Immer wieder diese Bilder! Immer wieder diese Bilder von Leid und Elend! Immer wieder diese Bilder aus zerstörten Städten, von Flüchtlingsbooten, von Aufruhr auf den Straßen! Täglich erreichen sie mich. Sie sind mir wohl bekannt und dennoch sind sie schwer zu ertragen.

Und immer wieder am Karfreitag diese Bilder von Jesu. Wie er das Kreuz trägt. Wie er sich den Weg entlang quält. Geschunden ist er und die Dornenkrone drückt auf seinen Kopf. Schlimme Bilder sind das an diesem Tag. Zu den Bildern hören wir dann heute noch diese Leidensgeschichte Jesus. Von ihr hoffen wir, dass sie irgendwie anders ist als all die anderen schlimmen Geschichten. Von ihr hoffen wir, dass sie etwas enthält, was über sie hinausweist. Von dieser Leidensgeschichte hoffen und glauben wir, dass sie den Strom der schlimmen Bilder durchbrechen könnte. Zuerst aber berührt sie uns und bringt uns ins Fragen.

Denn zu den belastenden Bildern taucht dann noch ein anderer Gedanke auf: Bin ich wirklich in diese Geschichte verwickelt? Was hat sie mit meinem Leben zu tun? Warum singt man in diesem Gottesdienst von Sünde und Schuld? Bin ich ein Täter? Dabei fühle ich mich doch oft genug  selbst als Opfer, machtlos angesichts der Bilder und ihrer Geschichten.  Man müsste den Strom des Leides durchbrechen. Man müsste in einer anderen, glücklicheren Welt leben. Man müsste eine Antwort auf solche Fragen bekommen. Warum nicht in diesem Gottesdienst?

Vielleicht gibt es die Antwort, wenn ich zuhöre. Wenn ich mir diese ganze Geschichte mit ihren Einzelheiten zumute, wenn ich sie an mich heranlasse. Wenn ich dann auch bereit bin, kritisch auf mich selbst zu blicken. Aber genügt eine solche Ernsthaftigkeit wirklich? Oder sieht es nicht oft so aus, als wäre es egal, was wir tun oder unterlassen? Wer durchbricht dann für uns den Strom der Bilder? Ist es der, dessen Leidensbild wir am Karfreitag vor den Augen haben? Ist seine Geschichte die Antwort?

Hören wir den Hebräerbrief im 9. Kapitel:

Nun aber, am Ende der Zeiten, ist er ein für alle Mal erschienen, um durch sein eigenes Opfer die Sünde aufzuheben. Und wie den Menschen bestimmt ist, einmal zu sterben, danach aber das Gericht: so ist auch Christus einmal geopfert worden, die Sünden vieler wegzunehmen; zum zweiten Mal erscheint er nicht der Sünde wegen, sondern zur Rettung derer, die ihn erwarten.

Ein für alle Mal ist Christus erschienen. Ein für alle Mal stellt er sich gegen Sünde und Leid. Ein für alle Mal hebt er sogar die Sünde auf. Das ist so endgültig wie der Tod. Da muss man aufmerksam werden, bei einer solchen Nachricht. Nun geht der Blick von den menschlichen Verwicklungen und unseren Fragen ganz zu Jesus. Wenn er ein für alle Mal gelitten hat und gestorben ist, dann muss doch schon etwas endgültig anders sein. Nach diesem Karfreitag mit seinen Opfern kann es doch nicht mehr sein, dass man so tut, als sei nichts passiert. Das sagt uns der Hebräerbrief deutlich: Die Welt ist schon eine Andere, weil Jesus seinen Kreuzweg gegangen ist.  Ein für alle Mal ist er ihn gegangen. Ein für alle Mal, das heißt: Es kann nicht sein, dass ich immer wieder und noch einmal in Unsicherheiten gerate, ob überhaupt etwas passiert ist. Ein für alle Mal heißt, dass ich nicht immer wieder ganz von vorne anfangen muss. Ein für alle Mal die Sünde aufgehoben, das heißt dann auch: Jesus wäre umsonst gestorben, wenn ich diese Welt noch als Reich des Bösen erleben würde, als unrettbar verloren, als ständig im Ungleichgewicht. Wenn doch Jesus ein für alle Mal die Dinge erledigt hat, dann ist die Rechnung bezahlt.

