Als er drei Jahre alt ist, malt 'Paulchen', wie er von seinen Eltern genannt wird, zum ersten Mal mit wenigen Strichen sein Christkind. Es hat keine Flügel, läuft aber mit kleinen Tippelschritten durch den Garten zum Haus der Familie Klee im schweizerischen Bern, wo Paulchen sehnsüchtig wartet. An Engel glaubt Paulchen nicht, wohl aber an das Christkind, ob mit oder ohne Flügel. So entstehen Kinderzeichnungen, in denen vor allem himmlische Wesen ihren Platz haben. Und aus dem Christkind werden im Laufe seines Lebens über 80 Engelbilder.

Paul Klee und die Engel

Der Maler Paul Klee und seine Engel – das ist eine besondere Geschichte. Die meisten entstehen – in immer neuen Varianten und Strichlinienführung – im Jahr 1939, ein Jahr vor seinem Tod. Seine Engel tragen eine gewisse Gebrochenheit in sich, sie sind nicht perfekt, manche sogar menschlich: Sie weinen, lachen, schauen und mahnen, anmutig, aber auch grotesk und voller Symbole. Manchmal sind ihre Körperteile zu klein oder zu groß. Mancher Kopf sitzt scheinbar locker und beweglich. Sie haben winzig kleine oder riesengroße Flügel. Es sind unfertige, unvollkommene himmlische Geschöpfe mit Macken und Kanten, wie sie in der Geschichte der Kunst noch nie gemalt wurden.

'Engel im Werden' nennt Paul Klee einmal ein Bild. Und das könnte von allen seinen Engeln gesagt werden. Sie wandeln sich. Sie sind noch werdende Wesen. Für ihn haben sie so Anteil an der unvollendeten Schöpfung. Beim Betrachten finde ich entweder etwas von mir selbst in den Engeln wieder oder es ist das Gegenteil von mir, also das, was ich nicht bin. Oder sehnsüchtig gesagt: noch nicht bin.

Paul Klee: Engel und Zwischenwelt

Seine Engel hat er in der Zwischenwelt 'geschaut', so sagt Paul Klee. Sie ist nicht einfach zwischen Himmel und Erde. Für ihn liegt zwischen irdischer Welt und höchsten geistigen Welten eine Zwischenwelt. Und er ist überzeugt, da Einblick zu haben. Er selbst spricht[i] vom "Reich der Ungeborenen und der Toten, das Reich dessen, was kommen kann, kommen möchte, aber nicht kommen muss, eine Zwischenwelt." Das klingt ein wenig mysteriös. Was mir daran einleuchtet, ist die Welt des Möglichen: Das noch nicht Erschaffene, das Reich des Ungeborenen, der potenziellen Möglichkeiten eines Lebens.

Seine Engel erinnern daran, dass die Schöpfung immer noch im Gange ist. Nicht nur sie, sondern in ihr Gottes Menschenkinder, von denen auch ich eines bin. Ich bin mit bald 60 Jahren immer noch ein unfertiger Mensch. Es hat Zeiten gegeben, da war ich sehr ungeduldig mit mir selbst. Heute bin glücklich damit: Auch ich bin einer im Werden. Und noch immer arbeitet Gott der Schöpfer an mir. Diesen hoffnungsvollen Blick – nicht nur auf mich selbst – haben mir die Engelbilder von Paul Klee beigebracht. Engel im Werden, Mensch im Werden – das ist mein Adventsmotto in diesem Jahr meine ganz persönliche Begegnung mit Engeln, ob mit oder ohne Flügel.

Paul Klee: Man liebt nur, was einen in Freiheit setzt

Ich gebe zu, dass ich als kleiner Junge Engel immer nur kitschig fand. Mit den Puttenengeln oder den herzig süßen Engel mit den Flügeln, die meine Schwestern so liebten, konnte ich gar nichts anfangen. Sie sagten mir nichts. Nur den Weihnachtsengel aus Stoff, der bei uns zu Hause am Christbaum ganz oben hing, den mochte ich, weil er ein goldenes Jagdhorn im Arm hatte; ich habe selber viele Jahre Posaune gespielt. Erst viel später wurde mir klar, dass von den süßen Engelchen, die ich im Kopf hatte, nichts in der Bibel steht. Die Engel in der Bibel sind anders.

