Barbara Stamm (CSU) ist Vollblutpolitikerin. Seit den 1970er Jahren mischt die 68-Jährige eine Männerdomäne auf: Sie war Gesundheits- und Sozialministerin, seit 2008 ist sie bayerische Landtagspräsidentin. Zu den Landtagswahlen im September will sie erneut antreten.

Die Richterin Dorothea Deneke-Stoll (53) ist seit 2008 Präsidentin der bayerischen evangelischen Landessynode, zuvor war sie jahrelanges Synodenmitglied im Kirchenparlament. Für die Wahlen im kommenden Jahr will sie nicht mehr kandidieren. 

 

Frau Stamm, Sie sind derzeit Landtagspräsidentin, also auf dem Höhepunkt Ihrer Karriere. Stimmt es, dass Sie sich als politischer Neuling in den 1970er Jahren von CSU-Kollegen anhören mussten, Frauen im gebärfähigen Alter hätten in der Politik nichts zu suchen?     

Barbara Stamm: Das stimmt, die Anfänge waren sehr schwer. Vor allem in der CSU. Da war es noch nicht selbstverständlich, dass junge Frauen - womöglich noch mit Mann und Kindern - in die Politik gehen. Als ich 1972 in den Würzburger Stadtrat gekommen bin, war unsere älteste Tochter gerade mal zwei Jahre alt. Ich habe zwar Unterstützung bekommen, aber auch sehr viel Gegenwind gespürt. Ein CSU-Kollege war offensichtlich gegen mich eingestellt und hat mir ganz offen gesagt: 'Ich finde, Frauen im gebärfähigen Alter haben in der Politik nichts verloren.'  

Was haben Sie da gedacht? Jetzt erst recht?

Stamm: Ich habe im Lauf meines politischen Lebens gelernt: Ihr kriegt mich nicht unter. Wie man sieht, bin ich noch da.     

Frau Deneke-Stoll. Wie waren denn Ihre Anfänge in Männerdomänen? Sie sind jetzt Direktorin am Amtsgericht in Neuburg an der Donau, seit 2008 sind Sie außerdem Präsidentin des bayerischen evangelischen Kirchenparlaments, der sogenannten Synode.     

Dorothea Deneke-Stoll: Ganz so hart wie bei Frau Stamm war es in der Kirche natürlich nicht. Ich bin ja auch erst später - Mitte der 1990er Jahre - in die Synode gekommen. Aber ich habe durchaus einen gewissen Rechtfertigungsdruck verspürt. Ich war ja als Synodale auch mal schwanger, alle wussten, dass meine Kinder noch recht klein waren. Da habe ich schon von männlichen Kollegen zu hören bekommen: 'Was machen Sie denn jetzt mit Ihren Kindern?' Ich hatte überhaupt kein schlechtes Gewissen, denn die Kinder waren ja bei meinem Mann oder meiner Tante in den besten Händen.  

Sie haben es anscheinend wie Frau Stamm gemacht: bloß nicht unterkriegen lassen.     

Deneke-Stoll: Ich war am Überlegen, ob ich zurückfragen soll, was derjenige eigentlich mit seinen Kindern macht. Denn meine männlichen Kollegen in der Synode hatten ja oftmals auch kleine Kinder. Also so ganz selbstverständlich war es doch nicht, dass ich als junge Frau in der Synode war. Direkte Widerstände habe ich aber nicht gespürt.  

Das hört sich insgesamt alles nicht so diskriminierend an wie bei Frau Stamm.     

Deneke-Stoll: Natürlich ist es in der Kirche leichter. Ich bin ja nur zweimal im Jahr als Synodalpräsidentin in der Öffentlichkeit. Frau Stamm musste als Landtagsabgeordnete ständig in München sein und hatte kleine Kinder zu Hause. Aber ich habe schon den Eindruck: Wenn in der Synode eine Frau spricht, wird nicht so hingehört wie bei einem Mann. Da ist der Geräuschpegel höher, obwohl viele Frauen etwas Wichtiges zu sagen haben. Unterschwellig sind sicherlich noch Ressentiments da. Mittlerweile ändert sich das aber.  

Welche Tipps können Sie Frauen geben?     

Deneke-Stoll: Hartnäckig dranbleiben. Sich nicht unterschätzen. Sich was trauen. Auch aufstehen und sagen: 'Hier bin ich, und ich hab was drauf.' Das trauen sich viele Frauen von ihrer Erziehung her noch nicht. Aber es wird.     