Aber die schlimmen Bilder und ihre Geschichten lassen uns nicht los

Wir leben in einer Welt bisher ungekannter Schreckensvisionen. Das Klima soll kippen, das Meer uns überfluten. Ungezählte Opfer soll es geben. Unsere Heimat soll von Fremden überrannt werden, der Frieden ist in Gefahr. Man macht uns Angst und es klingt so, als wäre alles außer Kontrolle. Gottvertrauen alleine wird sicher nicht helfen, aber ohne Gottvertrauen lässt sich in dieser Welt auch nicht leben: Ein für alle Mal hat Jesus durch sein Leiden die Ausgangsbedingungen verändert. Diese Welt soll nicht zugrunde gehen. Es gibt Rettung. Doch heute und gerade am Karfreitag ist noch viel zu wenig zu spüren von dieser Veränderung. Es sieht so aus, als wäre die eine Rechnung zwar bezahlt, aber viele andere Rechnungen sind noch offen. Manchmal fühlt es sich sogar so an, als wäre gar nichts geschehen. Die Welt und wir als Menschen, wir brauchen sozusagen noch eine Art Nachschlag. So sieht es auch der Hebräerbrief und kommt unserem Wunsch entgegen.

… zum zweiten Mal erscheint er zur Rettung derer, die ihn erwarten.

Zur Rettung kommt Jesus. Darin ist der Hebräerbrief klar: Die Sünde bestimmt nicht mehr das Geschehen. Ein für alle Mal. Und es gibt einen Nachschlag: Jesus bringt zu Ende, was er angefangen hat. Unter dem Kreuz liegt schon eine neue Saat. Sie weist in die Zukunft und sie heißt Rettung. Noch ist die Saat klein und wahrhaftig: Auf der ganzen Welt ist noch viel zu wenig Rettung. Da sind immer noch diese schlimmen Bilder. Ungeschehen werden wir die Geschichten und Schicksale nicht machen können. Auch heute am Karfreitag wird geschossen, wird gestorben in unserer Welt. Auch heute leiden Menschen und werden zu Opfern.  Am Karfreitag drückt dazu noch das Bild des Kreuzes mit all seinen Fragen auf unser Gemüt. Wir können diesen Eindrücken nicht entkommen. Wir können sie nicht ungeschehen machen. Jedoch können wir dafür sorgen, dass sie nicht die einzige Nachricht bleiben. Es ist eine Saat in den Boden gelegt. Das ist ein Anfang direkt unter dem Kreuz. Leiden ist nicht mehr alles, Rettung wächst. Das ist eine Kraft, die unser Leben jetzt schon verändert. Mittendrin schon anders. Und so könnte das aussehen…

In zwei Tagen ist Ostern

Ich nehme an, Sie haben schon dafür eingekauft. Sie haben sich schon ausgedacht, was es an den Feiertagen zu essen gibt. Sie haben Gottesdienstbesuche genauso geplant wie die familiäre Besuchstermine. In der Wohnung gibt es schon ein Vorratslager für süße Osternester. Sie überlegen schon, wo sie was verstecken. Ostersehnsüchte, vielleicht sogar Vorfreude gibt es obwohl wir doch noch im mitten im Karfreitag sind. Dieser Ausblick hindert uns aber nicht an Ernsthaftigkeit und Betroffenheit für diesen Tag und für die Leidensgeschichte Jesu. Aber die Ostersaat ist schon unter das Kreuz gelegt und sie beeinflusst auch heute schon unseren Tag. Das ist gut so denn, wenn es Ostern nicht geben würde, dann müsste uns so ein Karfreitag geradezu erdrücken. Das Kreuz steht eben nicht alleine. Die Saat ist in den Boden gelegt.

Amen