Einer der ersten Engel, den ich bewusst kennenlernte, war der Engel Gabriel. Ich finde ihn ziemlich rabiat, weil er der jungen Maria in kurzen schroffen Worten ankündigt, wie ihr Leben in den nächsten Jahren verlaufen wird; wenn das Kind auf der Welt ist, mit dem sie schwanger ist, und dass das Ganze eine Idee Gottes ist. Der ruppige Herr Gabriel, der in die Lebensplanung einer jungen Frau platzt.

Aber vielleicht hat Maria genau das gebraucht – einen Engel, der sich ihr in den Weg stellt. Ihr scheinbar vorgezeichneter Weg wird durchkreuzt. Dennoch ist Maria nicht undankbar, im Gegenteil: Sie dankt Gott, dass er sie anschaut und groß macht. Nicht nur ihr Kind, auch Maria selbst ist im Werden. So verstehe ich auch Jungfrauengeburt. Sie beginnt damit, dass im Menschen ein freier Raum entsteht: Offen sein für das, was wachsen will in mir, was erst noch werden wird. Das ist Jungfrauengeburt, die auch mir als Mann möglich ist.

Friedrich Schiller hat einmal gesagt[ii]: Man liebt nur, was einen in Freiheit setzt. Maria ahnt diese Freiheit: Gott schaut auf ihr kleines Sein. Sie ist dankbar, dass Gott sie groß macht. Ihr Lobgesang deutet an, dass sie sich nicht fremdbestimmt fühlt, als drücke ihr Schicksal sie nieder. Es ist eines von der Art, das emporhebt.

Die Schriftstellerin Susanne Niemeyer hat dem Lobgesang der Maria einen beinahe frechen, zumindest selbstbewussten Zungenschlag gegeben. In den Worten, mit denen Maria sich an Gott wendet, der sie in Freiheit setzt.

An meinen Großmacher

Mein Rabenherz küsst dich

Ich Tunichtgut pflück dich

Weil du mich gerettet hast

Hast auf mein bisschen Sein geschaut

Mückenglücklich preisen mich

Menschenkinder fort und fort

Hast gernmalgroß mich gemacht

Ein Fingerschnipsen den Alleswissern

Ein Wolkenbruch den Heiligscheinern

Die Geknickten entfaltest du

Du Himmelsspeise

für Hungerleider 

Legst Gold mir auf die Zunge.  [iii]      

Hast auf mein bisschen Sein geschaut – ich bin aufgewachsen in einer frommen Welt, in der es ganz wichtig war, dass jeder Mensch nur 'ein bisschen Sein' hat. Bloß nicht übermütig von sich denken, besser demütig sein vor Gott. Wenn etwas gut lief und sich ein Gefühl von glücklich sein einschlich, wurde man gefragt: 'Meinsde, dad du dad verdienst?' Ob ich das verdiene, diese Frage war immer rhetorisch gemeint, denn so ein bisschen Sein als Mensch verdiente das nie in jener Welt voller Gottesfurcht. Bis mir Menschen begegnet sind, die etwas von diesem rabiaten Engel Gabriel hatten, die mich schonungslos gefragt haben, ob mein Lebenstrott jetzt so weitergehen solle wie bisher. Und ob ich auf dem von vielen Füßen ausgetretenen Weg bleiben wolle. Ich wollte nicht.

Man liebt nur, was einen in Freiheit setzt – mehr denn je glaube ich an die Richtigkeit dieses Satzes. Und so bin ich daran gegangen, mich selbst zu entfalten und zu entdecken, welche Stärken in mir schlummern und welche Wege es für mich gibt – Gabriel sei Dank.

Ein Fingerschnipsen den Alleswisser

Ein Wolkenbruch den Heiligscheinern

Die Geknickten entfaltest du

Ein Engel macht das nichtgelebte Leben sichtbar

Manchmal erfahre ich bei Beerdigungsgesprächen von den Angehörigen, was ihre Verstorbenen gerne hätten werden wollen, aber aus irgendeinem Grund nicht wurden. Sie erzählen vom Unglück, von Unvermögen, Trauer und Scham; von nicht verwirklichten Möglichkeiten eines Lebens. Ein großer Fußballer wollte einer werden, aber es fehlte ihm an Talent. So wurde er ‚nur‘ Trainer im Verein und blieb bis zuletzt unglücklich darüber. Eine andere Verstorbene hatte sich sehnlichst Kinder gewünscht und musste mit dem Schmerz leben, dass ihr Lebenswunsch sich nicht erfüllte.

