Karfreitag - Gott ist tot. Doch Gott zeigt dem Tod den Finger.

 

Jedenfalls auf Hans Holbeins atemberaubend realistischem Gemälde "Der tote Christus im Grabe" (1521/22). Als eine der "größten Provokationen der abendländischen Malerei" hat der Kunstgeschichtler (und frühere "Fliege"-Redakteur) Norbert Schnabel das auf eine lange, extrem schmale Holztafel gemalte Bild bezeichnet. In Dostojewskis Roman "Der Idiot" sagt die Hauptfigur Fürst Myschkin über das Bild, es habe die Kraft, den Glauben auszulöschen. Der russische Dichter hatte die Holbeinsche Tafel 1867 während eines Besuchs im Basler Kunstmuseum gesehen und dabei beinahe einen epileptischen Anfall erlitten.

Schockierende Darstellung

Schnabel: "Schockierender als auf diesem Bild ist das Menschsein des Gottessohnes kaum dargestellt worden. ... Gesicht, Seitenwunde, Hände und Füße sind bereits grünlich verfärbt, der ausgetrocknete Mund steht offen, das nur halb geöffnete Auge zeigt die abgedrehte Pupille, die Haare hängen struppig herab. Dieser Christus ist ganz Mensch, weil er, wie ihn Holbein hier zeigt, ganz tot ist: Er verwest vor unseren Augen."

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Das ist Holbeins Karfreitag: Wenn Gott Mensch wurde, so lässt es sein Bild uns sehen, dann ganz. Holbeins Christus ist ganz Mensch, weil er ganz tot ist. Holbein zeigt "den Toten nicht bloß als Toten, sondern dabei besonders das Tote am Toten", wie es die Kunsthistorikerin Kristin Marek ausdrückte.

Unser aller Tod

Wie soll dieser Leichnam aus dem Grab auferstehen? Triumphal womöglich? Holbeins Realismus mag Dostojewskis Glauben erschüttert haben, doch in Wahrheit rückt er nur das einmalig Grundstürzende des Osterwunders in den Blick. In diesem toten Jesus steckt unser aller Tod, auch meiner. Aber auch Ostern, das leere Grab, kommt mir dadurch um so näher, weil es für uns, für mich geschehen ist.

Und dann ist da noch ein Detail, das nicht nur popkulturelle Anschlüsse zulässt. Holbeins Jesus scheint im Tod dem Tod den rechten Mittelfinger zu zeigen.

Ein Zufall? Vermutlich. Doch "The Finger" (oder auf Deutsch noch prosaischer "der Stinkefinger") ist keineswegs nur eine neuzeitliche Erscheinung. Als Beleidigung mit sexuellem Hintergrund war er schon in der Antike bekannt. Der antike Philosophiehistoriker Diogenes Laertios notierte jedenfalls im 3. Jahrhundert, der Kyniker Diogenes von Sinope (um 410-323 v. Chr.) habe lästigen Besuchern seines Fasses auf die Frage, wo eigentlich der Redner und Staatsmann Demosthenes sei, den Mittelfinger entgegengestreckt und gesagt: "Da habt ihr den Demagogen von Athen" (Bioi, Buch VI, 2,34).

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Und die Römer nannten die phallussymbolische Handgeste "digitus impudicus", schamloser oder unzüchtiger Finger. In einem seiner Epigramme schrieb der römische Dichter Martial (40-102/104 n. Chr.): "Rideto multum qui te, Sextille, cinaedum / Dixerit et digitum porrigito medium. - Lach' laut aus, Sextillus, wer dich Cinaedus nennt, und streck' ihm den Mittelfinger entgegen." (Cinaedus vom griechischen kínaidos bedeutet übrigens so viel wie "Arschwackeltänzer" oder homosexueller Lustknabe.)

Tod und Leben

Ob der klassisch gebildete Renaissance-Maler Hans Holbein ("der Jüngere") aus Augsburg die Bedeutung der obszönen Geste kannte, wissen wir nicht. Er hätte sie kennen können, aber das spielt keine Rolle.

Entscheidend ist, dass Ostern tatsächlich bedeutet: Gott hat dem Tod den Finger gezeigt. Angesichts von Terror und Krieg im Namen Gottes gilt der Finger auch all denen, die hassen und morden: Ihr sagt, ihr liebt den Tod. Doch wir lieben das Leben. Und wir wissen: Das Leben und die Liebe sind stärker als der Tod.