Es ist ein kleines Lied mit einer anrührenden Melodie, das seinen festen Platz im Liederbuch meines Lebens hat. Müsste ich es unter einer Überschrift, einer Empfehlung verorten, könnte ich mich schwer entscheiden, es wären mehrere: Zu singen oder zu summen zur Ermutigung. Zum Träumen. Manchmal auch bei Traurigkeit. Vermutlich kennen Sie das Lied: Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück, und ich träum davon in jedem Augenblick. Irgendwo auf der Welt gibt’s ein bisschen Seligkeit, und ich träum davon schon lange, lange Zeit.

Ich verbinde dieses Sehnsuchtslied von Werner Richard Heymann mit den Stimmen und der Geschichte der Comedian Harmonists: Es ist im Jahr 1932, als das Ensemble den Traum vom kleinen Glück, vom Weg zum Himmel erstmals singt. Vier Jahre zuvor sind die sechs Männer das erste Mal in einer Berliner Mansarde zum Proben zusammengekommen, nun stehen sie vor ausverkauften Sälen, umjubelt von begeisterten Massen, von Kritikern überschwänglich gefeiert. Der Traum vom Glück – wo, wenn nicht hier, ist er so offensichtlich in Erfüllung gegangen. Ein Jahr später, 1933, sieht das anders aus: Drei der sechs Männer sind Juden, Veranstalter sagen deswegen Konzerte des Ensembles ab, und dort, wo sie stattfinden, werden sie bald begleitet von organisierten Protesten der Nationalsozialisten. 1935 beugt sich das Ensemble dem zunehmenden Druck und löst die bestehende Formation auf. Die jüdischen Mitglieder müssen emigrieren. Das kleine, große Glück ist zerbrochen – beruflich, privat und erst recht im Weltgeschehen.

Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück

Irgendwo auf der Welt fängt mein Weg zum Himmel an. Dieses Lied und die Geschichte der Comedian Harmonists erzählen für mich vieles über Träume und Erfüllung, über zerbrochenes Glück und Sehnsucht. Es gibt Momente im Leben, da werden Träume wahr, und wir sollten uns immer wieder einmal kurz in den Arm kneifen, um das zu begreifen – nicht erst dann, wenn das Glück zerbrochen ist: Da sitzt ein Mensch neben mir, den ich liebe; da gibt es einen Freund, dem ich vertraue; da lebe ich im Frieden, hier und jetzt.

Dann wieder kann es sehr schnell gehen, dass aus der Erfüllung ein "es war einmal" wird. Ich denke an die Menschen, die zu Beginn der 30er Jahre das Lied vom kleinen bisschen Glück gehört haben, vor sich hingesummt haben: zu Hause, beim Spaziergehen vielleicht. Und dann? Wie viele von ihnen hat die Katastrophe dieser Jahre kurze Zeit später ins tiefste Unglück gestürzt. Trotzdem klingt es für mich nicht zynisch, die Zeilen des Liedes vor dem Hintergrund der Geschichte zu hören. Im Gegenteil: Ihre Kraft scheint dadurch eher stärker geworden zu sein. Ich denke an eine Szene im Spielfilm "Comedian Harmonists", die das auf ihre Weise darstellt: Im Frühjahr 1934 hat das Ensemble seine letzten Auftritte in Deutschland. Im Film werden die sechs Männer auf der Bühne gezeigt, hinter ihnen eine überdimensionale Hakenkreuzflagge. Und dann spricht Harry Frommermann, Gründer des Ensembles, dargestellt von Ulrich Noethen, in die Stille des Konzertsaals hinein diese Worte: Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück und ich träum davon in jedem Augenblick. Die Kamera schwenkt auf die Gesichter der Sänger, dann auf einzelne Menschen im Zuschauerraum, sie fängt zerbrochene Lieben und Biographien ein, zeigt Tränen und Schmerz – und zugleich: große Sehnsucht. Nach dem letzten Lied ist Stille im Saal. Dann stehen die Menschen schweigend auf. Das Hakenkreuz verliert sich für einen Moment im Hintergrund. Jetzt geht es allein um die Menschen und um das, was sich in ihren Gesichtern spiegelt. Als schließlich tosender Applaus losbricht, ist es dennoch nicht der frenetische Applaus früherer Vorstellungen, sondern ein Applaus, der tiefer geht: Ein Applaus, der Respekt und Solidarität unter Menschenkindern und Zuneigung ausdrückt. Und zugleich auch die trotzige Gewissheit, dass auch dieses Regime mit seinem Hass und seiner Gewalt es nicht schaffen wird, den Menschen die Lieder der Hoffnung und Sehnsucht zu nehmen.

