Kein Mensch war dabei, "am Anfang", als "Himmel und Erde" entstanden sind. Wenn die Bibel auf den ersten Seiten den Vorgang dennoch beschreibt, kann es sich logischerweise um kein Protokoll der Ereignisse handeln. Schon gleich nicht um eine wissenschaftliche Erklärung. Niemand muss den Jahrtausende alten Texten gram sein, dass sie mit heutigen Erkenntnissen nicht übereinstimmen. Zumal "heutige Erkenntnisse" auch immer nur "derzeit beste Arbeitshypothesen" sind und nur so lange gelten, bis bessere erarbeitet sind. Dass die Erde eine Scheibe ist, galt lange Zeit als "derzeit beste Erkenntnis", ebenso die Hypothese, dass sie eine Kugel ist, um die sich Sonne, Mond und Sterne drehen. "Beste Erkenntnisse" kommen und gehen.

Der Bibel ist natürlich nicht zu entnehmen, wie "Himmel und Erde" entstanden sind. Die "Schöpfungsgeschichte" der Bibel ist kein wortwörtlich zu verstehender Bericht. Dass Theologie und Kirche jahrhundertelang darauf bestanden, hat viel Schaden angerichtet und den tieferen Sinn der biblischen Botschaft getrübt.

Schöpfung in der Bibel: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde

Kontroverse mit den Nachbarkulten Genesis 1 ist mit bloßem Auge zu erkennen als Poesie, als ein großangelegter Hymnus auf Gott, den Schöpfer. Bei näherem Hinsehen fallen Strophen und Kehrverse auf, rhythmisch interessante Passagen und ein hohes sprachliches Niveau. Poesie folgt anderen Regeln als Berichte, muss anders gelesen werden als ein Protokoll.

"Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde". Diese erste Zeile ist die wichtigste. Gott war es. Der Gott Israels. Nicht ein gut meinendes oder blind wütendes Schicksal. Nicht eine der Gottheiten der assyrischen und babylonischen oder ägyptischen Nachbarn. Nicht eine jener mythischen Figuren, die sich angeblich nach abstrusen Götterschlachten und Intrigen durchgesetzt hat.

Israels Interpretation der Schöpfungsgeschichte

In steter Kontroverse mit den Nachbarkulten widerspricht Israel heftig und formuliert seinen eigenen Glauben aus: Gott war es. Unser Gott. Der Widerspruch fällt insofern besonders heftig aus, als Israel den Wortlaut des babylonischen Schöpfungsmythos, "der seinerzeit besten Erkenntnis", weitgehend übernimmt, ihn aber "entmythologisiert", "unseren Gott" überall da in den Text einsetzt, wo von anderen Gottheiten die Rede ist.

Israel fertigt geradezu eine Persiflage auf den Schöpfungsmythos der Nachbarn an. Da brütet kein überdimensionaler Urweltvogel mehr die Welt aus. Das besorgt nun der Geist Gottes über den Wassern. Sonne, Mond und Sterne haben nicht länger die Qualität von schicksalsstiftenden Göttern. Zu Lampen degradiert hängen sie namenlos am Himmel und haben lediglich dafür zu sorgen, dass Tag und Nacht richtig eingeteilt werden.

Das Wort Gottes

Der Gott, dessen Lob Genesis 1 singt, wird als ein sehr vornehmer Gott geschildert. Er ist kreativ ausschließlich durch sein Wort. Er spricht. Und es wird. Und es wird gut. Das Wort Gottes ist ein Leben schaffendes Wort. Jahrhunderte später wird das Johannesevangelium diesen Glauben auf den Punkt bringen und die Geschichte Gottes schier noch einmal neu schreiben. "Am Anfang war das Wort. Und das Wort war bei Gott. Und Gott war das Wort."

Genesis 1 beschreibt unseren Gott zudem mit den "seinerzeit modernsten" Möglichkeiten und scheut sich dazu nicht, trotz der genannten Kontroverse Anleihen bei den noch heute verblüffenden wissenschaftlichen Erkenntnissen der Nachbarn zu nehmen. Eine Frucht der frühen Wissenschaft scheinen detaillierte und gegliederte Auflistungen von Gesteinen, Tieren und Pflanzen zu sein, enzyklopädisches Wissen, angeordnet von den nieder entwickelten bis zu den höchst entwickelten Phänomenen. Diesem Schema folgt Genesis 1 von der Erschaffung der Gräser und Kräuter bis zur Erschaffung von Mann und Frau, und wählt damit eine Anordnung, die, nebenbei erwähnt, derzeit gängigen Thesen so unähnlich auch wieder nicht ist.

Typisch israelitisch ist die Einteilung des Hymnus in sieben Schöpfungstage mit dem siebten Tag als Ruhetag, als Urbild des geheiligten Tages, des Sabbath. Wobei kaum erwähnt werden muss, dass Israel poetisch genug zu denken verstand, um diese Tage nicht als platte 24-Stunden-Tage misszuverstehen, sondern als geräumige Schöpfungsphasen im Sinne des 90. Psalms: Tausend Jahre sind vor dir wie ein Tag.

Zweiter Schöpfungsbericht in Genesis

Einer anderen Logik folgt der an sich Jahrhunderte ältere, nun aber als zweiter Schöpfungsbericht erscheinende Text aus Genesis 2. Er wirkt weit archaischer: sprachlich und von seinen Vorstellungen her. Als sei Israel zur Zeit seiner Abfassung noch in einer herrlich naiven, spontanen, von theologischer Reflexion unverdorbenen Phase des Glaubens. Der Text denkt gar nicht daran, systematisch "am Anfang" zu beginnen. Die Erde ist schon da. Nebel feuchtet das Land: gute Voraussetzungen für werdendes Leben.

Gott aber erscheint wie ein freundlicher Gärtner. Aus Erde formt er ein Modell für den Menschen, haucht ihm Atem ein und setzt ihn in einen wunderschönen Garten, "gar lustig anzusehen". Nur "dem Menschen, sprich dem Mann" wird es langweilig. Niemand, mit dem er spielen könnte. Gott erschafft Tiere und gibt sie ihm und erlaubt ihm, sie zu benennen, ihnen einen Namen zu geben. In Gottes Schöpfung ist aber immer noch niemand, mit dem der Mensch kommunizieren könnte. Und doch wäre es "nicht gut, dass der Mensch allein sei". Da erschafft Gott die Frau, wie bekannt: aus der Rippe des Mannes.

Wie die Schöpfungspsalme die Entstehung der Welt erklären

Wieder anderer Logik folgen die Schöpfungspsalmen, insbesondere aber der Psalm 104. Er weist teils verblüffende Ähnlichkeit mit dem Psalm des Ägyptischen Pharao Echnaton/Amenophis IV. (1373-1358 v. Chr.) auf. Israel scheut sich nicht, diesen ursprünglich auf die ägyptische Sonnengottheit gemünzten Text aufzugreifen und wiederum dergestalt zu entmythologisieren, dass ein herrlicher Hymnus auf unseren Gott entsteht.

Die Bibel hält also fest, wer "Himmel und Erde geschaffen hat". Gott war es. Unser Gott. Das ist die Konstante aller biblischen Aussagen. Wie es war, das ist die Variable, und dazu gibt es zu unterschiedlichsten Epochen der Weltgeschichte unterschiedlichste Aussagen. Christen können gelassen die jeweils neueste Theorie abwarten und sie hoch interessiert zur Kenntnis nehmen. Ihr Glaube bleibt immer der Glaube an den, der vor allen Zeiten und Räumen war, der in allen Dingen und Wesen ist und nach allen Welten und Zeiten kommt.