Die Reichenbachbrücke in München überquert die Isar in der Stadtmitte. Zugleich gibt sie Menschen ein Dach über dem Kopf. Zurzeit "wohnen" dort auch Ismet (47), Valentin (53) und Kasimir (43). Die Tagelöhner des 21. Jahrhunderts stammen aus Bulgarien und dürfen sich nach EU-Recht in Deutschland aufhalten und arbeiten. Anrecht auf Sozialhilfe haben sie nicht. Eine Wohnung können sie sich nicht leisten.

So hausen die drei mit anderen Kumpels zusammen unter der Brücke. Auf herbeigeschleppten Matratzen und zwischen Stühlen und einem Tisch vom Sperrmüll. Irgendwo steht ein kleiner Rollkoffer, sogar eine Blumenvase mit Blumen. "Ich bin hier verloren", sagt Kasimir, und zeigt zur Bekräftigung eine Plastiktüte mit Pfandflaschen. Davon lebt er.

Anspruch auf Sozialhilfe erst nach fünf Jahren

Deutschland ist für südosteuropäische Arbeitsemigranten das bevorzugte Ziel. Derzeit leben in und um München rund 13.000 Bulgaren und knapp 18.800 Rumänen, viele von ihnen in prekären Verhältnissen. Bürger der beiden EU-Mitgliedsländer können in der Europäischen Union Wohn- und Aufenthaltsort frei wählen und auch in anderen EU-Ländern arbeiten. Doch das soziale Netz für diese Menschen aus der "Armutszuwanderung", wie es im Fachjargon heißt, ist löchrig.

So hausen die Männer in Parks, zwischen Gleisen und am Mittleren Ring, ohne Recht auf medizinische Hilfe und ohne Anspruch auf ein Existenzminimum. Nach geltendem Recht haben Europäer, die sich auf Arbeitssuche befinden, erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland Anspruch auf Sozialhilfe. Ausgeschlossen ist damit auch das Recht auf einen Platz in den Unterkünften, die die Sozialämter für Obdachlose bereithalten. Lediglich im Winter stehen obdachlosen EU-Bürgern die Kälteschutzprogramme offen. Ansonsten gilt: Wer über eine Heimatadresse in einem EU-Land verfügt, gilt nicht als wohnungslos.

Hilfe von "Initiative Zivilcourage"

Heute treffen sich Ismet und Valentin, die Obdachlosen von der Reichenbachbrücke, in einem Beratungscafé der Arbeiterwohlfahrt mit Lisa Riedner von der Initiative Zivilcourage. Die Initiative kümmert sich um die Menschen aus Südosteuropa, die hier auf Arbeitssuche sind und meist kein Deutsch sprechen. Die junge engagierte Frau spricht auch ein wenig Türkisch – das ist neben dem Bulgarischen die Sprache der Minderheiten an der bulgarisch-türkischen Grenze.

Bei dem Beratungstermin heute geht es um den ausstehenden Lohn von Ismet und Valentin. Sie sind von einem Subunternehmen für eine Baustelle in Feldmoching angeheuert worden. Eine Woche haben sie dort gearbeitet, aber bislang kein Geld bekommen. Jetzt fahren sie mit Lisa Riedner zur Baustelle. Ismet zeigt die Stellen, an denen sie gearbeitet haben: beim Innenausbau, beim Schleppen von Holzpaletten, beim Schlagen von Kabelschlitzen.

Arbeit ohne Lohn

Sie versuchen auf der Baustelle den Vorarbeiter zu finden, der ihnen die Arbeit verschafft hat – vergebens. Den Namen der Subfirma, die sie angeworben hat, wissen die beiden Bulgaren nicht. Nur dass der Mann "Theo" heißt. Schließlich kommen sie ins Büro der Bauleitung. Der Ingenieur hört sich die Forderung der beiden Arbeitsmigranten an. Lisa Riedner übersetzt und sagt auch schon mal resolut: "Das Beste wäre, Sie würden den Männern jetzt ihren Lohn auszahlen!"

Der Bauleiter geht mit hinaus auf die Baustelle. Noch einmal zeigen Ismet und Valentin, wo und was sie gearbeitet haben. Immerhin wird jetzt klar, welcher Subunternehmer in der Schuld steht. Der Bauleiter verspricht, er werde sich an die Firma wegen des fehlenden Lohns wenden. Für heute bleibt den Männern aus Bulgarien nichts anderes übrig, als wieder zurückzufahren – zu ihrem Unterschlupf unter der Reichenbachbrücke. Doch diesmal geht die Geschichte gut aus. Eine Woche später schreibt Lisa Riedner per E-Mail: "Ismet hat mir gestern berichtet, dass der Subunternehmer ihm und seinen Freunden das geforderte Geld ausgezahlt hat."