Dabei stehen die sichtbaren und unsichtbaren Spuren im Mittelpunkt, mit denen der Reformator die deutsche Sprache bis heute geprägt hat – Begriffe wie "Machtwort", "Lückenbüßer" oder "Feuereifer" sind längst Bestandteile der Alltagssprache. Luther sei bekannt als "Thesennagler, Kirchenspalter, Nonnengatte, Dr. Dolmetscher, Bibelübersetzer, Worterfinder, Tintenfasswerfer, Teufelverschrecker, Zornmönch, Reformierer und DemVolkaufsMaulSchauer". Aber: "Wie steht’s mit seinem Sprachmaterial rund um uns herum?"

Mit dieser Frage eröffnen Nora Gomringer und Petra Feigl ihre Beschreibung des Projekts "Aufsmaulschaun – denn der Bauch hat keine Ohren", das im Veranstaltungsmarathon zum Reformationsjubiläumsjahr 2017 für einen kreativen Farbtupfer sorgt. "Wir wollen schauen, was von dieser reichen Sprache noch da ist, mit der Luther uns durch seine Bibelübersetzung beschenkt hat." So beschreibt die mehrfach preisgekrönte Lyrikerin Nora Gomringer, Leiterin der Villa Concordia in Bamberg, das Ziel des Unternehmens, das sie gemeinsam mit der Text- und Objektkünstlerin Petra Feigl (Bayreuth) auf die Beine gestellt hat und das am Montag offiziell an den Start ging.

Dazu werden in den nächsten Monaten Audio- und Videobeiträge in einer Online-Collage gesammelt, um "dem Lutherschen Vokabularium aus jetzigem Menschenmund ein Gehör zu geben", wie es Petra Feigl formuliert. Befragt werden Leute auf der Straße, in den Kirchen, in Akademien und vielen anderen Orten zur Sprache Luthers. "Wir wollen dabei herausfinden, ob wir überhaupt noch wissen, von wem und aus welchen Zusammenhängen diese Worte kommen, die in unserer Gegenwartssprache herumschwirren", sagte Gomringer dem Sonntagsblatt. Veröffentlicht werden alle Clips, Texte, Songs und Animationen in einem Blog namens aufsmaulschaun.de, der ständig aktualisiert wird. Weitere Mitwirkende seien ausdrücklich willkommen, bekräftigten die beiden "Macherinnen".

Unkonventioneller Beitrag zum Reformationsjubiläum

Auftraggeber für das Kunst- und Literaturprojekt ist das Fichtelgebirgsmuseum Wunsiedel, das damit nach den Worten seiner Leiterin Sabine Zehentmeier-Lang bewusst einen eher unkonventionellen Beitrag zum Reformationsjubiläum 2017 leisten möchte. "Aufsmaulschaun" wird auch im Mittelpunkt einer multimedialen Ausstellung stehen, die ab 26. Oktober im Wunsiedler Museum gezeigt wird und später auf Wanderschaft gehen soll.

Indem sie ihre "Wortklaubereien und Beo(hr)bachtungen zu und mit lutherschem Sprachmaterial" im Internet publizieren, sehen sich Nora Gomringer und Petra Feigl durchaus in der Tradition des Reformators, der sich zu seiner Zeit auch des Buchdrucks als damals modernsten Mediums bedient habe. Zugleich sei das Projekt auch eine Art "Feldstudie" der Sprachbeobachtung, merkte Nora Gomringer an: "Wie gehen beispielsweise Flüchtlinge damit um, wenn man sie mit einer Sprache konfrontiert, die ein Mann vor Jahrhunderten geschaffen hat?"

Aufgeschlossen und mit einigen Erwartungen steht auch die Kirche der künstlerischen Annäherung an Luthers Sprache gegenüber. Pfarrer Eckhart Kollmer aus Schottenstein, Beauftragter des evangelischen Kirchenkreises Bayreuth für Kirche und Kunst, erhoffte sich bei der Präsentation Impulse dafür, "zu hören, was die Menschen heute bewegt, und immer wieder neu die Sprache zu finden, um mit ihnen zu kommunizieren". Und um einen recht spektakulären Beitrag wird die Aktion voraussichtlich im Sommer in Bad Berneck bereichert, wie Petra Feigl andeutete. Clips aus der Online-Collage sollen dort in den Abendstunden an die Fassade der Dreifaltigkeitskirche projiziert werden.

 

Der erste Clip mit Nora Gomringer ist bereits online: www.aufsmaulschaun.de