Stamm: Es hat sich Vieles geändert, auch in der Politik. Wir sind natürlich noch nicht an dem Punkt, wo es selbstverständlich ist, dass Frauen mitmischen. Frauen müssen sich immer noch alles sehr mühsam erarbeiten. Obwohl ich immer gegen eine Frauenquote in der Wirtschaft war, setze ich mich daher inzwischen für sie ein. Denn anscheinend hat man dort noch immer nicht kapiert, dass Frauen in Führungspositionen oder flexible Arbeitszeiten in den Führungsetagen etwas Selbstverständliches sein sollten.  

Sie sind eine toughe Frau. Wie geht eigentlich Ihr Mann damit um?     

Stamm: Viele haben jahrelang nicht gewusst, wer überhaupt mein Mann ist. Da gab es anfangs auch sofort die wildesten Gerüchte, vor allem wenn man drei Kinder zu Hause hat. Mein Mann hat mich immer unterstützt und meinte Anfang der 70er Jahre, dass der Würzburger Stadtrat was für mich wäre. Ich hatte zu der Zeit wegen der Kinder meinen Beruf aufgegeben, ich war hauptamtlich in der kirchlichen Jugendarbeit tätig und bin viel rumgekommen. Mein Mann hat anscheinend gemerkt, dass ich neben Haus und Kind noch etwas brauche.  

Der Schuss ging dann wohl nach hinten los.     

Stamm: Wenn er gewusst hätte, wie sehr ich mal in der Politik mitmische, hätte er es sicher nicht so gemacht. Das hat er mal verraten. Aber er sagt mir nicht, dass ich aufhören soll.  

Hat dann Ihr Mann den Haushalt geschmissen?     

Stamm: Mein Mann war nie Hausmann. Er kann einiges in der Küche, aber er hat sich nie eine Schürze umgebunden und hat auch nie ein Hemd gebügelt. Aber er war sehr präsent für die Kinder. Ich war ja in einer finanziellen Situation, in der man sich auch haushaltsmäßig jemanden leisten konnte.  

Frau Deneke-Stoll, haben Sie einen Hausmann?     

Deneke-Stoll: Als die Kinder noch klein waren, haben mein Mann und ich gleichzeitig in Teilzeit gearbeitet. Wir haben gedacht, dass wir so am ehesten für unsere Kinder da sein könnten. Mein Mann bügelt schon mal ein Hemd oder eine Bluse. Er kann auch kochen. Er ist zwar Vorsitzender Richter am Landgericht Ingolstadt, macht aber nach wie vor zu Hause recht viel. Ohne ihn würde das alles nicht klappen.  

Wie sehen das eigentlich Ihre Kinder?     

Deneke-Stoll: Im Großen und Ganzen sehen sie das positiv. Ich hab das auch mit ihnen besprochen, und sie hatten nichts dagegen, dass ich neben der Arbeit noch Synodalpräsidentin sein wollte. Die sind jetzt auch im Teenager-Alter und erwarten von ihren Eltern nicht ständig, dass sie zu Hause sind. Im Gegenteil: Die genießen es, auch mal sturmfrei zu haben.     

Stamm: Ich merke, dass ich die Familie immer ein Stück vernachlässigt habe. Das kriege ich auch zu spüren. Und sei es nur durch einen lapidaren Satz wie: 'Mutter, du warst damals nicht dabei.' Wenn unsere Kinder zusammensitzen und von früher erzählen, kommt das schon mal vor. Und dann fällt mir ein, dass ich bei vielen Sachen nicht dabei gewesen bin. Das kann man nicht mehr nachholen. Mein Mann ist natürlich bei unseren sechs Enkeln als Opa gefragter als ich als Oma.     

Deneke-Stoll: Wir haben da als Frauen immer noch ein latent schlechteres Gewissen als Männer. Egal was wir machen - ob Job oder Familie -, wir stehen immer unter einem starken Rechtfertigungsdruck.     

Sie mussten beide einen schweren Schicksalsschlag verkraften. 2008 wurde bei Ihnen, Frau Stamm, Brustkrebs diagnostiziert, bei Ihnen, Frau Deneke-Stoll, 2012 Darmkrebs. Sie sind aber unterschiedlich damit umgegangen. Die eine wollte es zunächst verheimlichen, die andere ist gleich an die Öffentlichkeit gegangen. Warum haben Sie diesen Weg gewählt?     

Deneke-Stoll: Ich habe in meiner "Sonntagsblatt"-Kolumne über meine Krankheit geschrieben. Plötzlich kamen lauter Interviewanfragen. Ich war da ein wenig naiv, dachte nicht, dass die Nachricht so hohe Wellen schlägt. Andererseits wussten es schon so viele Leute, warum sollte ich dann nicht offen damit umgehen? Wenn ich zurückschaue, war das richtig so. So etwas gehört ja zum Leben dazu und sollte kein Tabu sein.     

