Das Paradies zu finden, ist nicht schwer. Manchmal liegt es gleich um die Ecke: Spiel und Spaß für Jung und Alt, ein Fest für die Sinne, gut essen und trinken. Keine Wünsche offen auf 1.200 Quadratmetern Verkaufsfläche im Einkaufsparadies. Wer dieses Paradies satt hat, dem empfiehlt sich das Urlaubsparadies für himmlische Tage.

Sucht man dagegen im Evangelischen Erwachsenenkatechismus nach dem Paradies, wird die Sache schon schwieriger. Fehlanzeige. Zwischen Papst und Paradox findet sich im Stichwortverzeichnis kein Hinweis auf das Paradies. Das überrascht, denn es steht in keinem Verhältnis zum häufigen Gebrauch im Alltag, wo man sich schon im Schrebergarten ein kleines Paradies schaffen kann und jeder dritte Werbespot damit lockt.

Paradies kommt in der Bibel nur dreimal vor

In der Bibel ist der Befund nicht gerade üppig. Nur dreimal kommt das Wort Paradies dort vor. Dabei weiß doch jeder, wo es liegt. Gleich am Anfang der Bibel steht es im zweiten Kapitel (Gen 2,8-15), auch wenn die Bezeichnung selber fehlt. Es ist ein Garten in Eden am Oberlauf der vier Flüsse Euphrat und Tigris, Pischon und Gihon.

Das Besondere an diesem Garten: er ist Gottes Schöpfung. Gott selbst hat ihn angepflanzt mit Bäumen, "verlockend anzusehen und gut zu essen", darunter auch der Baum der Erkenntnis und der des Lebens. Mitten in den Garten setzte Gott Mann und Frau, eins mit sich, mit Gott und den Geschöpfen.

Paradiese gab es in vielen Religionen, Mythen und Kulturen

Die Vorstellung vom Paradies ist nicht spezifisch biblisch. Der Ausdruck kommt ursprünglich aus dem Altiranischen und meint einen umfriedeten Park. Im Alten Orient sind Paradiese mit Bäumen, Gärten und Wasserströmen meist das Zentrum einer heilen Umwelt. Die Idee eines heilvollen Lebensraums gibt es in vielen Religionen, Mythen und Kulturen: als Reich der Toten im Alten Ägypten, als Aussteigen aus dem mühsamen Kreislauf der Wiedergeburt im Buddhismus, als Glückseligkeit im Islam, allerdings nur für Männer. In der griechischen Mythologie ist es ein exklusiver Ort, an dem nur Helden und damals Prominente Aufenthaltsgenehmigung haben, nach ihrem Tod selbstverständlich. Damit das Paradies ein Paradies bleibt, ist der Zugang begrenzt.

Wofür steht das Paradies in der Bibel?

Zurück zur biblischen Tradition. Hier gibt es das Paradies nur als verlorenes Paradies. Das dritte Kapitel der Bibel erzählt, wie der Mensch aus dem Paradies ausgewiesen wurde. Das einzige Verbot, nämlich vom Baum der Erkenntnis zu essen, übertreten die beiden Bewohner des Paradieses, Adam und Eva. Sie naschen vom Baum der Erkenntnis. Die anschließende Diskussion, wer wen verführt hat, ob die Schlange die Eva oder Eva den Adam, nützt nichts. Verführen oder sich verführen lassen macht keinen Unterschied. Gott setzt Adam und Eva vor die Tür. Damit es keinen Weg zurück gibt und sie sich nicht auch noch am Baum des Lebens vergreifen, stellt Gott die Cheruben zur Bewachung vor die Tür.

Jenseits von Eden ist Schluss mit dem Einssein mit Gott und der Schöpfung. Die Natur begegnet dem Menschen nun nicht mehr als kultivierter Garten, sondern als eine Welt, in der in "schöner" Arbeitsteilung der Mann dem Boden in harter Arbeit seine Früchte abringen und die Frau, so heisst es, mit Schmerzen ihre Kinder zur Welt bringen muss. Ausgesetzt ist der Mensch, mit der ganzen Härte des Lebens konfrontiert und muss sich nun um sich selbst kümmern. Die Einfachheit und Ungebrochenheit der menschlichen Existenz ist ein für alle Mal verloren.

Das verlorene Paradies

Die Geschichte vom verlorenen Paradies darf man nicht als ein historisches Ereignis verstehen, als ob zu einer Stunde null der Menschheitsgeschichte ein Mann und eine Frau die große Chance der Menschheit vertan hätten. Sie ist vielmehr eine Schlüsselgeschichte, die deutlich machen will, dass der Mensch seine eigentliche Existenz immer wieder verfehlt.

Das verlorene Paradies ist ein Symbol für die Gebrochenheit des Menschen: er ist und bleibt zerrissen zwischen Wollen und Sollen, zwischen Können und Tun, zwischen Chance und Realität, zwischen Gottvertrauen und Zweifel. Oder positiv formuliert: das Paradies ist ein Idealbild. Es will Orientierungshilfe geben, wie das Verhältnis des Menschen zu Gott und der Schöpfung aussehen könnte.

Kein Zurück nach dem Sündenfall

Die Paradiesgeschichte erzählt aber auch, dass es kein Zurück gibt, weder aus eigener Kraft noch mit Gottes Hilfe. Der Sündenfall ist nicht mehr rückgängig zu machen. Es ist keine Sache des guten Willens und alles wird wieder gut. Es ist keine Sache der Glaubenskraft, und alle Gotteszweifel sind verschwunden. Genauso wie es kein zurück in den Schoß der Mutter zur innigen Verbundenheit mit ihr gibt, so gibt es kein zurück ins Paradies zur fraglosen und ungebrochenen Gemeinschaft mit Gott. Psychoanalytiker würden sagen: Eine solche Regression wäre keine Heilung.

Es gibt nur den Weg nach vorn. Es ist bemerkenswert, dass die übrigen drei Stellen der Bibel, in denen das Wort Paradies vorkommt, über den Tod hinaus zukunftsorientiert sind (Lk 23,43; 2. Kor 12,4; Offb 2,7). Das Paradies wird zum Ort der Wiedervereinigung mit Gott. So kann Jesus zum Mann neben ihm am Kreuz sagen: "Heute wirst du mit mir im Paradies sein". Damit sagt er: Wenn wir jetzt gleich vor Gott stehen, werden wir nicht vor verschlossenen Türen stehen.

Gott mit neuem Wohnsitz

Aber es ist nicht der Garten Eden, dessen Türen offen stehen. Im letzten Kapitel der Bibel hat Gott einen neuen Wohnsitz (Off. 21). Er wohnt mitten unter den Menschen einer Stadt, dem neuen Jerusalem. Das paradiesische Inventar des Gartens ist da: die Wasserströme, der Baum des Lebens, der vertraute Umgang mit Gott. Aber aus der symbiotischen Eltern-Kind-Innigkeit ist eine gereifte, erwachsene Beziehung geworden. Paradies bedeutet, biblisch verbunden, nicht ein entmündigendes und auf Dauer langweiliges Schlaraffenland für unmündige Kinder. Paradies heisst biblisch verstanden vielmehr die beglückende Begegnung von Braut und Bräutigam (Off 22,17).

In diesem Sinne vorwärts gewandt kann dann auch zu Weihnachten gesungen werden:

Heut schliesst er wieder auf die Tür zum schönen Paradeis; der Cherub steht nicht mehr dafür. Gott sei Lob, Ehr und Preis.