Die großen Weltreligionen haben ihre bekannten Symbole: der Islam den Halbmond, der Buddhismus das Sonnerad, das Judentum den siebenarmigen Leuchter, die Menora. Das Christentum wird symbolisiert durch das Kreuz. Kreuze in den Kirchen stehen für das Leiden und Sterben Jesu, Kreuze im öffentlichen Raum stehen für die Gültigkeit des christlichen Menschenbildes in unserer Gesellschaft. Wer bewusst ein Schmuckkreuz um den Hals trägt, will damit sagen: Ich gehöre zu Jesus Christus.

Das Christentum wird manchmal auch symbolisiert durch den Fisch oder die Krippe. Doch das Kreuz ist das stärkste Symbol des christlichen Glaubens, auch wenn sich zu Beginn die Christen mit diesem Todessymbol auch schwergetan haben. Die frühen Christen haben ihren Glauben wegen des Verfolgungsdrucks nur im Verborgenen bekannt.

Kreuz wurde in der Urkirche nicht gezeigt

Die Kreuzigung galt in der Antike als entehrend und grausam, ekelerregend und abstoßend. Der hellenistische Schriftsteller Lukian wollte deshalb sogar den Buchstaben T aus dem Alphabet streichen. Das Kreuz wurde in der Urkirche nicht gezeigt. Die älteste bekannte Kreuzesdarstellung aus einem religiösen Kontext stammt deshalb erst aus dem 3. Jahrhundert, und sie stammt auch nicht aus dem Christentum, sondern von einem Schmuckstein aus einem bislang unbekannten Kult der Orphiten, die Schlangen verehrten.

Das ursprüngliche Symbol des frühen Christentums war nicht das Kreuz, sondern das Staurogramm und das Christusmonogramm. Das Staurogramm besteht aus den griechischen Buchstaben Tau und Rho, die als Mittelteil des gekürzten Nomen sacrum "Stauros" (Kreuz) geläufig waren. Es wird auch als Henkelkreuz bezeichnet. Das Christusmonogramm, auch Chi-Rho oder Konstantinisches Kreuz genannt, wurde seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. von den Christen verwendet. Es verbindet die ersten beiden griechischen Buchstaben des Wortes Christus, Chi und Rho (Altarstein aus dem 4. Jh. in Khirbet Um El'Amad, Algerien).

Altchristliche Kunst stellte Kreuzigung nur selten dar

Bis zur Romanik wurde Jesus jung und bartlos, in der Art antiker Helden und Götter dargestellt, zum Beispiel als Guter Hirte. Ein Mosaik aus der Nekropole unter der römischen Kirche St. Peter aus dem 3. Jahrhundert zeigt Christus als Sonne. Die Katakombe von Marcellinus aus dem 4. Jahrhundert zeigt dann Jesus zum ersten Mal als bärtigen Mann.

Interessant ist freilich eine Kreuzdarstellung aus dem Jahre 125, eine Kritzelei an der Wand einer Kaserne auf dem römischen Palatin. Auf dem Kreuz hängen eine menschliche Gestalt mit einem Eselskopf, darunter kniend ein Soldat und der Spruch "Alexamenos betet seinen Gott an". Es ist ein römisches Spottkreuz, die älteste bekannte Kreuzesdarstellung.

Warum stellte die altchristliche Kunst die Leidensgeschichte, und vor allem die Kreuzigung, nur selten dar? In der Spätantike und im frühen Mittelalter scheute man sich, Jesus in Verbindung mit der überlieferten Todesart zu zeigen. Erst im 4. Jahrhundert, also mit dem Aufstieg des Christentums zur Staatsreligion, wurden Kreuzigungen im Römischen Reich abgeschafft. Und erst weitere hundert Jahre später trat das Christusmonogramm als Symbol in den Hintergrund, und das Kreuz übernahm die Funktion, nachdem schon im 3. Jahrhundert der Brauch des Bekreuzigens mit den Fingern aufgekommen war.

Kreuz seit 431 offizielles christliches Zeichen

In der Romanik (1000-1200) wurde Christus als am Kreuz thronender König dargestellt. In der Basilika St. Michael (1180) in Schongau in Oberbayern hängt der "Große Gott von Altenstadt", 3,20 Meter hoch, flankiert von Maria und Johannes auf dem Lettnerbalken über dem Choreingang. Statt der Dornenkrone trägt der Erlöser einen Goldreif.  