Stamm: Am Anfang bin ich davon ausgegangen, dass die Erkrankung etwas ganz Persönliches ist und nur meine Familie angeht. Ein Journalist hat mir dann ganz brutal erklärt, dass meine Krebserkrankung sehr wohl im öffentlichen Interesse steht. Seine Erklärung: Sie wollen in wenigen Monaten Landtagspräsidentin werden, wie kann man als Schwerkranke so ein Amt anstreben? Dann war es draußen, und ich bin sehr offensiv damit umgegangen. Eigentlich schade, dass ich das nicht von Anfang an gemacht habe.  

Warum?  

Stamm: Ich habe viel Zuspruch bekommen, auch von Leuten, die ich gar nicht kannte. Das war eine wunderbare Erfahrung.  Deneke-Stoll: Das habe ich auch erlebt. Viele Leute haben mir geschrieben und Mut gemacht. Das fand ich toll.  

Was war das Schlimmste in dieser Phase? Die Angst vor dem Tod oder die Ungewissheit?     

Stamm: Das Schlimmste ist die Zeit, in der man noch nicht genau weiß, wie es tatsächlich um einen steht. Dieses Warten, bis man die endgültige Diagnose hat. Ich habe die Erkrankung meiner Familie erst mitgeteilt, als ich die Gewissheit hatte. Ich wollte ja niemanden groß aufregen. Das Schlimme ist: Wenn man es geschafft hat, ist es ja nicht endgültig vorbei. Bei der nächsten Kontrolluntersuchung kann es ja wieder von vorn losgehen. Insofern lässt der Krebs einen nie so ganz los.     

Deneke-Stoll: Diese Unsicherheit ist tatsächlich die unangenehmste Phase. Wenn man nicht genau weiß, wie es weitergeht und wenn man von einer Untersuchung zur nächsten geht. Das ist einfach ein ganz blödes Gefühl. Angst vor dem Tod hatte ich aber nie.  

Frau Deneke-Stoll, Sie haben 2002 Ihr behindertes Kind verloren. Wie verarbeiten Eltern so ein Ereignis?     

Deneke-Stoll: Unser Sohn wäre in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden, sein Tod kam völlig überraschend. Er kam aufgrund von Sauerstoffmangel bei der Geburt schwerst mehrfach behindert zur Welt. Das war für unsere Familie in diesen Jahren eine große Herausforderung. Aber man darf nicht nur das Negative sehen. Die Behinderung unseres Sohnes hat die Familie mehr zusammengeführt.     

Stamm: Das stimmt, man darf nicht nur das Negative sehen. Wer Menschen mit Behinderung erlebt und sie an sich ranlässt, der ist dankbar dafür. Ich hatte eine gehörlose Mutter, damals war ich als Kind aber völlig hilflos. Es gab keine Möglichkeit für meine Mutter zur Teilhabe. Seitdem hat sich im Bereich der Gehörlosen, Blinden oder Körperbehinderten immens viel getan. Man muss es nur wollen.     

Sie sind Vorsitzende der Lebenshilfe Bayern, Sie setzen sich also für Behinderte ein. Haben die Erfahrungen mit Ihrer Mutter Sie geprägt?     

Stamm: Der Alltag war grauenvoll, das muss ich wirklich sagen. Ich war acht Jahre alt, als ich meine Mutter erlebt habe. Davor war ich in Pflege. Ich habe überhaupt nicht gewusst, dass es gehörlose Menschen gibt. Sie sind übrigens sehr misstrauisch. Lacht jemand, denken sie sofort, sie werden ausgelacht. Deswegen gelingt Inklusion in der Schule auch nur, wenn alle Eltern einer Klasse sie mittragen, sonst geht das schief.  

Frau Deneke-Stoll, welchen Unterricht hat Ihr Sohn besucht?  Deneke-Stoll: Regelschule stand nicht zur Diskussion, er war schwerstbehindert.     

Stamm: Das ist gut, sich das einzugestehen. Es gibt ja mittlerweile Leute, die der Meinung sind, dass es überhaupt keine Sondereinrichtungen geben sollte. Das erhöht aber nur den Druck auf die Behinderten. Wir dürfen ihnen nicht einfach etwas überstülpen. 

Dossier

#Glaubensfrage

Woran glaube ich? An welchen Werten orientiere ich mich? Welche Rolle spielen Gott und Religion in meinem Leben? Das sind Fragen, mit denen sich Prominente aus Kirche und Politik, Gesellschaft und Kultur in unserer Reihe #Glaubensfrage beschäftigen. Mehr dazu in unserem Dossier: www.sonntagsblatt.de/glaubensfrage