Rund 70 Hebammen hatte Daniela Wolf im Jahr 2013 kontaktiert. Mal per Mail, mal am Telefon. Die Antwort war immer die gleiche: Bin schon ausgebucht, leider. Weil ihr errechneter Geburtstermin im Sommer lag, war die Situation doppelt angespannt. Viele der sowieso schon wenigen Hebammen arbeiten in den Ferienwochen wegen der eigenen Kinder gar nicht oder nur in Teilzeit. Und gab es dann doch mal eine Hebamme, die eventuell noch einen Platz frei hatte, sollte Daniela Wolf gleich noch ein paar Kurse buchen - denn die reine Geburtsvorsorge und Betreuung im Wochenbett wird von den Kassen schlecht bezahlt. "Ich war unendlich verzweifelt - und wütend", sagt die heute 34-Jährige aus Heilbronn.

Daniela Wolf ist nicht alleine. Immer wieder berichten Frauen über ihre vergebliche Suche nach einer Hebamme. Manche erzählen auch, dass sie in den Wehen von Kliniken abgewiesen werden - weil die Kreißsäle hoffnungslos überfüllt oder zu wenige Hebammen da sind. Es scheint, als schlage der seit Jahren von den Hebammenverbänden angemahnte Mangel an Fachkräften jetzt bis zu den betroffenen Frauen durch. Die allermeisten Hebammen lieben den Beruf. Die Arbeitsbedingungen aber trieben immer mehr von ihnen in andere Berufe: geringe Bezahlung, extrem hohe Versicherungsprämien für die Haftpflicht, Schichtarbeit in Kliniken oder unbezahlte 24-Stunden-Bereitschaften für Freiberuflerinnen.

Zu viele Geburten für zu wenige Hebammen

Die Heilbronnerin Wolf macht den Hebammen selbst keinen Vorwurf - ihre Wut richtet sich gegen Krankenkassen, Versicherungen und Politik. "Wie kann es sein, dass ein Beruf, den es seit Jahrhunderten gibt, jetzt ausstirbt?", fragt sie. Haftpflichtprämien müssten erschwinglich, die Bezahlung der Hebammen endlich angemessen sein. Inzwischen, sagt Daniela Wolf, ist es je nach Wohnort vollkommen egal, ob man nun gesetzlich oder privat versichert ist. "Klar, von Privatversicherten bekommen Hebammen mehr Geld", aber inzwischen sei das Hauptproblem, dass es wegen der immer weiter steigenden Zahl an Geburten einfach zu wenige Hebammen gibt: "Es ist ein Fließbandgeschäft geworden", findet die zweifache Mutter.

Nachdem sie bei der ersten Schwangerschaft keine Hebamme hatte, hat Daniela Wolf "das Internet leer gelesen" und nach der Geburt "viel Zeit beim kinderärztlichen Notdienst verbracht". Als Eltern-Neulinge seien sie und ihr Partner unsicher gewesen: "Wir haben erst nach der Geburt so richtig gemerkt, wie wichtig eine Hebamme ist, die nach Hause kommt, die unterstützt, einem Ängste nimmt und Kraft gibt." Stattdessen fühlte sich das Elternpaar alleingelassen. Ihr Sohn hatte nach der Geburt eine schwere Infektion, sie mussten auf die Mutter-Kind-Intensivstation. Drei Monate kämpfte er mit schweren Koliken, Daniela Wolf bekam eine Wochenbettdepression. Ein guter Start ins Leben sieht anders aus.

Gerade kurz nach der Geburt hat eine junge Mutter 1000 Fragen. Eine Hebamme weiß Rat.

"Wer keine Hebamme findet, macht oft traumatische Erfahrungen"

Im Internet sammelt der Deutsche Hebammen-Verband Meldungen aus dem ganzen Bundesgebiet, wo Frauen vergeblich nach einer Hebamme gesucht haben. Die Daten sind anonymisiert, auf einer Karte wird nach Postleitzahlen geordnet die Unterversorgung sichtbar. Mal gibt es keine Hebamme für eine Wochenbettbetreuung, mal für eine Beleggeburt, mal für die Vorsorge. Mit vollem Namen über ihre Erfahrungen reden wollen und können die meisten Frauen aber nicht. "Wer keine Hebamme findet und sich alleine durchwurstelt, macht oft traumatische Erfahrungen vor, während oder nach der Geburt, weil eben die professionelle Betreuung fehlt", weiß etwa die erfahrene Münchner Hebamme Claudia Lowitz.

Dabei ist die Zahl der Hebammen in den letzten Jahren nicht gesunken, sagt Astrid Giesen vom Bayerischen Hebammen Landesverband. Es sei vielmehr ein ganzes Ursachenbündel für die heutige "Versorgungslücke" verantwortlich: Zum einen wollten die Hebammen heute nicht mehr 365 Tage im Jahr rund um die Uhr für ihre Arbeit zur Verfügung stehen. Zum anderen gebe es mehr Neugeborene und die Wochenbett-Betreuung dauere länger. Das sei auch deshalb nötig, weil Frauen nach der Geburt immer kürzer in Kliniken bleiben dürfen: "Früher waren es zehn Tage, heute 48 Stunden."

Hebammen ebenfalls frustiert

Daniela Wolf suchte auch beim zweiten Kind wieder erfolglos nach einer Hebamme. Ihr zweiter Sohn kam vor knapp zwei Monaten auf die Welt: "Aber es gab noch einmal deutlich weniger Hebammen als vor gut viereinhalb Jahren." Sie hatte schon geahnt, dass die Suche ähnlich laufen würde. Auch ihre Krankenkasse hatte sie kontaktiert und nach einer Liste mit derzeit aktiven Hebammen gefragt - Fehlanzeige. Die Geburt ihres zweiten Sohnes verlief erneut unerwartet dramatisch. "Aber was sollen wir machen? Wir mussten und müssen da wieder alleine durch", sagt die 34-jährige. Es klingt zutiefst resigniert.

Doch auch für die Hebammen ist die Situation frustrierend. "Ich liebe meinen Beruf, aber ich brauche auch Zeit für meine Kinder", sagt eine 28-jährige Hebamme aus Mittelfranken. Ihren Namen will sie nicht nennen, sie ist als Beleghebamme in einer kleineren Klinik tätig, freiberuflich macht sie Vorsorge und Wochenbettbetreuung. Weil es immer weniger Hebammen gebe, die als Belegkräfte arbeiten wollen, machten die Kliniken Druck. "Entweder mehr arbeiten oder gar nicht mehr", berichtet sie. Es riefen immer wieder Frauen bei ihr an, die seit Wochen eine Hebamme suchen. Erfolglos. "Aber ich kann nicht noch mehr arbeiten. Als ich letzthin einer Frau abgesagt habe, habe ich aufgelegt - und erst mal geweint."