In mühevoller Kleinarbeit hat Schneiderin Anna Uspek die cremefarbenen Stoffblüten mit unzähligen Stecknadeln am Rock befestigt. Aus viel Seide, Spitze und Tüll soll in den nächsten Wochen ein märchenhaftes Sissi-Brautkleid entstehen – eines von knapp 30 Kleidern, das die Münchnerin jede Hochzeitssaison in ihrer Werkstatt anfertigt.
"Jedes Brautkleid ist bei mir ein Unikat", betont die 34-Jährige, die 2007 Deutschlands jüngste Schneidermeisterin wurde. Und das bedeutet viel Arbeit: Rund drei Monate und bis zu 90 Stunden braucht Uspek, um einer Braut den Traum vom perfekten Hochzeitskleid zu erfüllen.
Warum Anna Uspek Brautkleider schneidert
In ihrem Atelier in Olching bei München zeichnet sie inmitten von Kleiderstangen und Schneiderpuppen Entwürfe, nimmt Maß, bestellt Stoffe, fertigt Schnitte an und näht. Das wichtigste ist ihr aber der Austausch mit ihren Kundinnen, sagt sie: "Ich arbeite mit Menschen, nicht mit Produkten."
Brautkleider schneidern wollte sie schon von Kindesbeinen an, erzählt sie. Eine alte Barbiepuppe, die in der Ecke auf einem Schrank liegt, trägt ein winziges Brautkleid: Uspeks erste Nähversuche im Alter von sechs Jahren.
Während ihrer Ausbildung zur Bekleidungstechnikerin zeigte sie ihre eigenen Kollektionen auch auf der größten Straßenmodenschau der Welt in Krefeld. Die Meisterschule erließ dem jungen Talent später die Gesellinnenjahre, damit sie sofort weiterlernen konnte.
Warum Frauen sich Brautkleider schneidern lassen
Hochzeitskleider von der Stange gibt es schon ab 150 Euro – in kleinen Boutiquen der Fußgängerzonen, in riesigen Outletstores vor den Toren der Stadt oder im Internet. Weshalb kommen Bräute da noch zu Uspek ins Atelier und geben mindestens 2.500 Euro für ein Kleid aus, das sie in der Regel ein einziges Mal tragen?
Die einen hätten eben sehr genaue Vorstellungen, wie ihr Brautkleid aussehen soll, sagt Uspek. "Andere sind komplett verzweifelt, weil sie in Brautmodeläden oder online nichts gefunden haben."
Für die erste Modellzeichnung nimmt sie sich deshalb besonders viel Zeit. Bei Sekt, Kaffee und Pralinen bespricht sie Ideen und Vorlieben mit der Braut, deren Verwandten, Trauzeugen oder Freundinnen.
Dos and Don'ts bei Brautkleidern
Im Grunde ist bei einem maßangefertigten Brautkleid alles möglich. Sie habe sogar schon mal Diamanten in ein Kleid eingearbeitet. Nur einem Grundsatz bleibt sie immer treu: "Ich schneidere nur etwas, von dem ich weiß, dass es der Braut steht."
Und noch etwas ist ihr wichtig: Das Kleid soll der Frau nicht nur ästhetisch gefallen, sie soll sich darin auch wohlfühlen. "Der Spruch ‘Wer schön sein will muss leiden‘ zählt bei mir nicht", betont Uspek.
Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, entspricht offenbar nicht der gängigen Praxis: Viele Kundinnen stöhnten schon bei der Anprobe über ihre extrem hohen Schuhe. Dasselbe gelte für Korsagen und Klebe-BHs – von beidem rät die Schneiderin den Bräuten ab, wenn sie sie mitbringen.
Anna Uspek: Schneiderin und Weddingplannerin
Laut einer Online-Umfrage dürfen 79 Prozent der künftigen Ehemänner das Brautkleid vor der Hochzeit nicht sehen. Bei Uspek bringen rund ein Drittel der Kundinnen ihren Bräutigam mit zur Anprobe. Das sei jedoch nicht entscheidend, findet sie, denn: "Dem Mann gefällt die Braut in jedem Kleid. Schließlich will er sie ja heiraten."
An rund 3.000 Brautkleidern hat Uspek bereits mitgearbeitet, viele für ihre Kundinnen entworfen und genäht – und ist dabei auch ein bisschen zur Weddingplannerin geworden: "In puncto Hochzeiten habe ich eine Menge gesehen." Bei mehr als 40 Eheschließungen war sie bereits zu Gast und berät ihre Kundinnen deshalb auch hinsichtlich Frisur, passendem Schmuck, Dekoration und dem Ablauf der Feierlichkeiten.
Wie Brautkleider nachhaltig sein können
Nur eine Sache betrübt Uspek: Die fehlende Wertschätzung des Schneiderberufs. Mit der Arbeit der vielen kleinen Änderungsschneidereien seien ihre maßgefertigten Kleider nicht zu vergleichen. Vielen Menschen sei nicht klar, wie viel Erfahrung man für hochwertige Arbeit brauche: Ein Brautkleid zu schneidern ist aufwendig und habe deshalb ihren Preis.
Ob sie traurig ist, dass sie selten erfährt, wie das Brautkleid am großen Tag angekommen ist? Uspek winkt ab und unterstreicht, sie entwerfe ein sehr nachhaltiges Kleidungsstück. "Das schöne ist: Nach spätestens einem Jahr sehe ich meine Mädels wieder." Denn dann arbeitet sie das Brautkleid zu einem festlichen Abend- oder Ausgehkleid um – das mehr als einmal getragen werden kann.
Über die Geschichte des Brautkleids
Heutzutage heiraten Bräute meistens in weißen Brautkleidern. Das war aber nicht immer so. Bis ins 20. Jahrhundert trugen die Frauen bei Hochzeiten ihr festlichstes Kleid oder Tracht.
In ärmeren Familien wie die von Bauern oder Handwerkern war dies im Mittelalter oft das Sonntagskleid für die Kirche - das in der Regel schwarz war. In gehobeneren Bevölkerungsschichten wählten die Bräute teure Stoffe wie Samt oder Seide und aufwändige Applikationen und Stickereien für Abendkleider und Sonntagsstaat. Auch Farbe galt als Luxus, weshalb viele Kleider leuchtend rot, grün oder blau waren.
Helle Brautkleider erst seit Ende des 17. Jahrhunderts
Im 16. Jahrhundert war es in Ober- wie Unterschicht üblich, in der Trendfarbe Schwarz zu heiraten. Helle Brautkleider kamen erst Ende des 17. Jahrhunderts in royalen Kreisen auf. Die Farbe Weiß stand schon damals für Reinheit und Unschuld.
Es entwickelte sich zum Statussymbol des reichen Bürgertums und Adels, in Weiß zu heiraten und eigens für diesen Anlass Gewänder anfertigen zu lassen. 1854 heiratete Prinzessin Elisabeth alias Sisi (1837-1898) den österreichischen Kaiser Franz Joseph (1830-1916) in einem prachtvollen weißen Kleid und besiegelte den Trend.