Noch liegt der "Vinzenz" gebettet auf Holz und Tüchern auf dem Rücken. Die in Stein gemeißelte Replik des Kraft-Schülers, dem der Meister 1507 ein Denkmal in seiner Figurengruppe gesetzt hat, ist der nächste "Patient" von Julia Reeckmann vom Nürnberger Hochbauamt. Die Architektin kümmert sich darum, dass den steinernen Gesellen das Salz entzogen wird. Dazu werden sie über einen Lastkran einzeln aus ihrer Gruppe herausgehoben und mit Kompressen bedeckt, die ihnen den Stoff entziehen sollen, der seit Jahrzehnten an ihnen nagt.

Wo das nicht ausreicht, werden die Figuren zu einem Spezialisten gebracht. Sie werden dann in Wannen mit entionisiertem Wasser gestellt, das öfters gewechselt werden muss. "Einst waren die Figuren und auch der Sandstein von einer weißen Schutzschicht überzogen. Die Tünche auf den Figuren und auch auf der Raumschale wurde in den 1920er-Jahren entfernt", erklärt Reeckmann.

Die Feuchtigkeit in der um 1506 von Hans Beheim d. Ä. entworfenen Kapelle kommt aber nicht durch die Wand oder vom Boden – durch eines der Fenster hatte es eine kleine Ewigkeit so lang hereingeregnet, bis der Salpeter endgültig auch in Adam Krafts Werk hineingefahren war. Die Gruppe stellt den Abschluss eines Kreuzwegs dar, der beim Pilatushaus in der Nürnberger Altstadt beginnt und durch das Tiergärtnertor über die Burgschmietstraße bis zum Johannisfriedhof führt.

Ein ausgeklügeltes Belüftungskonzept soll fortan dafür sorgen, dass es nicht mehr so weit kommen kann. Dabei muss auch auf das schwarze Chorgestühl aus dem 16. Jahrhundert Rücksicht genommen werden. Richtig temperiert werden muss auch der von Veit Stoß gestaltete Altar. Während die Figurengruppe "auf Kur" ist, wird auch das großflächige Bildnis des "himmlischen Jerusalem" restauriert. Reeckmann will mit Infrarottechnik auch die Schrift auf dem Abschlussstein entziffern.

Helfen können ihr dabei sicher das Stadtarchiv Nürnberg und Helge Weingärtner. Der Kunsthistoriker hat anlässlich des 500. Jahrestags des Johannisfriedhofs jede Menge Material gesichtet und sich intensiv mit der Kapelle befasst, die seit 1523 im Besitz der alten Nürnberger Patrizierfamilie Holzschuher ist.

Mehr Gruften als vermutet

"Zehn Gruften können wir bisher archivalisch nachweisen", meint Weingärtner und zeigt auf die lediglich fünf in der Kapelle sichtbaren Reliefs von Gräbern, unter denen sich wiederum jeweils mehrere Grablagen befinden, in denen seit Jahrhunderten die Verstorbenen der Holzschuhers bestattet wurden. Bis auf eine Ausnahme: Hans von Schwarzenberg, ein Vertrauter der Holzschuhers und Martin Luthers, liegt ebenfalls hier begraben.

Jedoch steht man schon lange nicht mehr auf den Gebeinen, wenn man das Bauwerk betritt. "Die Knochen wurden immer wieder herausgeholt und in einem Gefäß gesammelt, das sich unten im Altarbereich befindet", hat Weingärtner recherchiert.

Die letzte Beerdigung fand erst vor wenigen Jahren statt. Die Namen der hier Bestatteten sind bis zum Jahr 1744 feinsäuberlich auf der hölzernen Empore dokumentiert. Danach fanden die Namen Einzug auf den Totentafeln der Holzschuher in der Sebalduskirche.

Rühriger Bürgerverein St. Johannis

Dass die Kapelle überhaupt für rund eine halbe Million Euro saniert wird, ist nicht zuletzt das Verdienst des Bürgervereins St. Johannis und dessen Vorstandsmitglieds Ewald Weschky, der seit rund vier Jahrzehnten auch Führungen auf dem Johannisfriedhof anbietet. "Jahrelang konnte man in die Kapelle ein Stück weit hineingehen, bis man an einem Gitter Halt machen musste. Dennoch hinterließen viele Besucher Schmutz in dem Gebäude und bei den Kunstwerken. Es war eine Schande", erinnert sich Weschky. Ab 2013 habe er immer wieder über die Kapelle geschrieben und dafür gekämpft, die Aufmerksamkeit der Kommune darauf zu lenken.

Die Stadt Nürnberg habe die Kapelle 1924 den Holzschuhers abgekauft, als diese damit begannen, Kunstwerke an Privatleute zu verkaufen. Das Recht, Familienmitglieder zu bestatten, hat man sich vorbehalten. Timo Lechner 

INFO: Wenn die Holzschuherkapelle wieder eröffnet wird, will der Bürgerverein regelmäßig Führungen vor Ort anbieten. Wie Vorsitzender Sven Heublein erklärt, voraussichtlich ein Mal pro Monat.