Paul Klee hat ein Jahr vor seinem Tod einen Engel gezeichnet mit dem Titel 'Es weint'. Es zeigt einen in sich zusammengesunkenen Engel, nur die Spitzen der Flügel recken sich wie flehende Hände nach oben, die Tränen fallen aus verschlossenen Augen. Mich berührt es tief, dass Klee hier und in anderen Engeln das Verborgene sichtbar macht: Was nicht gelungen, was Fragment geblieben ist, was im Werden war, aber nicht geworden ist – das nichtgelebte Leben. Paul Klee sagt einmal:[iv]

 "… ich wohne grad so gut bei den Toten wie bei den Ungeborenen. Etwas näher dem Herzen der Schöpfung üblich. Und noch lange nicht nahe genug."

Er war Soldat im ersten Weltkrieg. Seine schrecklichen Erfahrungen des Krieges unterscheiden ihn von den meisten von uns. Was für einen jungen 17jährigen Soldaten so verstörend ist an der Katastrophe des Krieges: Dass der Mensch das Ausdenken von Bomben und Gift und Maschinen zum Töten anderer Menschen als Fortschritt ansieht. Klees Engelbilder werden auch zu Mahnbildern, sich nicht blenden zu lassen. Schutzengel kommen bei ihm selten vor. Vielleicht, weil er wusste, wie zwiespältig es ist, wenn Gerettete davon sprechen. Oder wenn man den Schutzengel für sich herbeiruft.

Ein junger Soldat im 2. Weltkrieg  muss nach seinem Heimaturlaub von der Front wieder dorthin zurück. Beim Abschied sagt seine Mutter zu ihm: "Ich bete jeden Tag, dass dich dein Schutzengel beschützt und du wieder nach Hause kommst." Der Sohn schaut sie lange an, dann sagt er: "Mutter, bete nicht so für mich. Denn wenn ich nach Hause komme, muss der Sohn einer anderen Mutter sterben." Mit beiden Fäusten schlägt die Mutter weinend auf seine Brust ein, bis der Sohn sie an sich zieht und festhält. Dann geht er.

Ich hoffe, dass die Mutter nicht aufgehört hat, für ihren Sohn zu beten. Ob er zurückkehrte? Ich weiß es nicht. Doch was ist mit den Menschen, die in den Weltkriegen vergangener Tage und den UNO- oder NATO-Schutzmissionen heutiger Tage ihr Leben lassen? Oder jene, die durch ein schreckliches Unglück aus dem Leben und aus den Herzen ihrer Angehörigen gerissen werden? Flüchtlinge, die schlimme Dinge erleben und erleiden müssen? Wie soll ich die Vorstellung von Schutzengeln damit zusammendenken, dass die einen leben und überleben und andere den Tod finden, obwohl sie ihn gar nicht suchen?

Bibel: Warum die einen leben – und die anderen nicht

In der Bibel wird die Geschichte von drei jungen Männern erzählt. Fremd klingende Namen haben sie: Sadrach, Mesach und Abednego. Sie leben als Juden im babylonischen Exil und halten am Glauben ihrer Mütter und Väter fest. Sie weigern sich, ein goldenes Standbild des Königs Nebukadnezar anzubeten. Er droht ihnen mit dem Tod im Feuerofen, doch sie bleiben standhaft. Der König befiehlt, das Feuer im Ofen noch siebenmal heißer zu machen. Sie weigern sich weiter. So werden die drei Männer ins Feuer geworfen.

