Die Balance zwischen Menschwürde und Infektionsschutz in den bayerischen Seniorenheimen ist in der Corona-Pandemie verloren gegangen. Das hat bei einer Podiumsdiskussion in der St. Michaelskirche in Fürth niemand bestritten.

Die Selbstbestimmung der Senioren müsse nun wieder mehr ins Zentrum rücken, forderte bei dem Gespräch unter dem Motto "Geht Schutz über alles?" der frühere Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock.

Selbstbestimmung und Lebensschutz

Man müsse die Rechte alter Menschen wieder ins Bewusstsein holen, "um zu zeigen, wie menschlich unsere Gesellschaft sein kann". Er forderte für alle Bewohnerinnen und Bewohner einen "Raum der Privatheit und der Intimität", den sie mit einer Person teilen könnten.

Es müsse außerdem möglich sein, dass Menschen sich berühren könnten. "Die Selbstbestimmung ist der Menschwürde näher als der Lebensschutz", stellte Dabrock fest. Es werde nie ein Leben ohne Risiken gebe. Man dürfe daher von den Heimen nicht mehr verlangen, als möglich sei.

Urteil zu den Beschränkungen in der Pandemie

Die Beschränkungen haben "immensen Schaden angerichtet", erklärte der Altenheimseelsorger Rudolf Koch.

Die Regeln seien notwendig, aber Gesundheitsfürsorge ohne auf das Seelische zu achten "ist kalt". Er stelle aber auch eine Angst bei den Heimleitungen fest, "nichts falsch zu machen".

Es müsse daher der Gesellschaft aber klar gemacht werden, dass es nicht um Schuldfragen, sondern um Achtsamkeit, Fürsorge und Würde ginge, so der Pfarrer.

Mitspracherecht im Alter

Ein Beispiel mangelnder Kommunikation mit Bewohnern und Angehörigen steuerte die Angehörige Evelyn Preuß der Debatte bei.

Sie durfte das Zimmer ihrer Schwiegermutter nicht betreten. In der Folge habe aber eine fremde Person die Sommerkleidung der alten Dame gegen die Winterkleidung ausgetauscht.

Die sei deswegen sehr verängstigt gewesen. "Man kann die alten Menschen so nicht übergehen", kritisierte Preuß, "auch wenn man alt ist, hat man Rechte".

Forderung: Bewohner und Angehörige nicht alleine lassen

Der Arzt Richard Sohn, der selbst seine demenzkranke Mutter in einem Heim zehn Wochen lang nicht besuchen konnte, forderte die Staatsregierung auf, Bewohner und Angehörige nicht allein zu lassen.

Die Ärzte wollten, dass der Schutz bleibt, sagte der Mediziner, aber nie mehr wieder sollten die Besuche in Heimen rigide verboten werden. Er schlug Schnelltests vor allem für das Personal in den Heimen vor. Das müsste in nächster Zeit Vorrang haben.

Leitungen der Senioreneinrichtungen in schwieriger Position

Mehr Rückendeckung für die Leitungen der Senioreneinrichtungen forderte der Präsident der Diakonie Bayern, Michael Bammessel.

Sie seien in einer schwierigen Position, weil sie sich zwischen den Aufträgen der Politik, Vorwürfen von Angehörigen und den Wünschen von Bewohnern und Mitarbeitern befänden. Zugleich wolle keine erleben, dass in ihrem Haus Menschen wegen Corona sterben.

Regelungen für die kommenden Monate

Das Handlungskonzept für die Besuchsregelungen in den Alten- und Pflegeheime in Bayern würde für die Wintermonaten noch einmal überarbeitet, kündigte die bayerische Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml (CSU) bei dem Gespräch an.

Wieder mehr Begegnungen oder Berührungen zuzulassen, müsse man aber "gut abwägen". Sie ermunterte aber auch die Leiter von Pflegeinrichtungen zu "mehr Zuversicht bei aller Vorsicht".

Eventuell könnten den Einrichtungen Schnelltest zur Verfügung gestellt werden, damit bei Besuchern in kurzer Zeit festgestellt werden könne, ob sie infiziert sind, so die Ministerin.