Der katholische Echter-Verlag hat sich kürzlich einen Scherz erlaubt. Er veröffentlichte ein kleines Büchlein mit dem Titel: "Christliches in der AfD". Und wer dieses Büchlein aufschlägt, blickt in 32 leere Seiten.

Diesen Seiten vorangestellt stand der Satz: "Wir haben recherchiert und herausgefunden: da gibt es nicht, gar nichts. Sie können blättern, so viel Sie wollen: es gibt nichts."

Dürfen die das? Dürfen Christen sich einfach in die Politik einmischen. Stellung beziehen. Parteilich werden im wahrsten Sinne des Wortes?

Diese Frage beantwortete kürzlich eine Nürnberger Gemeinde lautstark und auf ihre Weise, indem sie eine Pegida-Demonstration mit dem Geläut der Kirchenglocke übertönte.

Darf sie das? Darf sie Kirchenglocken einsetzen, um die Hetze gegen Geflüchtete Menschen zum Schweigen zu bringen?

Die Frage, ob und wo und wie oft sich Christen und Kirchen in die Politik einmischen dürfen, ja sollen, ja müssen, muss von Fall zu Fall immer neu verhandelt werden muss.

Die Evangelische Amtskirche empfiehlt in einer Denkschrift mit dem Titel "Das rechte Wort zur rechten Zeit" ihren Repräsentanten, sie sollten nicht zu allem etwas sagen (Denkschrift des Rates der EKD, 2008)

Nicht jedes Thema müssten Kirchenvertreter öffentlich kommentieren. Aber: wenn es um das soziale Miteinander geht und die Art wie wir umgehen miteinander, wie wir miteinander und übereinander sprechen, dann sollten, ja müssen sich Christen aktiv äußern.

Natürlich kommt dann immer wieder reflexhaft der Vorwurf, Geistliche sollten bei ihren Leisten bleiben und nicht über Dinge reden, von denen sie nichts verstehen. Sie sollten sich raushalten aus der Politik.

Amerika – fromm und politisch

Dazu hatte schon der Baptistenpastor und Bürgerrechtler Martin Luther King eine klare Position.

Er plädierte für soziale Gerechtigkeit, für die Gleichberechtigung farbiger und weißer Bürger in den USA und für gewaltlosen Widerstand. Am 4. April 1968, also vor 50 Jahren wurde er von einem weißen Rassisten erschossen. Martin Luther King formulierte den Zusammenhang von Predigt und Politik folgendermaßen:

"Predigen ist für mich ein doppelter Prozess, einerseits muss ich versuchen, die Seele eines jeden Einzelnen zu verändern, damit sich die Gesellschaft verändern kann. Andererseits muss ich versuchen, die Gesellschaft zu verändern, damit sich jede einzelne Seele verändern kann."
("The Autobiography Of Martin Luther King Jr.", zitiert nach evangelisch.de)

Ja er hat Recht, dieser Märtyrer für die Sache der Gerechtigkeit, dieser Vorkämpfer für einen humanen Umgang.

Ein Christ zu sein, ohne auf den gesellschaftlichen Zusammenhang zu achten, ohne nach Gerechtigkeit und Frieden aller zu fragen, am Ende geht das nicht. Denn Jesus wollte das Reich Gottes bauen, dieses Reich in dem Gott abwischen wird alle Tränen. Dieses Reich Gottes, dass aus einem winzigen Samen wächst und ein großer Baum wird. Dieses Reich Gottes, das die Welt und die Gesellschaft in der wir leben von innerheraus verändert, verbessert, lebenswerter macht und liebevoller.

Was würde dieser Geistliche, dieser vom heiligen Geist inspirierte Baptisten- Pfarrer Martin Luther King wohl zum heutigen Zustand des gelobten Kontinents Amerika sagen?  Was würde er zu den Rassenunruhen und der Politik der weißen alten Männer sagen, unter denen derzeit der Rassismus wieder salonfähig wird. Und der Gott der Dominanz gepredigt wird. Aber nicht nur der Rassismus, die sprachliche Verwüstung und die atomare Aufrüstung, die Demütigung ohnmächtiger Völker, die unverhohlene Kriegsdrohung, die besinnungslose Ausbeutung der Natur. Es ist, als greife die Krankheit der Selbstsucht und der Prunksucht und der Eigensucht unaufhaltsam um sich.

Man sagt, diese amerikanische Regierung sei besonders in den konservativen ländlichen Gegenden entstanden und gewählt worden. Im sogenannten Bible Belt, im frommen Gürtel von Amerikas Südstaaten. Dort, wo die Farmer am Sonntag mit der ganzen Familie in die Kirche gehen, mit dem Gebetbuch unterm Arm. Dort, dort wo es die Sonntagsschule gibt und das Tischgebet und man den heiligen Ruhetag gemeinsam in der christlichen Gemeinde verbringt.

