Die Vokabel "nachfolgen" wird in der Bibel nicht eben häufig erwähnt. Und doch ist "Nachfolge" zu einem zentralen Begriff des Glaubens geworden. Im Alten Testament erscheint "nachfolgen" zunächst in negativem Zusammenhang, als Warnung davor, fremden Göttern "nachzulaufen", also gegen das 1. Gebot zu verstoßen: "Du sollst keine anderen Götter haben neben mir".

Positiv verstanden taucht "nachfolgen" in Prophetenerzählungen auf: als spezieller Ausdruck für die besondere Beziehung von "Jüngern" zu ihrem "Meister". So verwendet ihn auch das Neue Testament, wenn es auf Jesus und seine Jünger zu sprechen kommt.

Nachfolge im Neuen Testament

Der etwa 30-jährige Jesus ist in seiner näheren Heimat lediglich bekannt als Sohn des Zimmermanns Josef aus Nazareth, einige Ortschaften weiter vermutlich völlig unbekannt. Der Unbekannte begegnet Fischern am See Genezareth oder "einem Menschen am Zoll". Mit seinem bezwingenden "Folge mir nach!" veranlasst er sie, alles liegen und stehen zu lassen und sich ihm anzuschließen. Den Weg, den sie nun mit dem "Meister" gehen, wird man sich bildlich vorstellen dürfen als Weg quer durch das Heilige Land, als gemeinsames Ertragen von Hitze und Kälte, Hunger und Durst, Sonne und Regen, gemeinsam schweigend oder von Gott sprechend, miteinander betend und feiernd, gemeinsam die Begeisterung und die Anfeindung der Leute ertragend: mithin eine echte Schicksalsgemeinschaft von "Schülern" und "Lehrer".

Dieses Prinzip der "Nachfolge" ist zu damaliger Zeit in den diversen "theologischen Schulen" des Spätjudentums nicht unüblich. Dort aber müssen sich "Schüler" erst bewähren und sich prüfen lassen, ehe sie in den erlauchten Kreis der "Jünger" aufgenommen werden. Im Gegensatz dazu ruft Jesus Menschen quer durch alle Bevölkerungsschichten in die "Nachfolge", unabhängig von Bildungsstand oder Erleuchtungsgrad, ohne Ansehen vorweisbarer religiöser Leistung. Alle sind zu gebrauchen für die Nachfolge. Nicht jedoch, "wer die Hand an den Pflug legt und zurücksieht".

Nachfolge als radikale Entscheidung

Nachfolge setzt offenbar eine radikale, schier rigorose Entscheidung für Gott voraus. Nachfolger müssen wissen, dass sie sich für eine völlig ungesicherte Existenz entscheiden. "Die Füchse haben Gruben, die Vögel unter dem Himmel haben Nester, der Menschensohn aber hat nicht, wo er sein Haupt hinlege". So ernst kann "Nachfolge" gemeint sein, dass gegebenenfalls auch "Vater und Mutter verlassen" werden müssen oder der gesamte Besitz den Armen gegeben werden soll. So entschieden kann "Nachfolge" zu verstehen sein, dass nicht einmal Zeit bleibt, den verstorbenen Vater zu bestatten. "Folge du mir und lass die Toten ihre Toten begraben!" In letzter Konsequenz hieße "nachfolgen", "das Kreuz auf sich nehmen", mit Jesus leiden.

Seit der Auferstehung Christi heißt "Nachfolge": dem "nachfolgen", der nicht mehr zu sehen, "nur" zu glauben ist. Also im übertragenen Sinn "in seine Fußstapfen treten". Also sich führen lassen, "wohin du nicht willst". Also auch Märtyrer, Zeuge, auch Blutzeuge werden!

"Nachfolge" heißt dann aber auch, "an seiner Auferstehung teilhaben", "mit ihm auferstehen". Dabei ist bestimmt nicht daran gedacht, dass Christen Jesus kopieren sollten. Christen sollen "nur" denken in seinem Sinne, "nur" handeln in seinem Geist und wissen, dass Konsequenz in Dingen des Glaubens gefährlich, wenn nicht lebensgefährlich sein kann, aber auch - ohne Ansprüche geltend machen zu können - Auferstehung verheißt.

Nachfolge im Mittelalter

Die Frömmigkeit der ersten Jahrhunderte nimmt den Ruf zur Nachfolge so ernst, dass solche Art Ernsthaftigkeit wertvolle, mitunter jedoch seltsame Blüten treibt. Christen sterben konsequent glaubend den Märtyrertod in den Arenen römischer Kaiser. Manche suchen den Märtyrertod selbst, sterben ihn freiwillig. Manche möglicherweise als eine dem Himmel vorzeigbare Leistung. Ungezählte Asketen, Eremiten, Wüstenväter, Säulenheilige, Selbstverstümmler, säumen den Weg der christlichen Kirche.

Die Frömmigkeit des Mittelalters reflektiert das Thema der "Nachfolge Jesu" bis zur "Nachahmung Christi". Ein eindrückliches Dokument dafür: das vierbändige Werk "Imitatio Christi" des deutschen Mystikers Thomas a Kempis, 1380-1471. Diese Art "Nachfolge Christi" heißt vor allem, seine Demut und Selbstverleugnung nachahmen, "imitieren", den Kreuzweg und die Wunden Jesu meditieren. Stets aber lauert bei allen diesen Bemühungen um die rechte "Nachfolge" die Gefahr, sie bei aller Demut eben doch Gott als Leistung darbringen und himmlischen Lohn dafür ernten zu wollen.

Der liebenswerteste und geglückteste Versuch, Jesus nachzufolgen, ist vermutlich der des Franziskus von Assisi (1182-1226). Sein Leben wirkt gotteskindlich naiv, orientiert an der Bergpredigt Jesu und an seinem Armutsideal, selbstlos helfend und heilend, vertrauensvoll mit den Seinen aus der reichen Gnade Gottes lebend: sorglos wie Vögel unter dem Himmel, wie Lilien auf dem Feld, absichtslos, "unschuldig".

Nachfolge: Großes Thema in der lutherischen Orthodoxie

Zum großen Thema des protestantischen Glaubens wurde die "Nachfolge" in der Epoche der lutherischen Orthodoxie des 17. Jahrhunderts. Noch heute erinnern Gesangbuchlieder eindrücklich an diese Phase des Luthertums. "Mir nach, spricht Christus unser Held", "Lasset uns mit Jesus ziehen", "Auf, auf, mein Herz mit Freuden", dichten Paul Gerhardt und seine Zeitgenossen und geben mit ihren Liedern populäre Einführungen in die "Theologie der Nachfolge".

Das Thema "Nachfolge" verbindet sich zuletzt besonders mit dem Namen Dietrich Bonhoeffer. "Nachfolge" ist das heimliche Thema aller seiner Werke, und natürlich das Thema seines gleichnamigen Hauptwerkes, und es ist offenkundig das Thema seines Lebens bis zum Tod am 9. April 1945 im KZ Flossenbürg. "Gott ist ein Gott des Tragens", schreibt er:

"Der Sohn Gottes trug unser Fleisch, er trug darum das Kreuz, er trug alle unsere Sünden und schuf durch sein Tragen Versöhnung. So ist auch der Nachfolger zum Tragen berufen. Im Tragen besteht das Christsein... Das Tragen des Nachfolgenden ist Gemeinschaft mit Christus."