Das Ansehen des Kreuzes stieg aber bereits spätestens mit dem Sieg Kaiser Konstantins 312 an der Milvischen Brücke in Rom, als er wegen einer Vision das Kreuzzeichen für sein Heer wählte. Vor der Schlacht sah er ein Kreuz aus Licht über der Sonne mit den Worten "Mit diesem Zeichen wirst du siegen". Das Zeichen verstand er zunächst nicht, weshalb ihm in der Nacht vor der Schlacht Jesus Christus mit dem Zeichen erschien und seine Verwendung als Schutz- und Siegeszeichen anwies.

Daraufhin ließ Konstantin ein Labarum, ein mit dem Christogramm verziertes Feldzeichen anfertigen. Er stand unter dem Einfluss seiner Mutter Helena, einer gläubigen Christin, die in Jerusalem nach dem Kreuz Christi suchen ließ. Tatsächlich wurden dort im Jahr 325 einige Reliquien gefunden und Helena ließ auf Golgotha die erste Kreuzbasilika bauen. An ihrer Stelle steht heute die Grabeskirche. Die späte Konversion Konstantins zum Christentum und die seinem Tod folgende Anerkennung der neuen Staatsreligion gab den frühen Christen die Möglichkeit, den Kreuzestod nun öffentlich zu bekennen. Nachweisen lässt sich das Kreuz als generelles christliches Symbol seit der Zeit der Völkerwanderung (375-568 n. Chr.).       

Man muss natürlich davon ausgehen, dass viele frühe Kreuzesdarstellungen verloren gegangen sind. Die älteste bekannte Wiedergabe der Kreuzigung Christi stammt aus dem Jahr 420 - auf einem aus Oberitalien stammenden Elfenbeinkästchen. Wahrscheinlich wurde auf dem Konzil von Ephesos im Jahr 431 das Kreuz als offizielles christliches Zeichen eingeführt. Nur ein Jahr später wurde in Rom auf dem Aventin-Hügel die Basilika Santa Sabina gebaut. Die noch sehr gut erhaltene Tür aus Zypressenholz aus dem Jahre 432 gilt als eine der ältesten existierenden Türen einer christlichen Kirche. Die geschnitzten Bilder behandeln biblische Themen; von 28 sind 18 intakt. Eine der Tafeln ist wegen ihrer Darstellung des Gekreuzigten besonders berühmt.

Richtiger wäre für diese Darstellung jedoch eher die Bezeichnung "Christus am Kreuz" und nicht "Der gekreuzigte Christus". Nicht der Akt der Kreuzigung wird dargestellt, sondern Christus als Anbetender zwischen den beiden Schächern. Das Kreuz ist nur angedeutet, als Zeichen dazugegeben.

Erste Kreuzigungsbilder im 6. Jahrhundert

Erst im 6. Jahrhundert entstanden die ersten historischen Kreuzigungsbilder, auf denen Christus deutlich erkennbar an das Kreuz genagelt ist, anfangs aber noch als Lebender.

Das Kreuz war nun nicht mehr Schandpfahl, an dem man Verbrecher marterte, sondern das Siegeszeichen des auferstandenen Gottes. Entsprechend wurden romanische Kreuze meist mit einem triumphierenden und gekrönten Christus dargestellt.     

Die romanischen Künstler haben das Thema des Todes noch mit einer gewissen Vorsicht behandelt, die Wundmale sind entweder gar nicht vorhanden oder nur leicht angedeutet.

Das älteste monumentale, lebensgroße Kruzifix und damit die älteste monumentale Christus-Darstellung überhaupt befindet sich in Bayern. Es ist ein um 890 entstandenes Kruzifix aus der Kirche in Enghausen im Landkreis Freising. Es zeigt Christus als hoheitsvollen Erlöser. Damit entspricht das Kreuz der in der karolingischen Zeit üblichen Christusdarstellung und hebt sich von der Romanik, die Christus bevorzugt als König darstellte, ab. Auch die Haartracht Christi und das Fehlen einer Dornen- oder Königskrone weisen auf die karolingische Kunstepoche hin.

Leiden und die Menschlichkeit im Vordergrund

Das Gerokreuz im Kölner Dom ist zwar etwas älter, es stammt aus der ottonischen Zeit, also vom Ende des 10. Jahrhunderts. Aber es markiert einen kunstgeschichtlichen Neuansatz. Hier passiert etwas Neues. Der christliche Erlöser wurde zuvor meist heldenhaft und siegreich in aufrechter Position dargestellt. Nun wird er erstmals leidend und menschlich gezeigt. Die Skulptur gilt deshalb als Vorbild für viele folgende Christusdarstellungen des Mittelalters.