…entsetzte sich der König Nebukadnezar, fuhr auf und sprach zu seinen Räten: Haben wir nicht drei Männer gebunden in das Feuer werfen lassen? (…) Ich sehe aber vier Männer frei im Feuer umhergehen, und sie sind unversehrt; und der vierte sieht aus, als wäre er ein Sohn der Götter. (Daniel 3, 24f)

Paul Klee hätte verstanden, was der Feuerofen sein kann. Und Nebukadnezar versteht am Ende, wer der vierte Mann ist. Da ruft er aus: Gepriesen sei der Gott Sadrachs, Mesachs und Abed-Negos. Denn er hat seinen Engel gesandt und seine Diener gerettet. Warum werden hier die einen gerettet und andere an anderen Orten nicht? Die Schriftstellerin Susanne Niemeyer hat im Gespräch mit jenem Engel aus dem Feuerofen eine für mich ungewöhnliche Blickrichtung gefunden:[v]

Ich schaudere: "Was geschah?" "Sie wurden ins Feuer geworfen. Es war so heiß, dass die Schergen, die sie hineinwarfen, selber starben. Niemand hätte in diesem Feuer überleben können. Aber sie gingen in den Flammen umher, als könnten sie ihnen nichts anhaben. Man erzählt sogar, sie sangen im Feuer. Ich stieg zu ihnen hinab." "Aber warum", rufe ich, "zogst du sie nicht hinaus?" Er schweigt. Möglich, dass es Unvermögen war. Möglich, dass er sein Unvermögen bedauert. "Ich stieg zu ihnen hinab", wiederholt er. "Ich blieb mit ihnen zusammen." "Überlebten sie?", wage ich zu fragen. Ich halte den Atem an. "Sie überlebten", sagt er. "Das Wunder geschah. Andere überlebten nicht. Aber ich blieb mit ihnen zusammen. Mit allen. Keinen von ihnen verließ ich." Dann schweigt er, als sei damit alles gesagt.

Dieser Engel erzählt, dass er an anderen Zeiten und Orten auch andere Menschen begleitet hat. Er hat keine Antwort auf die Frage, warum die einen überleben und andere nicht. Doch im Gespräch mit ihm ist eine Spur gelegt, die ein Trost sein könnte. Der Engel sagt von denen, die nicht überlebt haben: Aber ich blieb mit ihnen zusammen. Mit allen. Keinen von ihnen verließ ich. Kann das ein Trost sein? Auch ich kann nicht mehr sagen. Das aber kann ich tun: Hoffen und glauben und bitten für andere. Und für mich selbst.

Mir ist mehr möglich als ich glaube

Jeder von uns, der schon mal einen ganz irdischen Menschen als Engel erlebt hat, weil dieser ihm zugehört hat und für ihn da war, spürt noch immer eine Traurigkeit, aber auch, dass sie oder er sich verändern könnte. Ein anderer tritt an mich heran, so wie Gabriel zu Maria kommt. Und nun kommt es darauf an, ob ich Bote und Botschaft an mich heranlasse. Ob ich dem Trost des Engels glaube. Ob ich aufstehe. Ob ich mich aufrütteln lasse; erst einmal nur ganz kleine Schritte gehe. Ob ich etwas zu tun wage; nicht mehr dauerhaft liegenbleibe, weder geistig noch körperlich. Ob ich der Verlockung des Engels vertraue, dass mir mehr möglich ist als das, was ich von mir selber weiß – 'Fürchte dich nicht!'

Das ist es doch gerade, was Engel sein können: Nämlich Störer meines festgefahrenen Denkens werden – wenn ich es zulasse. An den Engelbildern von Paul Klee habe ich gelernt, dass es zu simpel wäre, Engel als übernatürliche Flügelwesen zu bezeichnen. Mit 'übernatürlich' verbindet sich oft die Erwartung der Hilfe von außen. Doch der Engel will mich ansprechen, er will etwas in mir in Bewegung bringen. Das ist die Hilfe. Deshalb wäre es auch zu wenig zu sagen, Engel seien nur Bilder, die zu mir sprechen. Paul Klee spricht bewusst von der Zwischenwelt der Engel. So bleibt offen: Die Begegnung mit Engeln kann eine innere Erfahrung sein. Doch sie kann auch von außen an mich herantreten: Nämlich dann, wenn ein anderer Mensch mir zu einem Engel wird, Sehnsucht in mir weckt, mich in Freiheit setzt. Mich vor allem dazu bewegt: 'Fürchte dich nicht!'

