Was machen bayerische Lehrkräfte und Schulleiter in diesen Zwangsferien, wenn sie nicht gerade Online-Unterricht konzipieren? Ulrike Bauer leitet die Grundschule an der Plinganserstraße im Münchner Stadtteil Sendling und berichtet dem Sonntagsblatt von ihrem neuen Alltag.

Frau Bauer, wie sieht der neue Schulalltag für Sie und die Lehrkräfte aus?

Bauer: Ich habe trotz der Ruhe viel Arbeit - die administrative Schuleinschreibung kostet viel Zeit bei 186 einzuschreibenden Kindern. Wir haben alle Unterlagen personalisiert, eingetütet und verschickt. Inzwischen sind die meisten Unterlagen bereits zurückgekommen und müssen bearbeitet werden. Leider fehlen sie noch von 15 Kindern - da stehen jetzt Nachforschungsaufgaben an, wo diese Eltern und Kinder sind. Von den Lehrkräften arbeiten jeden Tag ein oder zwei in der Schule, alle anderen sind im Homeoffice beschäftigt. Sie bereiten das Homeschooling vor, schicken den Kindern Materialien, korrigieren Aufgaben, telefonieren mit Eltern, stellen Video-Sequenzen auf Youtube ein, nutzen Videokonferenzen zum Lehren, bringen Familien, die kein Internet haben, Arbeitsblätter vorbei, basteln, machen Online-Fortbildungen oder beschäftigen sich mit der inneren Schulentwicklung. Langweilig wird es keinem. Wir Schulleiter müssen jeden Tag in der Schule sein. Damit es auch uns nicht langweilig wird, schickt das Kultusministerium immer wieder Abfragen, etwa über die Art der Heimbeschulung. Außerdem müssen wir schon ab 21. April alle Daten für die Planung fürs neue Schuljahr hochladen.

Wie läuft es mit der forcierten Digitalisierung?

Bauer: Die Lehrer tauschen sich stetig aus und bilden sich intensiv weiter. Es bestehen Chatgruppen des Gesamtkollegiums als auch der einzelnen Jahrgangsstufen. So sind immer alle auf dem neuesten Stand. Allmählich werden wir zu Experten im Homeschooling. Einige Viertklasslehrer unterrichten mittels selbstgedrehten Youtube-Filmen. Allerdings halten wir uns hier noch zurück, da wir leider in allen Klassen mindestens zwei bis drei Kinder aus Familien haben, die kein Internet besitzen. Noch bieten wir vorwiegend Wiederholungs- und Übungsaufgaben an, da ein zu schnelles Fortschreiten im Stoff die Leistungsschere nur immens vergrößern würde. Viele Eltern können das einfach nicht leisten und ihre Kinder nicht unterstützen. Daher ist Übung, Übung, Übung und Spaß und Spiel angesagt.

Sind Sie optimistisch, mit dem Lehrplan durchzukommen?

Bauer: Die drei Wochen fehlenden Stoff holen wir leicht auf, er ist auch fürs schulische Fortkommen nicht unbedingt vonnöten. Wir versuchen, neuen Stoff vor allem in Heimat- und Sachunterricht anzubieten - diesen können sich die Kinder zuhause selbst aneignen. Wir kommen mit dem Lehrplan gut durch, auch wenn die Schulen erst spätestens Anfang Mai aufgemacht werden sollten. Dieses Jahr werden halt die letzten Wochen intensiver genutzt als sonst. Wir Lehrer sind Profis und bekommen das hin! Es gibt immer Sachen, die verkürzt werden können, gerade in Heimat- und Sachunterricht geht das. Deutsch und Mathematik stehen jetzt im Vordergrund. In den vierten Klassen muss der Hauptstoff immer bis Mitte Mai durch sein. In den anderen Jahrgangsstufen haben wir ja Zeit, den Stoff aufzuholen.

Wie herausfordernd ist das Homeschooling in den verschiedenen Klassenstufen?

Bauer: Es ist schwerer, die ersten Klassen zu unterstützen, weil da nicht alles schriftlich geht - hier müssen die Eltern mehr mitwirken. Die höheren Klassenstufen bereiten uns weniger Sorgen - da haben die meisten Familien oder Kinder auch PCs und Email-Accounts. Hier können alle Arbeitsanweisungen schriftlich gegeben werden, da die Kinder lesen und schreiben können.

Genügt Ihnen die IT-Ausstattung?

Bauer: Unsere schulische Ausstattung langt uns vollkommen - nur die fehlende Ausstattung mancher Familien bremst uns. Kaum zu glauben, dass von 420 Familien 40 bis 50 kein Internet und keinen Email-Account besitzen. Die erreichen wir derzeit schlecht.

Wie versuchen Sie, Schüler aus ärmeren oder kaum Deutsch sprechenden Familien zu unterstützen?

Bauer: Wir versuchen alles, um sie zu unterstützen. Etwa 15 Familien drucken wir das Material aus und schicken es per Post oder bringen es vorbei. Manchen Eltern und Kindern erklären wir alles per Telefon oder Videochat. Generell teilen wir die Lernunterlagen mit Bedacht. Bei vielen Kindern ist es uns wichtig, dass keine Überforderung entsteht und sie nur gut beschäftigt sind, um Schwierigkeiten zu vermeiden. Zum Glück helfen auch die Klassenelternsprecher und versorgen Familien mit, die keinen Drucker haben. Auch die Familienberatungsstellen unterstützen hier toll. Zwei Familien bekommen von mir Fotos der Materialien aufs Handy geschickt.

Sorgen Sie sich sehr um Schüler aus belasteten Familien?

Bauer: Ja, wir machen uns riesige Sorgen um Kinder aus sozial benachteiligten oder gefährdeten Familien. Ich liege oft nachts wach und mache mir auch tagsüber ständig Gedanken, wie es unseren Schülern wohl geht, die schon im normalen Alltag viel ertragen müssen. Es wird wohl leider viele Kinder geben, die momentan Gewalt, seelisch und auch körperlich, ertragen müssen. Ich halte Rücksprache mit dem Jugendamt, doch denen sind momentan auch die Hände gebunden. Für viele Familien, die auf engstem Raum zusammenleben, ist die Ausgangsbeschränkung extrem belastend - gerade weil diese Familien leider auch nicht oft rausgehen! Ich bete darum, dass es allen gutgeht und sich alle Eltern beherrschen können.

Wie fühlen Sie sich informiert und betreut durch die Staatsregierung?

Bauer: Aufgrund der sehr dynamischen Entwicklungen erhalten wir die neuesten Informationen zuerst aus den Medien. Das Kultusministerium hat einige Rundfunkanstalten ja sogar beauftragt, wichtige Meldungen zu verbreiten. Auch wir Schulleiter müssen uns über das Internet informieren, etwa auf den Seiten der Stadt, des Kultusministeriums und des Staatlichen Schulamtes. Einen oder mehrere Tage später erhalten wir im Intranet dann die kultusministeriellen Bekanntmachungen und Schreiben.

Wie viele Kinder besuchen die Notbetreuung?

Bauer: Momentan haben wir noch kein Kind in der Notbetreuung - nach den Ferien aber schon. Allerdings haben wir ein paar Anfragen von Eltern aus nicht systemrelevanten Berufen, die gerne ihre Kinder betreut haben möchten. Dies ist uns aber bei einer Strafanzeige und Strafe von 2.500 Euro verboten. Hier ist die Staatsregierung Gott sei Dank sehr konsequent.