Neu ist auch, dass nun der tote Christus gezeigt wird. Er steht nicht, er hängt am Kreuz. Die Augen sind geschlossen, der Lanzenstich in der rechten Körperseite zeigt, dass es der tote Jesus ist. Dieser vollständige Neuansatz hat theologische Gründe. Die Entstehungszeit des Gerokreuzes lag genau zwischen den geschichtlichen Epochen der Kirchenväter und dem Beginn der hochphilosophischen Scholastik. Das ganze Abendland wurde von der klösterlichen Reformbewegung aus Cluny beeinflusst, die den Gekreuzigten ins Zentrum des religiösen Denkens stellte. In der Kirche bildete sich daraufhin eine regelrechte Kreuzesfrömmigkeit heraus. Die Passion Christi wurde vor allem als Sieg über "Sünde, Tod und Teufel" gefeiert. Der Opfercharakter des Kreuzestodes wurde wichtig, die führenden Theologen betonten das Opfer als wichtigsten Aspekt der Eucharistiefeier: Im Messopfer wird Jesu Kreuzesopfer für die Vergebung der Sünden vergegenwärtigt. Sakrament, Messe und die Eucharistie rückten in den religiösen Mittelpunkt.

Aus dieser Bedeutungsverschiebung lassen sich auch die Veränderung in der Darstellung von Kruzifixen deuten: Blut aus der Seitenwunde korrespondiert mit dem Blut des Messopfers; Leiden und Tod des menschgewordenen Gottes werden als Heilstat veranschaulicht.

Motiv des Todes bewegt die Gläubigen

Bis zum Ende der Romanik wird Jesus im "Viernageltypus" am Kreuz dargestellt. Die Beine stehen nebeneinander, jeder Fuß wird von einem Nagel durchbohrt. Beim Kreuzzug 1204 meinte man, in Konstantinopel die echten Nägel vom wahren Kreuz Christi gefunden zu haben. Es waren drei! Seither findet man in der Darstellung das Dreinagelkreuz.

In der Gotik und vor allem zum Ende des Mittelalters wurden die Zeichen des Todes so stark herausgearbeitet, dass die Gläubigen tief bewegt waren. War der Gekreuzigte der Romanik ein Lebender, so ist der Gekreuzigte in der Gotik ein gefolterter Toter. Das Paradebeispiel dafür ist der Isenheimer Altar von Matthis Grünewald aus dem Jahr 1506-1515. Der Kopf Jesu trägt eine große Dornenkrone, die Lippen sind blau angelaufen, Zunge und Zähne sind sichtbar. Stacheln der Geißelung stecken im Oberkörper und in den Armen, der Körper weist eitrige Schwären auf und der gesamte Körper ist in einer grün-gelblichen Färbung gemalt. Dargestellt ist die Zerstörung und Erniedrigung der menschlichen Natur Christi. Die grausame Darstellung der Leiden sollte zum Mitleiden auffordern.

In der Zeit danach kommen bei den Kreuzigungsdarstellungen immer öfter Begleitfiguren, Heilige, Engel und sogar die Volksmenge ins Spiel. Neben der Jesus-Mutter Maria ist meist auch Maria Magdalena präsent.

In der deutschen und niederländischen Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts hält zunehmend der Realismus in der Darstellung Einzug. Derb werden die Feinde Christi gezeichnet, drastisch fällt wiederum das Leid des Gekreuzigten und seiner Angehörigen aus.

Das Kreuz nach der Reformation

Die deutsche Reformation bringt nicht selten die Reformatoren mit ins Bild der Kreuzigung - wie ja überhaupt zunehmend weltliche Menschen und Auftraggeber der Kunstwerke am Kreuzesfuß zu finden sind. Die Kunststile der Gegenreformation, Manierismus und Barock wiederum stellen dramatische Kreuzigungsszenen in den Bildmittelpunkt. Neue Motive entstehen nicht mehr. Erst mit der Romantik erleben Kreuzigungsdarstellungen in der Kunst eine neue Blüte. Caspar David Friedrich etwa integriert die Kreuzigung in seine Naturmystik.

Die Moderne setzt sich teilweise sehr radikal mit der klassischen Formensprache und Ikonografie der Kreuzigung auseinander. Lovis Corinth etwa stellt sich selbst in der Form des Gekreuzigten dar. Beeindruckend sind die Darstellungen von Paul Gaugin und Salvador Dalí (ausführlich dann in Folge 32 der Jesus-Serie).

Dass Jesus am Kreuz starb, ist unter Theologen unumstritten, das Kreuz ist das stärkste Symbol des christlichen Glaubens. Auch wenn sich die Christen immer wieder mit diesem Symbol auch schwergetan haben, auch wenn dieses Symbol heute oft bis zur Belanglosigkeit ausgestellt und aufgehängt ist - es ist und bleibt das Zeichen des Sieges über den Tod.