Sie setzen Kinder im Wald aus oder beauftragen Morde: In Märchen sind Stiefmütter oft die Bösen, die den jungen Hauptfiguren das Leben zur Hölle machen. Da verwundert es nicht, dass reale Stiefmütter die Bezeichnung ablehnen: "Ich finde den Begriff der Bonusmama viel schöner", sagt Marita Strubelt, Mutter von zwei leiblichen und einem "Bonuskind". Als Stiefmutter bezeichnet sich die 39-Jährige selbst nur im offiziellen Zusammenhang, zum Beispiel in der Schule. "Mein Selbstbild ist das aber nicht", sagt die Frankfurterin.

Das Bundesfamilienministerium gibt den Anteil der Stief- und Patchworkfamilien mit sieben bis dreizehn Prozent an.

Anja Steinbach, Familiensoziologin an der Universität Duisburg-Essen, schätzt, dass etwa 15 Prozent aller Kinder mit Stiefeltern zusammenleben. Grund ist meist eine Trennung oder Scheidung.

Das war jahrhundertelang anders: "Familien wurden früher nahezu ausschließlich durch den Tod aufgelöst, und die Mutter ist häufiger jung gestorben als der Vater", sagt Anja Steinbach. Angesichts der knappen Ressourcen sei es in der Vergangenheit durchaus möglich gewesen, dass sich die Stiefmutter stärker um die Versorgung ihrer eigenen Kinder gekümmert habe, sagt Steinbach.

In der Forschung wird das als Aschenputtel-Effekt beschrieben:

Dieser beruht auf der Annahme, dass die Fürsorge der Eltern von der biologischen Verbindung zum Kind abhängt. Der Effekt ist allerdings umstritten und teilweise widerlegt.

Aber auch heutige Stief- oder Patchworkfamilien stünden vor großen Herausforderungen, sagt Thomas Gerling-Nörenberg, Familientherapeut aus Münster und selbst Teil einer Patchworkfamilie. "Es muss sehr viel Integrationsarbeit geleistet werden." So müssten zum Beispiel neue Familienriten gefunden und Erziehungskompetenzen festgelegt werden.

Die Rolle der Stiefmutter sei in diesem Prozess besonders schwierig. Nach einer Trennung oder Scheidung wünschten sich Kinder meist, dass die Eltern wieder zusammenkämen.

"Die Stiefmutter bekommt dann viel Wut ab, die eigentlich der Trennung gilt", erklärt Gerling-Nörenberg.

Ähnlich sei es, wenn die leibliche Mutter der Kinder gestorben sei. Dann projizierten die Kinder ihre Trauer über den Verlust oft auf die neue Frau des Vaters. Noch komplizierter werde es, wenn der Vater mit seiner neuen Partnerin zusätzlich gemeinsame Kinder bekomme.

Als Marita Strubelt ihren "Bonussohn" kennenlernte, war er erst anderthalb Jahre alt. "Das hat es ein Stück weit einfacher gemacht", sagt sie. Seit ein paar Jahren lebt er ganz bei seinem Vater und seiner Stiefmutter. Trotzdem sei die Beziehung anders als zu ihren leiblichen Kindern: "Ich habe meinen leiblichen Kindern andere Gefühle als ihm gegenüber. Und ich finde, das ist auch okay."

Sie habe nie versucht, seine biologische Mutter zu ersetzen, sagt Marita Strubelt: "Für mich ist ganz klar: Mein Bonuskind hat eine Mama und die bleibt auch seine Mama." Ihr gefällt auch eine Idee aus den USA: Dort sei der dritte Sonntag im Mai - der Sonntag nach dem Muttertag - Stiefmuttertag, der in diesem Jahr auf den 17. Mai fällt.

In den USA ist der 17. Mai Stiefmuttertag

Familiensoziologin Steinbach führt die häufig schwierige Position der Stiefmutter hauptsächlich auf das gesellschaftliche Mutterbild zurück. "Die Normen sind extrem traditionell ausgeprägt", sagt sie. Müttern werde in der Regel die emotionalere Rolle zugesprochen. Dies widerspreche der Erwartung an Stiefeltern, eher Abstand zu halten. Zusätzlich sähen viele Stiefmütter die Kinder nur am Wochenende, ein weiteres Hindernis für den Aufbau einer Beziehung. 90 Prozent aller Kinder lebten nach einer Trennung primär bei der Mutter, sagt sie.

Bei Marita Strubelt und ihrer Familie ist es so, dass bei wichtigen Anlässen oft alle drei Elternteile dabei sind, wie sie erzählt. Bestimmte Angelegenheiten überlasse sie aber den leiblichen Eltern. Bei Konflikten innerhalb der Familie versuche sie stets, zusammen mit dem Kind eine Lösung zu finden und Bedürfnisse offen zu kommunizieren: "Wir machen Patchwork auf Augenhöhe."

Unter solchen Umständen kann es laut Familientherapeut Gerling-Nörenberg für Kinder positiv sein, in Stief- oder Patchworkfamilien aufzuwachsen: Habe es früher kinderreiche Eltern gegeben, gebe es heute elternreiche Kinder: "Das ist dann wie ein Buffet mit vielen Vorbildern."