Du hast mich geträumt, Gott

Der Weg zum Himmel, irgendwo, irgendwie, irgendwann – das ist auch ein zutiefst biblisches Motiv. Es durchzieht die Geschichte Gottes mit den Menschen von Anfang an. Eigentlich liest sich bereits die Erschaffung der Erde, Hymnus auf den Ursprung unseres Glaubens, als ob Gott sich damit einen Traum erfüllt: Himmel, Erde, Luft und Meer. Das helle Sonnenlicht. Die funkelnden Sterne am Nachthimmel. Der Mond, einmal Sichel, einmal weißschimmernder runder Ballon. Die Wälder, dunkel und dicht, dann wieder lichtdurchflutet. Die weiten Wiesen. Der Flug der Vögel, das Gewimmel der kleinen und großen Tiere an Land. Zuletzt dann, so scheint es, verleiht Gott seiner größten Sehnsucht Gestalt: Er schafft den Menschen. Er tut es nicht, weil er einen Untertanen braucht. Nein, Gott erschafft sich den Menschen als sein Gegenüber, nach seinem Bild. Und siehe, es war sehr gut.

Wie auch immer ein Lebensweg später verlaufen mag: Am Anfang steht der Traum Gottes. Es tut gut, sich das ins Gedächtnis rufen zu lassen. Gerne von der großen Theologin Dorothee Sölle, die das immer wieder mit ebenso berührenden wie entschiedenen Worten getan hat. Sie hat erinnert daran, wie diese Welt in biblischer Tradition gedacht ist – gerecht, frei, geschwisterlich -, und sie hat diese Erinnerung mit dem Appell verbunden, sich für eine solche Welt zu engagieren. Die Kraft dazu gibt der Glaube daran, dass am Anfang eines jeden von uns die Sehnsucht Gottes nach einem aufrechten und freien Menschen steht:

Du hast mich geträumt gott
wie ich den aufrechten gang übe
und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt


Hör nicht auf mich zu träumen gott
ich will nicht aufhören mich zu erinnern
dass ich dein baum bin
gepflanzt an den wasserbächen
des lebens[1]

Jakob und die Himmelsleiter

Der Anfang ist gut: Gott träumt die Welt, bunt und schillernd, und den Menschen: frei, aufrecht und schön. Doch dann beginnt in der Bibel der Teil der Geschichte, in dem wir uns bis heute bewegen: Es ist die Erzählung vom Menschen, der das Paradies zerstört, der das Glück anderer zerbricht und selbst an dem leidet, was andere und das Leben ihm an Wunden schlagen. Und siehe, es war sehr gut? Die Welt, so wie sie ist, spricht nun allzu oft diesem Urteil Hohn. Wir Menschen auch. Schon in der Bibel.

Ich denke an Jakob, den Mann aus dem Alten Testament, dessen Leben und vor allem dessen Traum dieser Sonntag im Blick hat: Jakob, der alles andere als ein Heiliger ist. Was er erreichen will, setzt er durch, mit allen Mitteln. Er führt den Vater hinters Licht, er betrügt den Bruder um seinen Segen, er scheint sein Recht auf Glück zu verspielen. Dass er in der Nacht, in der ein Traum sein Leben verändert, sein Haupt auf einen Stein bettet, lese ich auch symbolisch: Es ist kein sanftes Ruhekissen, das Jakob sich verdient hätte. Nun liegt er da, es ist dunkel. Da geschieht es: Der Himmel öffnet sich.

Eine Leiter stand auf Erden, die rührte mit der Spitze an den Himmel, und siehe, die Engel Gottes stiegen daran auf und nieder. Und der Herr stand oben darauf und sprach: Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham und Isaaks Gott. Das Land, darauf du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben. Und dein Geschlecht soll werden wie der Staub auf Erden, und du sollst ausgebreitet werden gegen Westen und Osten, Norden und Süden, und durch dich und deine Nachkommen sollen alle Geschlechter auf Erden gesegnet werden. Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land. Denn ich will dich nicht verlassen, bis ich alles tue, was ich dir zugesagt habe. (Genesis 28, 12 bis 15)

