Die erste Überraschung für Nichtsahnende kommt gleich vor dem Eintritt durch die Holztür in der hohen Mauer, die den 1910 eingeweihten Friedhof schützt: Gästeführer Daniel Gürtler setzt sich eine Kippa auf, während Kathrin Lehnerer, die beim Nürnberger Verein für die Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich zeichnet, ihr langes Haar offen tragen darf. Ganz gemäß einer nachbiblischen, jüdischen Tradition, die für observant lebende, orthodoxe Juden, die streng nach der rabbinischen Auslegung der biblischen Gesetze leben, als verpflichtend gilt.

Der in Nürnberg geborene Rabbiner Daniel Alter erklärt dazu, dass ein Mann sich generell den Kopf bedecken soll, wenn er das Haus verlässt und mehr als drei Schritte geht. Ein Symbol des Respekts vor Gott. "In der christlichen Tradition ist es genau umgekehrt, da heißt es 'Hut ab zum Gebet' als Zeichen der Demut", erklärt Alter.

Bei den Frauen dagegen ist es ebenfalls eine nachbiblische Tradition, dass sie ihr Haar nicht offen tragen, wenn sie verheiratet sind. "Das praktizieren aber höchstens zehn Prozent der jüdischen Frauen in Deutschland. Und daher wird es von ihnen auch nicht unbedingt erwartet, dass sie ihren Kopf bedecken, wenn sie einen Friedhof besuchen", klärt der Rabbiner auf.

Neuer Jüdischer Friedhof: Letzte Ruhestätte für Juden aus Nürnberg

Bis heute dient der Friedhof der Jüdischen Gemeinde als letzte Ruhestätte für ihre Toten. Ins Auge sticht als Erstes die große Trauerhalle, die wie der gesamte Friedhof vom Nürnberger Architekten Emil Hecht gestaltet wurde. Sie war im Zweiten Weltkrieg stark beschädigt worden, in ihr und dem angrenzenden Verwalterwohnhaus überlebten aber die wenigen in Nürnberg verbliebenen Juden, die gegen Kriegs­ende nicht mehr deportiert worden waren.

1970 wurden in der Aussegnungshalle die in der Lorenzkirche als Treppenstufen missbrauchten jüdischen Grabsteine aus dem 14. Jahrhundert angebracht, die auf Initiative von Arno Hamburger, langjähriger Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg, ausgebaut worden waren.

Warum jüdische Gräber nicht mit Blumen geschmückt werden

Sein Grab ist eines der auffälligsten der rund 3.000, die auf dem Areal zu finden sind. Auch hier fällt auf: Kaum Blumenschmuck, dafür werden Steine auf die Gräber gelegt. Ein Brauch, der aus der Zeit stammt, in der Juden auf der Flucht aus Ägypten durch die Wüste zogen. Aus Mangel an anderen Schmück-Möglichkeiten brachten die Angehörigen zur Bestattung kleine Steine mit und schichteten sie auf dem Grab auf. "Der Brauch hat aber noch einen anderen Sinn: Keiner der hier Liegenden soll durch besonderen Blumenschmuck über andere gestellt werden", erklärt Gürtler.

Auf vielen Grabsteinen findet man segnende Hände als Symbol eingemeißelt. In dieser Händehaltung erteilen jüdische Priester, die sich auf die männlichen Nachkommen von Moses' Bruder Aaron berufen, den "aaronitischen Segen" über die Gemeinde.

Im Gegensatz zu den Friedhöfen der christlichen Kultur, auf denen in einem Grab mehrere Generationen einer Familie auch mal übereinander bestattet werden, besitzt in der jüdischen Tradition ein Verstorbener einen Flecken Erde für sich allein. Für immer. Dass ein Grab aufgelöst und an derselben Stelle jemand anderes bestattet wird, ist undenkbar in der jüdischen Begräbniskultur.

Wer auf dem Jüdischen Friedhof begraben ist

Der Neue Jüdische Friedhof bietet auch einiges für historisch Interessierte. Da ist beispielsweise das Denkmal für die 178 jüdischen Nürnberger, die im Ersten Weltkrieg fielen und die jüdischen Kriegsgefangenen, die in Nürnberg starben. Im hinteren Teil findet man dann die Gräber der rund 20 Menschen, die bei den Novemberpogromen 1938 starben, sowie Steine mit Gedenk­inschriften für in Konzentrationslagern ermordete Angehörige.

Wie auf beinahe jedem größeren Friedhof findet man hier auch ein paar Gräber von regionalen Größen wie Carl Marschütz, Gründer der Hercules-Werke, oder von den Großeltern und dem Vater des US-amerikanischen Rockstars Billy Joel, dessen Wurzeln in Nürnberg liegen.

Der Neue Jüdische Friedhof in Nürnberg

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