Der Notruf geht am Abend des 13. Februar 1970 ein - kurz nach Sabbatbeginn. Im jüdischen Altersheim in der Münchner Reichenbachstraße, wo sich auch die Hauptsynagoge befindet, ist ein Feuer ausgebrochen. Erst glaubt man noch an einen Unfall, doch der Fund eines Benzinkanisters vor Ort bringt die traurige Gewissheit: Das Feuer wurde absichtlich gelegt. Sechs Bewohner ersticken oder verbrennen in den Flammen, ein siebter überlebt den Sprung aus dem vierten Stock nicht.

Der 13. Februar 1970 markiert bis heute einen der schwersten Anschläge auf die jüdische Gemeinschaft im Nachkriegsdeutschland. Die Täter werden nie ermittelt. Trotz dieser Tragweite: Aus dem öffentlichen Bewusstsein ist der Anschlag so gut wie verschwunden. Kein öffentliches Mahnmal erinnert an das Geschehen. Am 50. Jahrestag soll es nun eine Gedenkfeier im Alten Rathaus München geben.

13. Februar 1970: Der damalige Oberbürgermeister nennt den Anschlag eine "Katastrophe"

Münchner Oberbürgermeister war 1970 Hans-Jochen Vogel (SPD). Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) nennt er den Anschlag 50 Jahre später eine "Katastrophe". Das Perfide: Die Opfer, allesamt Holocaust-Überlebende, wurden in Deutschland, dem Land der Täter, ermordet. Vogel berief noch in der Tatnacht eine Pressekonferenz ein. In den folgenden Tagen kam Politprominenz aus ganz Deutschland nach München, unter ihnen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP), und zur Trauerfeier Bundespräsident Gustav Heinemann.

Die Polizei fahndete derweil nach den Brandstiftern - doch obwohl "außerordentlich gründliche Ermittlungen" stattgefunden hätten, habe man die Täter nicht finden können, bedauert Vogel. Für ihn sei das ein Grund dafür, dass der Anschlag eher nur noch eine "Randerinnerung" im öffentlichen Bewusstsein sei.

Das mit der "Randerinnerung" können prominente Münchner Juden wie die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch (87), und der SPD-Stadtrat Marian Offman (71) nur bestätigen. Sie nennen noch einen weiteren Grund, warum der Anschlag nicht so sehr im Vordergrund stehe: der Umgang Deutschlands mit der NS-Vergangenheit.

Zum 50. Jahrestag findet eine Gedenkveranstaltung in Dachau statt

Für Knobloch sei der 13. Februar 1970 "ein schlimmer Tag" gewesen, sagt sie. Viele der Opfer und Bewohner des Seniorenheims habe sie persönlich gekannt. Offman erzählt, dass in der jüdischen Gemeinde "völlige Verzweiflung" darüber geherrscht habe, dass nach dem Holocaust in Deutschland wieder Juden ermordet worden seien. Er bezeichnet es als "unglaublich", dass Holocaust-Überlebende an einem vermeintlich sicheren Ort getötet werden konnten. Es blieben bis heute viele offene Fragen.

Dass es nach der "Stunde Null" immer noch antisemitische Angriffe auf Juden gab - das habe nicht ins Selbstbild des neuen und demokratischen Deutschlands gepasst, sagt die Leiterin der städtischen Fachstelle für Demokratie, Miriam Heigl. Deshalb würden solche Anschläge oftmals als Einzeltaten abgetan und verschwänden daher schnell aus dem öffentlichen Fokus. Und das sei übrigens auch kein Phänomen von München, wo etwa mit dem Anschlag auf dem Flughafen München-Riem (1970), dem Olympia-Attentat (1972) oder dem Oktoberfestattentat (1980) besonders schwere Anschläge stattfanden, sondern typisch für das Nachkriegsdeutschland, betont Heigl.

Ein Aufschrei in der jüdischen Gemeinde blieb angesichts der erfolglosen Suche nach den Tätern aus. Denn die Juden hätten damals "in einem selbst gewählten Ghetto" gelebt, wie es Charlotte Knobloch ausdrückt. Die meisten Überlebenden wanderten nach dem Zweiten Weltkrieg aus; in München lebten Anfang der 70er Jahre nur noch wenige Juden.

Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 überschattet den Brandanschlag

Der bayerische Antisemitismusbeauftragte Ludwig Spaenle (CSU) nennt einen weiteren Grund, warum der Brandanschlag von 1970 in Vergessenheit geraten ist: die Geiselnahme bei den Olympischen Spielen 1972 durch palästinensische Terroristen. Bei der Befreiungsaktion am Fliegerhorst Fürstenfeldbruck sterben vor den Augen der Weltöffentlichkeit elf israelische Sportler und ein bayerischer Polizist. Ein solcher Anschlag nur zwei Jahre später überschatte alles andere, sagt Spaenle.

Die Frage, warum und von wem vor 50 Jahren sieben Menschen im jüdischen Altersheim getötet wurden, wird wohl nie beantwortet werden. Nachdem neue Hinweise auf mögliche Täter aufgetaucht waren, wurden 2013 die Ermittlungen wieder aufgenommen - und 2017 ergebnislos eingestellt.

Gedenkveranstaltung in der Versöhnungskirche Dachau

Zum 50. Jahrestag des Anschlags erinnert die Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau an die Opfer. Das namentliche Gedenken findet am Sonntag, 16. Februar, 11 Uhr, im Rahmen des Gottesdienstes statt. Den Gottesdienst gestalten Pfarrerin Claudia Buchner und Kirchenrat Dr. Björn Mensing, Landeskirchlicher Beauftragter für evangelische Gedenkstättenarbeit.

Ernst Grube, Münchner Holocaust-Überlebender, Präsident der Lagergemeinschaft Dachau und Kuratoriumsvorsitzender der Stiftung Bayerische Gedenkstätten, spricht ein Grußwort. An der musikalischen Gestaltung beteiligt sich ein Streichquartett des Dachauer Ignaz-Taschner-Gymnasiums unter Leitung von Jutta Wörther.

Nach dem Gottesdienst werden - mit Zustimmung des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern - die sieben zum Gedenken entzündeten Kerzen in die benachbarte Jüdische Gedenkstätte gebracht. Dort spricht Rabbiner Steven Langnas ein Gedenkgebet. Er ist Seelsorger im Saul-Eisenberg-Seniorenheim der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern sowie Erster Vorsitzender des Münchner Lehrhauses der Religionen.

Am Gedenken nehmen als Ehrengäste Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in München und Nachkommen von Dachau-Häftlingen teil. Zudem kommen Vorstandsmitglieder der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, des Vereins "Chaverim - Freundeskreis zur Unterstützung des Liberalen Judentums in München" und der Deutsch-Polnischen Gesellschaft sowie der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann und Mitglieder des Kreistages des Landkreises Dachau, der eine Partnerschaft zum polnischen Landkreis Oświęcim pflegt. Kulturreferent Anton Biebl vertritt die Landeshauptstadt München. Ein Zeichen der ökumenischen Verbundenheit setzt Ludwig Schmidinger, Bischöflicher Beauftragter für KZ-Gedenkstättenarbeit in der Erzdiözese München und Freising.