Der muslimische Autor und bekannte Intellektuelle Navid Kermani, er hat diese Gegend vor wenigen Jahren bereist und sich in Land und Leute verliebt. Er schreibt:

"Es sind Bauern, Jäger, kleine Leute und in den Städten Arbeiter, in deren Mitte das Volkslied politisch geworden ist. Woody Guthrie.....Pete Seeger, die großen weißen Sänger der dreißiger und vierziger Jahre, die mit dem vollen, geradezu religiösen Pathos der Bürgerrechtsbewegung für ein gerechtes Amerika eintraten, das Amerika der Gewerkschaften, das Amerika sozialer Reformen, das Amerika, das sich seiner Schuld an den Ureinwohnern bewusst wird, das Amerika, das sich am frühesten gegen die Rassengesetze gestellt hat."
(Bob und die Weite des Himmels Dezember 2016, anlässlich des Dönhoffpreises)

Die singenden Psalmisten der 68er-Bewegung

Man kann es sich also nicht so einfach machen.

Denn aus eben diesen christlichen Gemeinden Amerikas mit ihren frommen Volksliedern, ihren Folksongs, kam die Friedensbewegung, die den Himmel auf Erden schaffen wollte. Und für viele Jahrzehnte viele Menschen bewegte.

All die singenden Psalmisten der Achtundsechziger-Bewegung. All diese Sänger, die uns in jungen Jahren dazu gebracht haben Gitarre zu lernen, damit wir ihre Hymnen nachsingen konnten, sie waren in der Sonntagschule erzogen. Sie kannten die Psalmen des ersten Testaments auswendig und die biblischen Geschichten.  Ihre Sprache ist davon durchglüht.

Sie haben sich nicht mit kleinen Visionen abgegeben. Sie wollten eine Welt retten, in der der kalte Krieg den Austausch zwischen den Völkern eingefroren hatte und in der Atommächte einander bedrohlich gegenüber standen.

Joan Baez, diese wunderschöne Frau mit der unverwechselbaren Stimme, sie ist die Tochter eines Pfarrers einer Quäker-Gemeinde - das ist eine christliche Gruppe, die sich einem radikalen Pazifismus verschrieben hat. Joan Baez ist aufgewachsen unter Menschen, die das Wort von der Feindesliebe wörtlich nehmen und die andere Wange hinhalten, wenn sie auf die eine geschlagen werden. Bis heute – mit über 70 Jahren - arbeitet Joan Baez in Friedensinitiativen.

Sie ist eine dieser Sängerinnen, die die Hymnen einer Generation geschrieben haben, die den Frieden herbeidemonstrieren und herbeisingen wollten. Die hofften, dass die weichen Wasser der Lieder den harten Stein politischer Interessen schleifen würden.

Bis heute beschwört Joan Baez die Umkehr und den Neuanfang. In ihrem neuesten Album besingt sie die große Korrektur die nötig ist, damit wir Menschen und Völker diesen Planeten erhalten.

"Mit einer Laterne gehe ich durch die Welt und suche einen ehrlichen Menschen. Ein Schatten liegt über dem Land und die Leute wissen nicht mehr, was es heißt an unserem amerikanischen Traum zu leiden. Diese weißen privilegierten Söhne, die Gott und die Waffen auf ihrer Seite wissen. Aber alle klugen und frommen Menschen wissen, dass das Licht umso heller scheint, je dunkler die Zeiten. Die große Korrektur. Sie wird kommen”....
Ja diese Propheten aus Amerika, sie haben vor einem halben Jahrhundert die ganze westliche Welt angesteckt. Sie haben die Hymnen für das Ende des Vietnamkrieges geschrieben und die des Falls der Berliner Mauer. "Wes hall overcome" wir werden überwinden!

Es war das Pathos einer Generation, die das Wort Krieg nicht mehr in den Mund nehmen wollte. Die großen Hoffnungen einer Generation, die sich nicht mehr schuldig machen wollte und die Waffen radikal ablehnte. Sie alle kamen aus jüdischen oder christlichen Familien. Und Jesus war für sie der Superstar, der vorgemacht hat, wie man das Böse mit Gutem, Gewalt mit Sanftheit überwindet, auch wenn der persönliche Preis hoch ist.

Diese Generation wollte einen Wechsel im Denken der Menschen, sie wollte Antworten, wie es denn zu den zwei Weltkriegen mit 60 Millionen Toten kommen konnte. Sie wollten das Übel des Hasses und der Manipulation und der Aufwiegelung und des Neids an der Wurzel packen. Sie glaubten daran, dass Menschen den Himmel auf Erden ganz alleine schaffen können. Es gibt wohl niemanden in der westlichen Welt, der das nächste Lied noch nie gehört hat. Die Idee vom Reich Gottes – nur ohne Gott. Menschengemacht. Imagine!

