Bislang hatte Gertrud K. in ihrer 62-Quadratmeter-Wohnung im Münchner Norden rund 700 Euro Miete bezahlt. Sie wohnte in der ehemaligen Sozialwohnung seit 55 Jahren. Jetzt ist die alte Dame in ein Pflegeheim gezogen, die Tochter löste den Mietvertrag auf. Und der Vermieter hält die Hand auf: 1.500 Euro warm soll künftig die Miete betragen. Alltag in München, der Hauptstadt der hohen Mieten. Wie auch in Berlin und anderen Städten regt sich dort der Protest, doch das Thema Enteignung über einen Volksentscheid steht noch eher im Hintergrund.

Der strukturelle Unterschied zwischen der Bundeshauptstadt mit ihren 3,7 Millionen Einwohnern und der weißblauen Landeshauptstadt mit 1,5 Millionen Einwohnern zeigt sich im Straßenbild: Während in Berlin nicht selten noch große Brachflächen zu finden sind, ist München inzwischen ziemlich zugebaut.

Bauherren setzen in Erwartung hoher Renditen auch auf kuriose Bauprojekte.

Jüngstes Beispiel dafür ist der Umbau des ehemaligen Frauengefängnisses "Am Neudeck in der Au" zu einer Residenz mit Luxus-Appartements. Der Haushaltsausschuss im Landtag beschloss 2011, das staatliche Gebäude an finanzstarke Investoren zu verkaufen. Andere Beispiele sind die Umwandlung des alten Hochbunkers an der Ungererstraße, des ehemaligen Arbeitsamtes in der Thalkirchnerstraße und der Hauptpost in der Arnulfstraße. In der Stadt steht auch das ehemalige Werksgelände der Paulaner-Brauerei zur Bebauung an. Damit schreitet in der Landeshauptstadt jener Prozess weiter voran, bei dem ehemalige Industrieflächen, Kasernengelände und Behördenbauten durch moderne Wohnbebauung ersetzt werden.

Aber auch in der vergleichsweise wohlhabenden bayerischen Hauptstadt regt sich angesichts der in die Höhe kletternden Mieten Protest.

Mit Neuvermietungen von 13,48 Euro pro Quadratmeter zahlt man in München nach Angaben des Sozialreferats der Stadt inzwischen 53 Prozent mehr Miete als im Bundesdurchschnitt.

Möglich ist das nur, weil sich Firmen ansiedeln wie jüngst die Zentrale von Microsoft, deren Mitarbeiter sich derartige Mietbelastungen leisten können - oder diese von den Firmen übernommen werden.

Dass für viele Mieter inzwischen allerdings die Grenze erreicht ist, zeigte eine große Demonstration mit fast 10.000 Teilnehmern im September 2018. Unter dem Motto "ausspekuliert" hatte eine Mieter-Initiative zum Kampf gegen Mietwucher und Immobilienspekulation aufgerufen. An dem bundesweiten Mieterprotest am 6. April hatten in München allerdings nur einige Hundert teilgenommen.

Zu Enteignungen als Lösung für das Wohnungsproblem geht man in München eher auf Distanz.

Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hält eine derartige Maßnahme für den falschen Weg. Die Stadtspitze fordert stattdessen einen Mietspiegel, der sich an längeren Zeiträumen als den derzeit geltenden vier Jahren orientiert. Außerdem sollen Bund und Länder keine Wohnungen und Grundstücke mehr verkaufen. Reiter will auch neue Instrumente ausprobieren: etwa einen Bürgerfonds, über den sich Anlieger an Münchner Wohnungen mit Mietpreisbremse beteiligen können.

Auch der Münchner Mieterverein hält die Enteignung von Wohnungen großer Immobilienunternehmen für die Stadt selbst nicht für die richtige Lösung. "Die Frage ist: Was ist für die Mieter zielführend und kann sich eine Kommune einen derartigen Ankauf überhaupt leisten?", sagt Beatrix Zurek, Vorsitzende des Mietervereins. Sie könne sich allerdings eine Vergesellschaftung - "mir gefällt dieses Wort besser und das steht ja auch im Grundgesetz" - auf Landesebene vorstellen: "Ich halte dieses Instrument für legitim, wenn es kein anderes Mittel gibt."

Von den Parteien spricht sich in Bayern die Linkspartei klar für eine Vergesellschaftung aus:

"Eine Initiative 'Deutsche Wohnen & Co enteignen', wie sie in Berlin ins Leben gerufen wurde, wäre auch für München sinnvoll", sagt Nicole Gohlke, Kreissprecherin und Mitglied des Bundestages.