Auf der Flucht, in der Schuld fängt für Jakob der Weg zum Himmel an. Er liegt am Boden, als Gott ihm zeigt, dass er an dem festhält, was er für Jakob im Sinn hat. Einmal wird es sein. Und Jakobs Blick, zuvor gefangen, weitet sich: Was er in der Nacht gesehen hat, gibt ihm Mut für seinen Weg und eine Perspektive. Als er erwacht, richtet er seine Schritte an der Wirklichkeit aus, die Gott ihm in den Himmel gemalt hat. Man läuft leichter, wenn man um den Sinn des Laufens weiß. Jeder Schritt, das ahnt Jakob jetzt, bringt ihn seinem Ziel ein Stück näher.

Der Weg, den Jakob weiter geht, ist deshalb noch lange nicht zu Ende: Jakob wird später noch einmal fliehen, er wird mit Gott ringen, sich einen neuen Namen verdienen müssen, bevor dann die Begegnung und die Versöhnung mit dem Bruder anstehen. Jakobs Weg ist kein leichter. Aber eine Vision gibt ihm Kraft, und er scheint damit bereits auf Erden einige Sprossen auf der Himmelsleiter erklimmen zu können.

Irgendwo auf der Welt fängt der Weg zum Himmel an. Jakob findet einen Ort, an dem er das erlebt, und andere Menschen nach ihm, durch die Zeiten hinweg. Anderen hingegen scheint das Leben solche Orte, an denen sich Himmel und Erde berühren, vorzuenthalten, Visionen, die beflügeln, Himmelsleitern, die nach oben führen. Stattdessen geschieht so vieles zwischen Himmel und Erde, das unbegreiflich ist und manchmal auch einem Albtraum gleicht. Warum das so ist, wissen wir nicht. Die Bibel erklärt es nicht, sie redet die Welt auch nicht schön. Was sie aber den Menschen mitgibt, ist ein Versprechen: Der Anfang allen Lebens war gut, und einmal wird es sein, dass wir die Fülle erleben. Einmal wird es sein – und bis dorthin bleibt uns, wie Jakob aufzustehen, weiterzugehen, im Vertrauen darauf, dass es auch einen Traum Gottes für unser Leben gibt, so verwirrt und beladen es auch manchmal scheinen mag. Vielleicht blitzt hin und wieder etwas auf davon, schon jetzt: Dann etwa, wenn wir nicht fixiert darauf sind, dass wir auf der Himmelsleiter nicht ganz oben angelangt sind, sondern wertschätzen lernen, dass wir zumindest einige Sprossen hinaufgestiegen sind. Oder dann, wenn wir auf andere Menschen hören, denen gerade der Blick auf eine andere Wirklichkeit, eine Welt in Gottes Sinn geschenkt wird. Menschen, die uns mit ihren Visionen ermutigen.

Ich denke an den 28. August 1963. 250 000 Menschen stehen in Washington vor dem Lincoln Memorial, blicken wie gebannt auf den Baptistenpfarrer Martin Luther King und hören seine Worte, die Menschen bis heute berühren: "I have a dream". Und Martin Luther King träumt laut von der Gleichheit und Brüderlichkeit aller, von einer Welt, in der seine Kinder nicht nach ihrer Hautfarbe, sondern nach ihrem Charakter beurteilt werden. Die Schüsse, die ihn fünf Jahre nach dieser Rede treffen, töten ihn, aber seine Worte leben weiter, inspirieren unzählige Menschen, verändern auf ihre Weise die Welt.  

Wenn alte Menschen träumen

I have a dream – und wovon träumen Sie? Worauf hoffen Sie, was wünschen Sie sich für sich selbst, für diese Welt? Eines lehrt die Bibel und auch die Geschichte: Zum Träumen ist es nie zu spät. Und: Zum Träumen ist man nie zu alt. Es gibt einen wunderbaren Vers im Buch des Propheten Joel im Alten Testament. Er heißt: Eure Alten sollen Träume haben. Joel denkt dabei an die kommende Welt, so, wie sie um Gottes Willen sein soll.

Eure Alten sollen Träume haben. Vielleicht gerade deshalb, weil an alten Menschen besonders deutlich wird, was Träumen in Gottes Namen bedeutet: Keine naive Traumtänzerei, kein Wolkenkuckucksheim. Alte Menschen, schwer von Geschichten, nüchtern auch, wissen genug von zerbrochenem Glück, von Hoffnungen, die sich nicht erfüllt haben. Sie haben die Himmelsleiter nicht erklommen, sie wissen, dass das Reich der Träume, so, wie es in der Bibel ersehnt und versprochen wird, auf Erden noch nicht sein wird.

