Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie werfen die Inklusionsbemühungen aus dem deutschen Arbeitsmarkt laut einer Analyse um Jahre zurück - besonders in Bayern.

In keinem anderen Bundesland ist die Zahl der arbeitslosen Menschen mit einer Schwerbehinderung zwischen Oktober 2019 und Oktober 2020 so stark gestiegen, heißt es im Inklusionsbarometer der Aktion Mensch. Im Freistaat nahm die Zahl der Arbeitssuchenden um 19,1 Prozent auf 24.669 Menschen zu, bundesweit lag der Anstieg bei rund 13 Prozent.

Im Jahr 2019 hatte die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderungen mit 156.621 ein Rekordtief erreicht, 2020 stieg sie auf 173.709 Arbeitslose. Das Handelsblatt Research Institute erstellt in Kooperation mit der Förderorganisation Aktion Mensch jährlich das Inklusionsbarometer und stützt sich auf Daten der Bundesagentur für Arbeit und der Integrationsämter. Von der negativen Arbeitsmarktentwicklung infolge der Corona-Pandemie seien durchweg alle Bundesländer in Deutschland betroffen.

Auch Baden-Württemberg und Hessen sind betroffen

Auch in Baden-Württemberg und Hessen seien die Werte mit einem Plus von 16,4 und 16,2 Prozent im bundesweiten Vergleich besonders hoch. Hier zeige sich eine Überlagerung der coronabedingten Konjunkturkrise mit der ohnehin anhaltenden Strukturkrise, die beispielsweise in der Automobil- und Automobilzulieferungsindustrie deutlich spürbar sei.

Regionen wie Hamburg seien dagegen stark vom Tourismus geprägt und verzeichneten deshalb in der aktuellen Krise einen großen Verlust von Arbeitsplätzen, von dem auch viele Menschen mit Behinderung betroffen seien.

Die östlichen Bundesländer schneiden mit einem Anstieg der Behinderten-Arbeitslosenzahlen mit jeweils einstelligen Prozentzuwächsen noch vergleichsweise gut ab - bis auf Sachsen mit einem Anstieg um knapp elf Prozent. Am niedrigsten fiel der Anstieg bundesweit in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern mit 6,6 beziehungsweise 6,7 Prozent aus, gefolgt von Bremen (plus 8,6 Prozent) und Thüringen (plus 8,7 Prozent).

Folgen der Pandemie für Arbeitslose mit Schwerbehinderung dauern länger an

Die Studienergebnisse markieren nach Einschätzung des Präsidenten des Handelsblatt-Research Institutes, Bert Rürup, eine deutliche negative Trendwende. Seit 2013 habe sich die Arbeitsmarktsituation von Menschen mit Behinderung in Deutschland fast stetig verbessert. "Doch die rasant negative Entwicklung in diesem Jahr macht in kürzester Zeit die Erfolge der letzten vier Jahre zunichte", erklärte Rürup.

Zu rechnen sei auch mit Langzeitfolgen durch diesen Rückschlag, prognostizierte der Arbeitsmarktexperte. Zwar steige die Zahl der arbeitslosen Menschen mit Behinderung bundesweit langsamer an als die allgemeine Arbeitslosenquote. Doch die negativen Folgen der Pandemie dürften für Arbeitslose mit Schwerbehinderung länger andauern.

Dies liege am besonderen Kündigungsschutz für Behinderte, der die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zeitlich verzögert. "Daher ist noch nicht absehbar, ob es angesichts der gesamtwirtschaftlichen Erholung ab dem Sommer in den kommenden Monaten zu dem befürchteten Nachholeffekt bei den Entlassungen kommt", sagte Rürup.

Arbeitslose Behinderte suchen deutlich länger nach einem neuen Job

Diese Entwicklung betrachte auch die Aktion Mensch mit großer Sorge. "Haben Menschen mit Behinderung ihren Arbeitsplatz erst einmal verloren, finden sie sehr viel schwerer in den ersten Arbeitsmarkt zurück als Menschen ohne Behinderung", erklärte Sprecherin Christina Marx. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise suchten arbeitslose Behinderte im Durchschnitt schon im vergangenen Jahr 117 Tage länger nach einer neuen Stelle als Menschen ohne Behinderung.

Zu befürchten sei auch, dass viele Inklusionsunternehmen - bundesweit rund 650 - in den kommenden Monaten Insolvenz anmelden könnten, hieß es. In diesen Unternehmen arbeiteten rund 40 Prozent Menschen mit Behinderung, hauptsächlich in der Gastronomie, der Hotellerie oder Gemeinschaftsverpflegung.