Stell dir vor, es gibt kein Himmelreich,
Keine Hölle unter uns,
Über uns nur der Himmel.
Stell dir vor all die Menschen
Leben nur im hier und jetzt.
Stell dir vor, es gäbe keine Länder,
.....
Nichts, wofür es sich zu töten oder sterben lohnt.
Und auch keine Religion.
Stell dir vor, all die Leute
Lebten ihr Leben in Frieden.

Du wirst vielleicht sagen, ich sei ein Träumer,
Aber, ich bin nicht der Einzige!
Und ich hoffe, eines Tages wirst auch du einer von uns sein,
Und die ganze Welt wird eine Einheit.

Spiritualität der Lieder – Religion auf Konzertbühnen

Es ist gar nicht so einfach zu beurteilen, wie es diese Propheten der 60er Jahre mit der Religion hielten. Sie übernahmen die Werte und biblischen Visionen, ja die Bilder und starken großen Worte von einer neuen Welt, zugleich aber lehnten sie die verfasste Religion ab. Sie glaubten, dass Visionen wahr werden.

Sie lehnten eine Religion ab, die spaltet, sich hinter dicken Kirchenmauern verschanzt und andere Menschengruppen wegen deren Glauben ausgrenzt, verachtet, verfolgt. Sie lehnten die dogmatischen Denk-Konstruktionen ab und die würdigen Ämter und Roben würdiger Männer. Sie lehnten Regeln ab und Liturgien. Nur, sie konnten nicht anders, getrieben von den Texten ihrer Sonntagsschule, schufen sie selbst Sehnsüchte. Sie machten Religion weltlich und brachten Religion auf die Konzertbühne. Das waren keine Unterhaltungskünstler. Sie waren Meister einer Spiritualität der Lieder. Zeitlos trafen sie den Nerv der Zeit. Sie waren fromm und politisch. Und sie werden heute wieder aktuell.

Aber auch die anderen Töne schwingen mit. Die große Angst, dass sich die Welt womöglich nicht ändern lässt und wir und all die Menschen, die ihr Leben noch vor sich haben keine Antwort bekommen, warum wir Menschen und Völker uns bedrohen, statt einander zu helfen.

Dieses Gefühl der Resignation kennen schon die alten Texte der Bibel: Warum nur ändert sich nichts? Warum bleiben wir Menschen immer die gleichen verrückten Verräter an der Erde und den Mitgeschöpfen.

Der traurige Sänger der Weisheit in unserer Bibel bringt es auf den Punkt.

Windhauch, Windhauch, Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch. Welchen Vorteil hat der Mensch von all seinem Besitz, für den er sich anstrengt unter der Sonne?                                                Eine Generation geht, eine andere kommt. Die Erde steht in Ewigkeit.             
Die Sonne, die aufging und wieder unterging, atemlos jagt sie zurück an den Ort, wo sie wieder aufgeht. Er weht nach Süden, dreht nach Norden, dreht, dreht, weht, der Wind. Weil er sich immerzu dreht, kehrt er zurück, der Wind......  Was geschehen ist, wird wieder geschehen, was man getan hat, wird man wieder tun: Es gibt nichts Neues unter der Sonne. .....(Kohelet 1, 1-6+9)

Der Song von Bob Dylan, geboren als Sohn der jüdischen Familie Zimmermann, hat wie ein Echo auf die alte Klage des desillusionierten Philosophen der Bibel geantwortet: Die Antwort mein Freund, weiß ganz allein der Wind.

Alles ein Haschen nach Wind, diese traurige, beinahe zynische Weltsicht des biblischen Poeten wandelt Bob Dylan in eine Frage, in eine dringliche, in eine tränenüberstömte: Ist wirklich alles ein Haschen nach Wind oder hat der Wind doch noch andere Antworten. Kann es nicht doch anders werden, können Kanonenkugeln und Raketen nicht doch verboten werden, und die Waffen, mit denen Kinder in der Schule niedergeschossen werden. Kann nicht das Weinen der Mütter aufhören. Es muss doch eine Antwort geben.....

Wie viele Straßen auf dieser Welt
Sind Straßen voll Tränen und Leid?
Wie viele Meere auf dieser Welt
Sind Meere der Traurigkeit?
Wie viele Mütter sind lang schon allein,
Und warten und warten noch heut'?

Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind,
Die Antwort weiß ganz allein der Wind.


Friedensbewegt christlich versus christliches Abendland

Viele Menschen sagen derzeit, wir leben in einer Achsenzeit. Das heißt: Die Zeit in der wir gerade leben, mit Internet, Robotern und künstlicher Intelligenz,  wird unser Leben und das Leben unserer Kinder völlig verändern.

