Einer der größten Meilensteine der modernen Medizin ist im Prinzip dem Zufall zu verdanken: Als Wilhelm Conrad Röntgen im Herbst 1895 wie so oft bis spät in die Nacht im Labor des Physikalischen Instituts der Universität Würzburg mit Kathodenstrahlen experimentierte, fingen ein paar Brösel Bariumplatinzyanür auf dem unaufgeräumten Schreibtisch zu leuchten an.

Das Glimmen hörte auch nicht auf, als er die Röhre mit Papier, Pappe und Holz verdeckte: Die Strahlen hatten die Eigenschaft, Materie zu durchdringen. Die Entdeckung am 8. November vor 125 Jahren machte den Forscher weltberühmt und revolutionierte Physik und Medizin.

Wilhelm Conrad Röntgens Erforschung der Strahlen

"Was in den Wochen nach dieser Entdeckung passierte, charakterisiert Röntgen ziemlich gut", sagt Roland Weigand, der Beauftragte für die Röntgen-Gedächtnisstätte in Würzburg.

Offenbar verließ der Forscher danach kaum noch sein Labor, so sehr bannte ihn die Entdeckung der unbekannten Strahlen, die er deshalb X-Strahlen nannte.

"Er ließ sich das Essen dorthin bringen, sogar ein Bett soll er im Labor aufgestellt haben - und das, obwohl er als Leiter des Instituts gerade mal einen Stock höher mit seiner Frau Bertha gewohnt hat", sagt Weigand. Doch selbst diese kurze Wegstrecke schien Röntgen damals zu weit.

Bedeutung der Entdeckung für die Medizin

Ohne Röntgens Entdeckung wäre die heutige moderne Medizin kaum denkbar. Und das betrifft nicht nur die bekannten Röntgenbilder bei Knochenbrüchen, Zahnarztbehandlungen, der Untersuchung mittels Computertomographie oder auch bei der Strahlentherapie gegen Tumore.

Denn auch bei der Bekämpfung von Viren spielen moderne Röntgenoptiken eine große Rolle. Mit hochintensiven Röntgenstrahlen lassen sich die Strukturen von kleinen Molekülen, Eiweißen, Proteinen oder eben von Viren ausmessen und darstellen.

Das wiederum hilft, passgenaue Medikamente oder Therapieverfahren zu entwickeln.

Die Geschichte Wilhelm Conrad Röntgens

Als Röntgen mit damals 50 Jahren die X-Strahlen entdeckte, war er bereits ein in Fachkreisen geschätzter Wissenschaftler.

Er hatte eine akademische Karriere hingelegt, an die 30 Jahre zuvor keiner geglaubt hatte. 1863 wurde der Remscheider im holländischen Utrecht ohne Abitur von der Schule geworfen - weil er für die Karikatur eines Lehrers verantwortlich gemacht wurde, die gar nicht von ihm stammte.

Offiziell durfte Röntgen in Utrecht deswegen nicht studieren und war nur als Gasthörer eingeschrieben. Später ging Röntgen eben nach Zürich an die Polytechnische Hochschule, dort war Studieren ohne Abi möglich.

In der Schweiz lernte er nicht nur seine spätere Frau kennen, sondern auch August Kundt, bei dem er Physik studierte. Schließlich promovierte Röntgen in Zürich und wurde Kundts Assistent.

Röntgens Forschung in Würzburg

Es folgten viele weitere Stationen an mehreren Hochschulen, ehe Röntgen 1888 einen Ruf als Professor nach Würzburg annahm. "Diese Entscheidung zeigt, dass ihm die Experimentalphysik über alles ging", sagt Roland Weigand.

Denn Röntgen hätte allen Grund gehabt, Würzburg zu meiden. Als er 1870 als Kundts Assistent erstmals in die Stadt kam, durfte er dort trotz des Doktortitels nicht habilitieren - wegen seines fehlenden Abiturs.

"Würzburg hatte damals das bestausgestattete physikalische Institut in Deutschland, vielleicht sogar in Europa", sagt Weigand. Daher zögerte Röntgen nicht lange und zog an den Main. Und dort forschte und forschte er, was die Zeit hergab.

Zur Person Röntgens

Zeitgenossen bezeichneten ihn als Kauz, als Sozialphobiker, aber auch als Genie, akribischen Forscher und Wissenschaftler; vermutlich war Röntgen alles ein bisschen. Zuvorderst aber war er uneitel.

Als er im Januar 1896 nach zahllosen Experimenten erstmals die X-Strahlen öffentlich präsentierte, begann er den Vortrag offenbar mit den Worten: "Durch Zufall entdeckte ich diese Strahlen." Nach dem Vortrag wurde von Zuhörern der Vorschlag gemacht, die von Röntgen entdeckten Strahlen auch nach ihm zu benennen - dafür fand sich eine große Mehrheit, entgegen Röntgens ausdrücklichen Wunsch.

Er meldete für die Strahlen und deren Nutzung auch kein Patent an, ihm ging es nicht um Ruhm oder Geld, sondern um die Wissenschaft. Später beanspruchten andere Forscher die Entdeckung für sich. Das ging so weit, dass ihm manche den ersten Nobelpreis für Physik im Jahr 1901 am liebsten wieder aberkennen wollten. Der Neid mancher Kollegen focht den Wissenschaftler jedoch nicht an.

Breitgefächerte Forschung des Wissenschaftlers

Röntgen selbst belastete die Entdeckung der X-Strahlen aber aus einem anderen Grund. Auch wenn er testamentarisch verfügt hatte, dass alle Aufzeichnungen außer den veröffentlichten Aufsätzen nach seinem Tod vernichtet werden sollten: Es ist überliefert, wie sehr er sich daran störte, als Experimentalphysiker "nur" auf diese eine Entdeckung reduziert zu werden, erzählt Weigand.

"Er hat 70 Aufsätze geschrieben, nur drei davon befassen sich mit den X-Strahlen." Hinzu kommt, dass es nicht die Entdeckung der X-Strahlen an sich war, die die Menschen begeisterte, sondern weil ihre Nutzung die Medizin revolutionierte.

All diese Umstände mögen ein Grund dafür sein, dass Würzburg seinen wohl bekanntesten Physiker lange Zeit eher stiefmütterlich behandelte. Die Gedächtnisstätte in Röntgens einstigem Labor, das in den heutigen Räumen der Hochschule Würzburg-Schweinfurt liegt, wurde erst 1985 eröffnet - 100 Jahre nach Röntgens bahnbrechender Entdeckung.

125. Jahrestag der Entdeckung - 175. Geburtstag Röntgens

Zum 125. Jahrestag - und Röntgens 175. Geburtstag - hatten Stadt, Uni und Hochschule das "Röntgenjahr 2020" ausgerufen. Die Corona-Pandemie machte dem Jubiläum allerdings einen Strich durch die Rechnung. Die meisten Veranstaltungen wurden deswegen ersatzlos abgesagt.

Ende September stand für eine Woche ein "Röntgenzelt" auf dem Würzburger Marktplatz, um über die bekannte Erfindung zu informieren. Am Entdeckungs-Jahrestag selbst ist in der Neubaukirche der Uni nach wie vor ein Staatsempfang geplant - ob der jedoch stattfinden wird, wird endgültig erst kurz zuvor anhand der aktuellen Infektionszahlen entschieden, sagt Weigand.

Außerdem soll die Gedächtnisstätte, die Röntgens Originallabor beherbergt, um einen Raum erweitert werden. Was dort genau gezeigt werden soll, darum macht der Trägerverein noch ein Geheimnis.