Sich-nicht-fürchten gibt es nicht auf Rezept. Das ist eine tägliche Herausforderung. Paul Klees letztes Engelbild trägt den Titel "Zweifelnder Engel". Ein sehr persönlicher Engel, der seine letzten Zweifel kurz vor seinem Tod spiegelt. Die Augen dieses Engels hat er wie zwei Buchstaben gezeichnet: Das rechte Auge wie ein 'D', das linke wie ein 'U' geformt. Als würde er den Betrachter mit den eigenen Zweifeln konfrontieren: 'Zweifelst auch du?' Bis zuletzt sind ihm die gebrochenen und innerlich sogar zerrissenen Engel treue Begleiter gewesen. 1933 – er ist mittlerweile Professor an der Kunstakademie in Düsseldorf – verbieten die Nationalsozialisten ihm seine Lehrtätigkeit.

Er sei ein 'entarteter' Künstler, lautet das vernichtende rassistische Urteil. Für Paul Klee ist das die Lebenskatastrophe schlechthin. Zwei Jahre nach seiner Entlassung als Professor zeigen sich bei ihm erste Anzeichen einer unheilbaren Krankheit: Sklerodermie, eine rheumatische Verhärtung der Haut, besonders an den Händen und im Gesicht, bei der die Haut erst starr wird, bis sie schließlich seine Finger zur so genannten Krall-Hand verformt. Damit ist das wichtigste Werkzeug seiner Kunst betroffen. Gelenk- und Muskelschmerzen kommen dazu. Dennoch hat Klee mehr als 1.200 seiner Kunstwerke im Jahr 1939 geschaffen, ein Jahr vor seinem Tod. Eine Leistung, die gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

'In Engelshut auf steilem Weg'

Die meisten seiner Engel sind keine klassischen Schutzengel. Dennoch findet sich die Hoffnung auf Bewahrung auch bei ihnen. So entsteht auch der 'Engel voller Hoffnung'. Den großen Kopf hält er etwas schräg, mit offenen Augen schaut er den Betrachter an, mit einem leichten Lächeln schaut er zuversichtlich aus. Und dann der 'Schellenengel': Die kleine Schelle mit Lächeln im Gesicht am untersten Flügelende hat diesem Engel seinen Namen gegeben.

Einen persönlichen Schutzengel zeichnet Klee in seinem vorletzten Lebensjahr. Dieser Engel ist mit zwei Menschen auf steilem Bergweg so eng verbunden, als wären sie eine einzige Person. Der Betrachter versteht, was Klee nur in wenigen Strichen andeutet: Wo der Lebensweg so schwer oder so steil wird, dass die eigene Kraft nicht ausreicht, braucht es einen Engel. Die Zeichnung trägt den Titel: 'In Engelshut auf steilem Weg'.

Die Nürnberger Dichterin Barbara Bredow[vi] spricht in einem morgendlichen Stoßgebet aus, was Paul Klee vielleicht auch hätte sagen können:   

Engel

sag ich

ach engel

 

jeden morgen

sag ichs

 

bitte hilf mir

sag ich

 

schau sie sind alle

wieder da

die prächtigen schwächen

die glitzernden mängel

und die tiefen wunden der angst

 

alle

 

ach engel

 

Im Februar 1940 kann Paul Klee noch die erste von ihm selbst geplante Ausstellung seiner neuen Werke im Kunsthaus Zürich erleben. Eine Woche, bevor der Gemeinderat der Stadt Bern über sein Einbürgerungsgesuch in die Schweiz entscheiden kann, stirbt Paul Klee während eines Kuraufenthaltes in Locarno am 28. Juni 1940. Seine Engel bleiben im Gedächtnis. Sie begleiten auch mich weiter, gehen mit mir in die Adventszeit. Und ich freue mich auf den Weihnachtsengel, wenn er sagen wird: Fürchtet euch nicht!

 

[i] Boris Friedwald, Seite 38.

[ii] Friedrich Schiller im Brief an Johann Gottlieb Fichte 4. August 1795, zitiert nach: Friedrich Schiller. Man liebt nur, was einen in Freiheit setzt!  Hg. v. Hans-Joachim Simm. marixverlag Wiesbaden 2013, Seite 115.

[iii] Susanne Niemeyer, Fliegen lernen. Engelsgeschichten aus der Bibel, Chrismon 2019, 2. Auflage, Seite 31f.

[iv] Boris Friedwald, Seite 38.

[v] Susanne Niemeyer, Fliegen lernen. Engelsgeschichten aus der Bibel, Chrismon 2019, 2. Auflage, Seite 66f.