Ich möchte Ihnen von einer Ausstellung erzählen, die ich mit der Fotografin Martina Schubert für das Evangelische Bildungswerk erstellt habe: Eure Alten sollen Träume haben. Wir sind mit diesem Bibelvers zu alten Menschen aus der Region gegangen und haben sie nach ihren Lebensgeschichten gefragt – und danach, was ihre Träume, ihre Hoffnungen sind.

Da ist etwa Rudi Hofmann, Altbürgermeister des oberfränkischen Töpfermarktes Thurnau, geboren 1937. Als Siebenjähriger ist er kurz vor Kriegsende mit seiner Großmutter auf den Kirchturm seines Heimatdorfes Limmersdorf geklettert, um ein weißes Betttuch zu hissen: Zeichen für die Amerikaner, dass das Dorf sich ergeben werde. Rudi Hofmann hat nicht vergessen, was Krieg bedeutet – und wovon er träumt, dafür hat er sich immer wieder eingesetzt:  

Mich hat immer dieser Satz von Martin Luther King begleitet: Wir haben gelernt, wie die Vögel zu fliegen und wie die Fische zu schwimmen, aber nicht, wie Bruder und Schwester zu leben. Ein wahrer Satz, es sind meine Inhalte für mein Leben. Mein Traum? Frieden. Es gibt kein besseres Wort. Friede zwischen den Völkern, ein friedvolles Miteinander überhaupt, im Kleinen, im Großen. Friede auf Erden eben.

Vom Frieden träumt auch Theo Knopf, 84 Jahre, Konzertinaspieler. Alle diese sinnlosen Kriege - er träumt davon, dass einmal eine Wertebasis gefunden würde, auf die die Menschen sich einigen könnten. Unwahrscheinlich wohl, überlegt er, dass das in absehbarer Zeit geschehen könne. Andererseits -  haben sich nicht immer wieder auch Träume erfüllt, die unerfüllbar schienen?

Ich denke  an die Wiedervereinigung. ,Was für eine Utopie‘, habe ich mir immer gedacht, wenn Menschen sich da Hoffnungen gemacht haben. Und dann, auf einmal, hat es geklappt. Die, die fest daran geglaubt haben, haben recht gehabt.

Wieder in eine andere Richtung bewegen sich die Träume von Schwester Gisela, geboren 1941. Es war ein langer Weg, der sie in die Christusbruderschaft Selbitz, eine evangelische Ordensgemeinschaft, geführt hat; es hat Zeit, auch Zeiten der Stille gebraucht, bis sie erkannt hat, was ihre Bestimmung ist. Dass auch andere Menschen bei allem, was von außen auf sie einstürmt, den inneren Menschen nicht vergessen, dass sie ihren Weg erkennen, davon träumt sie. Und sie zeigt auch, wie das Träumen die Erdenschwere nehmen kann:

Wenn ich das Wort Träume höre, dann klingt in mir spontan an: eine große Leichtigkeit – eine Leichtigkeit auf dem Weg zum Ende, zum Himmel. [2]

Es verändert das Leben, wenn man eine andere Wirklichkeit vor Augen hat. Es verändert das eigene Leben – und das Leben anderer. Als die Ausstellung gezeigt und die Geschichten, Hoffnungen und Träume der alten Menschen gelesen wurden, waren viele berührt davon und haben auf einmal selbst davon erzählt, wonach sie sich sehnen, trotz aller Schwere in ihrem Leben, im Weltgeschehen. Wir brauchen immer wieder Menschen, die die Lieder der Hoffnung singen. Weil sie von der einen großen Hoffnung zeugen. 

 

[1] Auszug aus dem Gedicht: Dorothee Sölle: Ich dein Baum. In: Loben ohne Lügen, Wolfgang Fietkau Verlag.

[2] Texte aus: Hager, Angela/Schubert, Martina: Eure Alten sollen Träume haben, Ausstellungskatalog, hrsg. vom Evangelischen Bildungswerk Oberfranken-Mitte e. V., Bayreuth 2019: S. 38 (Zitat R. Hofmann) / S. 46 (Zitat Th. Knopf) / S. 42 (Zitat Sr. Gisela)