und reden friedlich miteinander. Das ist für mich ein Symbol dafür, wie das Zusammenleben und Aufeinanderzugehen der Religionen und Konfessionen funktionieren kann.

Friedensfest und Friedenspreis

Das Augsburger Friedensfest wurde am 8. August 1650 erstmals begangen. Die Protestanten feierten damit nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs die Wiedererlangung ihrer Religionsfreiheit. Seit 1950 ist der 8. August ein gesetzlicher Feiertag, der nur in Augsburg gilt. Seit 1985 ist das Friedensfest ökumenisch. Im selben Jahr wurde der Augsburger Friedenspreis erstmals verliehen. Seitdem zeichnet er alle drei Jahre eine Persönlichkeit aus, die sich für ein friedliches Miteinander der Religionen und Kulturen einsetzt.