Einen Acht-Stunden-Tag hat Susanne Opitz eher selten. Oft ist die Familienpflegerin aus Grafing bei München zehn Stunden lang im Einsatz. Manchmal auch mehr. Der Grund: Die Nachfrage nach Familienpflege ist in ihrem Einsatzgebiet, dem oberbayerischen Landkreis Ebersberg, so hoch, dass er von ihr und anderen Anbietern im Bereich Familienpflege nicht mehr abgedeckt werden kann. Das Problem ist überall in Bayern ähnlich. Denn es mangelt eklatant an Fachkräften.

Familienpflege greift dann, wenn Eltern schwer krank werden und niemand da ist, der sich um die Kinder kümmert. Dieser Notfall tritt seit einigen Jahren immer häufiger ein, da viele Familien keine Großeltern mehr in der Nähe haben und es keine Nachbarn mehr gibt, die Zeit und Kraft haben, Kinder zu versorgen, sollte eine Mutter zum Beispiel mit Krebs oder einer schweren Depression in der Klinik liegen. Weil die Not so groß ist, muss Opitz "jonglieren". "Selten arbeite ich in einer Familie alle genehmigten Stunden", erzählt die 44-Jährige. Sie ist während eines Tages oft in zwei, manchmal auch in drei oder in vier Familien: "Wo ich die notwendigsten Arbeiten erledige."

Warum Familienpflege der Nachwuchs fehlt

Opitz wundert es nicht, dass der Familienpflege der Nachwuchs ausgeht: "Ein attraktives Angebot für Berufsanfänger sieht anders aus." Für Familienpflegerinnen gebe es keine Aufstiegschancen, die Verdienstmöglichkeiten blieben trotz permanenter Weiterbildung fast unverändert niedrig. Außerdem werden die Einsätze schwieriger. "Ich liebe meinen Job", sagt Opitz, die seit 2006 selbstständig als Familienpflegerin arbeitet: "Doch ob ich mich heute noch mal für diesen Beruf entscheiden würde, weiß ich ehrlich gesagt nicht."

Im unterfränkischen Lohr, wo die Diakonie Familienpflege anbietet, ist die Situation nicht großartig anders. "Wir haben eine Auslastung bis zum Umfallen", sagt Einsatzleiterin Helga Wild-Krämer. Im November letzten Jahres registrierte sie einen neuen Rekord bei Einsatz-Absagen für anfragende Familien. Personalnot ist das Hauptproblem: "Wir haben absoluten Fachkräftemangel." Bei allen ihr bekannten Einrichtungen gebe es Wartelisten, sagt Wild-Krämer. Dies liege auch daran, dass immer mehr Familien Hilfe erst am Nachmittag benötigen, da die Kinder länger in der Kita oder der Nachmittagsbetreuung seien: "Vormittags wären Einsätze manchmal noch möglich." Als Folge der Entwicklung häufen sich Überstunden bei ihren Mitarbeiterinnen an.

Familienpflege bei Diakonie und Caritas

Dass die Einsätze oft sehr fordernd sind, bestätigt Susanne Frölian, Fachdienstleitung der Familienpflege bei der Caritas Dachau: "Wir haben Familien mit schwersten Belastungen." Familienpflegerinnen seien zum Beispiel damit konfrontiert, dass ein Elternteil gerade an Krebs gestorben ist. Manche Mütter machen akut eine schwere seelische Krise durch.

Die Entlohnung für die anspruchsvolle Tätigkeit entspricht auch nach Frölians Ansicht nicht der Ausbildungsdauer von fünf Jahren und der Qualifikation. "Unsere Arbeit erfordert eine hohe Flexibilität", schildert sie: "Wir müssen uns ständig auf wechselnde Familien, Haushalte und Bedürfnisse einstellen." Zermürbend sei für Einsatzleitungen der ständige Kampf um die Refinanzierung der Arbeitszeit. "Wir kämpfen mit den Krankenkassen oft um jeden Cent", sagt Frölian.

Fachschule für Familienpflege am Hesselberg geschlossen

"Die personelle Ausstattung der Familienpflege hat sich in den vergangenen Jahren tatsächlich verschärft", bestätigt Barbara Erxleben, die beim Diakonischen Werk Bayern für die Familienpflege zuständig ist. An der Evangelischen Fachschule für Familienpflege am Hesselberg sowie der Fachschule der Stiftung Katholisches Familien- und Altenpflegewerk in München habe es in den vergangenen Jahren immer weniger Absolventinnen und Absolventen gegeben. Deren Gesamtzahl hat sich von 22 im Jahr 2007 bis heute halbiert. Aufgrund der geringen Schülerzahlen wurde die Fachschule am Hesselberg Ende November 2018 geschlossen.

Doch nicht nur Ausbildungsstätten schließen, sagt Erxleben: "Auch einige Träger haben wegen der entstehenden Defizite den Arbeitsbereich Familienpflege eingestellt." Eine Familienpflegestation könne "bei weitem" nicht kostendeckend betrieben werden. Das, was die Krankenkasse zahlt, muss Erxleben zufolge durch Eigenmittel der Organisation oder, bei diakonischen Trägern, durch Zuschüsse der Landeskirche aufgestockt werden. "Die Refinanzierung ist so schlecht ist, dass wir bei jeder Stunde, die wir in der Familie leisten, unser Defizit vergrößern", erklärt Susanne Frölian.

Knapp 27 Euro erhält eine Organisation pro Einsatzstunde einer Fachkraft von der gesetzlichen Krankenkasse, Einsätze von Hilfskräften werden mit knapp 20 Euro vergütet. "Das klingt erst mal viel, deckt aber die Kosten nicht ab", sagt Susanne Opitz aus Grafing. Kommt man einer Familie in akuter Not zu Hilfe und erhält diese Familie nach zwei oder drei Wochen eine Ablehnung von ihrer Krankenkasse, bleibe die Familie oder die Organisation ganz auf den Kosten sitzen. Von den Stundensätzen müsse auch die zeitaufwendige Einsatzkoordination finanziert werden. "Das ist auf der ganzen Linie eine Minusrechnung", sagt Opitz.