Bernhard Liess ist dem Süden Bayerns immer treu gewesen: Der gebürtige Münchner war Pfarrer in Rosenheim und zuletzt in Planegg. Jetzt tritt der 51-jährige promovierte Theologe die Nachfolge von Barbara Kittelberger als Stadtdekan in München an.

Herr Liess, ab 1. September sind Sie Stadtdekan von München. Warum haben Sie sich auf diese Stelle beworben?

Bernhard Liess: In so einer Großstadt Dekan zu sein, ist eine spannende Herausforderung. Wie kann man in einer urbanen Atmosphäre Christ sein und die christliche Botschaft auf attraktive Weise den Menschen nahebringen? München ist wie ein Laboratorium, viele Prozesse zeichnen sich hier ab, bevor sie anderswo relevant werden. Wie wollen wir hier als Kirche sichtbar werden, wie wollen wir predigen und gesellschaftspolitisch wirken?

Können wir zeigen, dass unsere Botschaft nicht nur ganz nett ist, sondern für das Leben der Menschen relevant? Auch das möchte ich als Stadtdekan: die existenzielle Dimension des Glaubens zeigen. Kirche befindet sich in einem großen Transformationsprozess. Darüber muss man nicht lamentieren, das muss man gestalten. Ich möchte das zusammen mit den tollen Menschen, die schon im Dekanat tätig sind, ermöglichen.

Als Pfarrer der Münchner Vorortgemeinde Planegg haben Sie die Fusion mit der Gemeinde Stockdorf organisiert. Worauf kommt es an, damit so ein Prozess mit vielen Befindlichkeiten glückt?

Bernhard Liess: Die Initiative zu einer Fusion muss aus den beteiligten Gemeinden selbst kommen. Gemeinden reagieren zu Recht allergisch darauf, wenn der Eindruck entsteht, eine Fusion wäre von oben diktiert. Damit so ein Prozess gelingt, ist viel Vertrauensbildung nötig. Man muss zusammen mögliche Szenarien entwerfen, abwägen und nach gründlicher Diskussion entscheiden.

Corona beschert den Kirchen künftig weniger Steuereinnahmen. Wird es bald häufiger Fusionen von Gemeinden geben müssen?

Bernhard Liess: Ich warne davor, Fusionen als Musterlösung für Personalknappheit zu betrachten. Für Planegg und Stockdorf war das passend, anderswo kann es verheerend sein. Es gibt manche Beispiele, wo Fusionen jahrelange Verletzungen nach sich gezogen haben.

Man muss genau schauen, was vor Ort passt und wo die Räume sind, die zusammengehören. Gerade im Bereich von Kooperationen und Aufgabenbündelung ist noch viel Luft nach oben, zum Beispiel bei Verwaltungsfragen oder in der Jugendarbeit.

Nun wartet München mit 66 evangelischen Gemeinden und den Verpflichtungen der Landeshauptstadt: Wie wollen Sie Managementaufgaben nach innen und Repräsentation nach außen gewichten?

Bernhard Liess: Die repräsentative Funktion möchte ich sehr stark gewichten. Ich möchte rausgehen in die Stadtgesellschaft und unsere Themen sichtbar machen. Natürlich ist es eine hohe Verantwortung, dass auch intern Personal- und Finanzfragen gut gemanagt werden.

Aber letztlich interessiert es die Menschen nicht, ob unsere Verwaltung funktioniert oder wie wir uns organisieren.

Ich möchte intern die richtigen Strukturen ermöglichen, damit wir dann draußen bei den Menschen sein können.

Nennen Sie Herzensthemen, bei denen Sie sich als Stadtdekan zu Wort melden werden.

Bernhard Liess: Da sind die gesellschaftspolitischen Fragen, die ich zusammen mit der Inneren Mission angehen will. Themen und Menschen eine Stimme verleihen, die selber keine haben oder die übersehen werden, ist mir wichtig. Kunst und Kultur haben oft ähnliche Themen wie Kirche: Wie können wir kooperieren? G

egen Antisemitismus und Rassismus will ich ein klares Signal setzen, wie schon meine Vorgängerin Barbara Kittelberger. Gedenkarbeit wie sie in der Versöhnungskirche Dachau stattfindet, ist mir ein Herzensanliegen.

Und schließlich die Frage: Was macht unsere Kirche aus? Das konzeptionelle Überlegen, damit will ich nie fertig sein.

Sie sind Mitglied im Kabarett "Die PfarrerMangel" und haben viele Missstände und Kuriositäten von Kirche aufs Korn genommen, von den Eitelkeiten mancher Kirchenoberen bis zur Bürokratie. Wozu verpflichtet der Kabarettist in Ihnen den neuen Stadtdekan?

Bernhard Liess: Dass er zu dem steht, was der Kabarettist vorher auf die Schippe genommen hat. Kabarett bedeutet ja, genau hinzuschauen und wachsam zu sein: Wo läuft etwas aus dem Ruder? Diesen wachen, humorvollen Blick möchte ich mir behalten.

Ich finde, Kirche braucht ganz viel Humor. Er ist eine von Gott geschenkte Fähigkeit, anders mit der Wirklichkeit umzugehen.

Ihre Kinder sind zehn und zwölf Jahre alt. Wie wollen Sie Freiräume für die Familie bewahren?

Bernhard Liess: Das wird nur mithilfe fester Zeiten gelingen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist gerade auch im Pfarrberuf eine wichtige Frage. Das muss auch in Leitungsfunktionen möglich sein. Ich werde versuchen, proaktiv mit Terminen umzugehen. Wer nur reagiert, hat schon verloren. In meinem Kalender soll Freiraum für die Familie fest eingeplant sein.