So wie vor fünfzig Jahren die Sehnsucht nach Frieden über die Welt fegte und sich wie ein Lauffeuer verbreitete, so fühlen sich viele Menschen heute verloren und desorientiert. Wir wissen immer mehr, aber verstehen immer weniger. Die öffentliche und die politische Moral scheinen zu verschwinden.

Man nimmt sich einfach das Land des anderen, man greift die eigenen Bevölkerung mit Giftgas an oder beschießt Demonstranten, man sperrt die Hälfte der Intellektuellen und kritischen Geister ins Gefängnis, man wirft Molotowcocktails in Flüchtlingsheime, man lügt und betrügt ganz öffentlich und es gibt offenbar niemanden der Einhalt gebietet.

Es ist wie ein Virus nur umgekehrt als vor einem halben Jahrhundert.

Und auch hier beruft man sich wieder auf das Christentum: Das Abendland soll christlich bleiben und Muslime können hier zwar arbeiten, aber sich bitte nicht zu Hause fühlen, so tönt es von den Rednerbühnen der neuen Rechten und den Kirchen wird vorgeworfen, sie würden sich für Flüchtlinge einer fremden Religion einsetzen und die eigenen Gemeindeglieder vernachlässigen.

Als die Kirchen sich das letzte Mal in Deutschland einem menschenverachtenden Regime unterwarfen, verrieten ihren Glauben und verloren sie ihre Glaubwürdigkeit.

Man sollte das als Christ nicht vergessen:

Schon als die Juden im Nationalsozialismus einen Judenstern tragen mussten, entschieden studierte Gutachter aus Evangelischen Fakultäten, dass die Kirche, die ja bei ihren religiösen Leisten bleiben sollte, nur für getaufte Juden zuständig sei, also nur für das eigene Klientel, alle anderen Menschen würden sie, die Kirche, nichts angehen. Das war ein grandioser Christusverrat. Ein grandioser Verrat an der Bergpredigt und an der Liebe Christi zu allen Menschen.

"Nur wer für die Juden schreit darf gregorianisch singen", schrieb Dietrich Bonhoeffer, der Widerstandskämpfer und Märtyrer des Naziregimes seinen Nachkommen ins Stammbuch

Was heißen will, dass sich Christentum nicht in der Sorge um die eigenen Schäfchen oder gar um das Abendland erschöpft, sondern, dass wir verantwortlich sind für alle Menschen, die mit uns in einer Stadt und in einem Land leben. Unser Nächster ist nicht unbedingt der, der mit mir das Gesangbuch teilt, sondern der, der in Not ist. Nur dann dürfen wir guten Gewissens den christlichen Gott anrufen und loben.

Ich glaube, es braucht wieder eine neue Friedensbewegung. Es braucht Visionen, die junge Menschen fröhlich in die Zukunft schauen lassen. Es braucht einen neuen Wind. Denn jetzt geht es uns in diesem Land zwar so gut wie selten, wahrscheinlich wie nie zuvor. Aber geistig beginnt der Schlamm zu brodeln. Braune Brühe. Der Dreck und der Hass aus dem Netz und in den europäischen Parlamenten. Die Manipulierer und Zerstörer liberaler Ordnungen.

Der Psalm 69 kennt diese Situation:

Ich versinke in tiefem Schlamm, wo kein Grund ist; ich bin in tiefe Wasser geraten, und die Flut will mich ersäufen.

Ich habe mich müde geschrien, mein Hals ist heiser. Meine Augen sind trübe geworden, weil ich so lange harren muss auf meinen Gott. (Pslam 69, 1-4)

Der  Literaturnobelpreisträger Bob Dylan hat auch diesen Psalm gekannt.

Die Zeiten ändern sich, Times they are a’changing singt er. Es kommen Zeiten, wo wir hart kämpfen müssen, damit wir über Wasser bleiben. Das gilt auch für uns Christen.

Kommt versammelt euch Leute, wo immer ihr euch rumtreibt
und gebt zu, dass das Wasser um euch gestiegen ist.
Und akzeptiert, dass ihr bald bis auf die Knochen durchnässt seid.
Wenn euch eure Zeit etwas wert ist,
dann fangt ihr besser an zu schwimmen, oder ihr sinkt wie ein Stein,
denn die Zeiten ändern sich.

Pfingsten das Fest des Heiligen Geistes, liegt hinter uns. Das ist das Fest der friedlichen, freundlichen Verständigung, das Fest der Gleichberechtigung der vielen unterschiedlichen Menschen, das Fest, das alle Völker zusammenströmen sieht in der heiligen Stadt Jerusalem, das Fest des unwiderstehlichen guten und friedlichen Geistes. Um ihn bitten wir. Tag und Nacht. Und um die Kraft, bei steigenden Wassern zu schwimmen.